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Acht Brücken | Musik für Köln 2018

Kunststation St. Peter, 9. Mai 2018



Morphing Relations


Werke von Steffen Krebber, Michael Beil, José María Sánchez Verdú, Brigitta Muntendorf und Fabio Nieder
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Acht Brücken | Musik für Köln 2018

Beziehungsarbeit zwischen Rohrblatt und Stimme

Von Claudia Jahn

Eine ungewöhnliche Begegnung: Es traf in diesem Konzert das Vokalensemble Neue Vocalsolisten aus Stuttgart auf das niederländische Rohrblatt-Instrumentenensemble Calefax. Die Musiker präsentierten unter dem programmatischen Titel Morphing Relations - in etwa "sich (ver)wandelnde Beziehungen" - eine facettenreiche Darstellung der musikalischen Beziehungen zwischen den Klanggruppen und deren Ausdrucksmöglichkeiten. Auf Seiten der Rohrblattinstrumente - genauer Oboe, Klarinette, Saxophon, Bassklarinette und Fagott - wurde das Klangspektrum ausgereizt und moderne Spielarten, die weit entfernt vom "klassischen" Sound der Instrumente sind, verwendet: vom tonlosen Durchblasen von Luft, über geräuschhaftes Klappern bis hin zu übergeblasenen und flatternden Tönen. Ähnlich der Umgang mit der Stimme. Auch hier wurden sämtliche Klangmöglichkeiten des menschlichen Stimmapparats ausgelotet, die die Neuen Vocalsolisten virtuos beherrschten. Das gut einstündige Programm umschloss fünf Werke von zeitgenössischen Komponisten, von denen drei für diese spezielle Besetzungskombination komponiert waren. Jedes der Ensembles konnte sich zusätzlich mit einem Werk solistisch präsentieren.

Ein eindrucksvoller Einstieg in die Welt der klanglichen Beziehung von Stimme und Rohrblasinstrumenten boten die 2017 entstandenen mediated mixes von Steffen Krebber (* 1976). Hierbei beziehen sich die "morphing relations" nicht nur auf das Zusammenspiel von Stimmen und Instrumenten, sondern auch auf das Stück selbst. Krebber verbindet unterschiedliche Ausschnitte aus bestehenden Stücken miteinander und setzt sie in Beziehung. Entstanden sei die Idee zu diesem Werk eher ungewollt, als er versehentlich die zwei in seiner Komposition verwendeten Musikstücke, die jeweils Vogeldarstellungen aus unterschiedlichen Epochen sind, über Lautsprecher gleichzeitig abspielen ließ. Inspiriert von dem Ergebnis, schuf er mediated mixes, das mit der Kombinierbarkeit von gegensätzlichen Klangbildern arbeitet. Eröffnet wird das Stück mit Windgeräuschen durch Pusten und Heulen. Unverkennbar sind zu Beginn die Vogellaute durch Instrumente, die zunehmend an Komplexität gewannen. Nach dem ersten Eindruck einer Naturkulisse folgen die auf einem Ton rezitierten Worte "Welcome! Hello!" und anschließend die Erklärung "you summon a loudspeaker". Diese werden in vermeintlich störungsfreier Harmonik von dem Vokalensemble wiederholt, bis die jegliche harmonische Orientierung auflösenden Glissandi eintreten. Diese erinnern an die gleichmäßgie Pitchveränderung bei elektronischen Isntrumenten. Ein neues Klangelement kommt hinzu, sobald der Fagottist nur in ein Rohrblatt ohne Instrumentenkörper bläst und die Mezzospranistin am anderen Ende des Rohrblatts Laute formt. Das wiederkehrende Motiv um einen Grundton, von dem mehrere kleine Intervallsprünge ausgehen, hat einen poppigen Ohrwurm-Charakter, der rhythmisch von den anderen Instrumenten unterstützt wird. Unterbrochen wird dieses Klangbild von sirenenhaften Glissandi bei beiden Ensembles, die mal parallel, mal in Gegenbewegung zueinander verlaufen. Die Worte "mediated mixes" rücken dabei in den Fokus, und dem Zuhörer wird das Bild konkret vor Augen geführt: Es handelt sich um imitierte Lautsprecher, die unterschiedliche Musikfetzen von sich geben. Dieses Abwechseln zweier Klangbilder endet mit einer klaren Zäsur, nach der die Sänger nach vorne treten und einheitlich das mehrstimmige Chanson "Le chant des oiseaux" des Renaissance-Komponisten Clément Janequin singen. Der Eindruck trübt, denn sobald der Tenor "Langweilig!" ins Publikum ruft, schließen sich die Instrumente dem "Schöngesang" an und imitieren die bereits in dem Chanson angelegten lautmalerischen Vogellaute. Somit stehen sich zwei Arten der Vogeldarstellung gegenüber, einserseits die naiv-ästhetisierte Lautmalerei der Renaissance, andererseits die naturalistische Imitation durch Rohrblatt-Instrumente. Letztere dringen penetrant in die Welt des Renaissancegesangs ein und übertönen diesen stellenweise. Dabei klingt das Instrumentensemble nicht nur zufällig wie ein aufgebrachter Gänseschwarm: Diese Passagen sind an das von Carola Bauckholt komponierte Stück Zugvögel (2012) für Bläserquintett angelehnt. Nach einem simplen Ausklingen dieser humoristisch wirkenden Konfrontation zweier weit voneinander entfernten Epochen durch virtuelle Lautsprecher, endet das Stück mit dem anfangs schon gehörten Pusten.

Das folgende Stück Die Drei (2002) für sechs Sänger von Michael Beil (* 1963) enthält die strukturelle Strategie des Werks schon im Titel. Die Dreiteiligkeit lässt sich sowohl im Aufbau, in der kleinsten Motivzelle, der Stimmaufteilung, als auch auf textlicher Ebene finden. Letztere orientiert sich an dem Hexeneinmaleins aus Goethes Faust. Tatsächlich vermitteln die reingerufenen Worte den Eindruck eines Hexengesangs. Es wechseln ausgestoßene Vokal-Staccati und lyrische Momente mit Melodiephrasen ab. Es ist ein stetiges Nach-Vorne-Treiben mit penetranten Nachschlägen, das unvermittelt endet, als wäre man endlich am Ziel angekommen.

Wie Krebber verarbeitet auch José María Sánchez-Verdú (* 1968) in Terrains vagues (2017) ein Werk aus der Renaissance. Er verarbeitet in seinem Stück Teile des Motetten-Chansons Cuers desolez von Pierre de Rue und konserviert die Fragmente aus vergangener Zeit in einem neuen kompositorischen Geflecht. Der Begriff "terrains vagues" beschreibt ein wertloses Gebiet, das in (ökonomische) Vergessenheit geraten ist, so Sánchez-Verdú. Wie ein vergessenes Stück Land greift er die Renaissance-Motette wieder auf und erweckt sie zum Leben aus veränderter Perspektive. Auffällig ist der häufige Einsatz von Seufzern, geräuschhaftem Luftausstoßen wie Hauchen und tiefem Knattern in den Stimmen. Die Komposition pendelt zwischen lauten Ausbrüchen und chansonhaften Passagen und enthält performative Aspekte, wenn die Sänger Geräusche mit Steinen produzieren und sich um die eigene Achse drehen.

Mit durchhören (2010) von der in Köln lebenden Komponistin Brigitta Muntendorf (* 1982) rückte das Bläserensemble solistisch in den Fokus. Charakteristisch ist das stürmische Staccato der Oboe auf einer Tonhöhe, das wie ein warnender Ruf in die Welt geschickt wird. Dieses wird von einigen Instrumenten imitiert und mit flehenden, absteigenden Glissandi kontrastiert. Lang ausgehaltene Töne in Dissonanzen kommen ergänzend hinzu, während die Oboen-Staccati unbeirrt durchs gesamte Stücke ziehen und diesem eine gewisse Rastlosigkeit verleihen. Nach lebhaftem Gesprächscharakter zwischen den einzelnen Blasinstrumenten kommt das Wort, gesprochen von den Instrumentalisten selbst, als neues Element hinzu. Hektisch gesprochenes "Takataka" kämpft mit dem Instrumentenklang um den Vorrang, bis es diesen verdrängt hat. Die Intensivität der gesprochenen Silben schwillt an, gewinnt an zusätzlichen Lauten und endet abrupt im Nichts. Beachtenswert war hierbei die koordinative Herausforderung zwischen Instrumentalspiel und gesprochenen Silben in hoher Geschwindigkeit, rhythmischer Komplexität und variierender Lautkombination.

Das letzte Stück auf dem Programm war Eine alpenländische Volksweise von Krieg und Tod (2017) von Fabio Nieder (* 1957), welches ein hundert Jahre altes slowenisches Soldatenlied und einen Ländler aus Kärnten, wo eine slowenische Minderheit ansässig ist, vermischt. Es ist eine ethnische Konfrontation auf musikalischer Ebene. Die zwei verwendeten Klangschalen mit demselben Ton, der zum Orientierungspunkt im Stück wird, geben dem Werk einen meditativ-atmosphärischen Charakter. Dazu beginnen die Sänger melodische Fragmente zu singen und bestechen mit fesselnder Zartheit im Stimmklang. Durch die langen Pausen zwischen gesungenen Teilen und einem Durchklingen der Klangschalen entsteht der Eindruck von stehengebliebener Zeit, einem luftleeren Raum. In harmonischem Mehrklang wird das slowenische Soldatenlied im windischen Dialekt fortgesetzt, während vereinzeltes Wimmern wahrnehmbar ist. Im Dissonanzklang kommen die Bläser hinzu, zerstören die harmonische Schönheit des Gesangs und eine Militärtrommel wird geschlagen. Das permanente Unterbrechen der Klänge, abgesehen von den Klangschalen, lässt das Soldatenlied zerfallen. Die Dissonanzklänge treten wie Bilder des Krieges immer wieder hinzu und verfärben das gesungene Lied. Ein Abwechseln von harmonischem Liedgesang, hinzukommenden dissonanten Bläserklängen und leidvolles Wimmern setzt sich in ruhig-getragener Atmosphäre fort, bis sich auch das Lied der Sänger "verstimmt" und dissonant wird. Dazu erklingt der fatale Schlag der Militärtrommel und die Bläserklänge werden dominanter. Ein atonaler Ausbruch von Bläsern und Sängern mit dem gleichzeitigen Schlagen der Trommel symbolisieren das Leid des Krieges. Davon veranlasst, schwingt sich der Sopran in die Höhe, versucht eine Melodie anzustimmen und versinkt mit Glissandi wieder in der Tiefe. Das Wimmern vermehrt sich. Der Krieg hat überhand genommen und kann durch kein einfaches Lied "weggesungen" werden. Angschlagene Klangschalen erinnern an Kirchenglocken und den Tod. Mit flehenden Melodiefragmenten klingt das Stück aus - alle Lieder sind im Anblick des Todes verstummt. Ein letzter dissonanter Klang der Bläser und das Schlagen der Trommel bestätigen die Endgültigkeit.

Nach diesem tragisch-melancholischem Schlussstück gaben die Ensembles noch eine beschwingte Zugabe, die Alban Wesly (* 1967), der Fagottist des Ensembles; zu dem lateinischen Satzpalindrom "sator arepo tenet opera rotas" komponiert hat. Die Musiker wurden mit lebendigem Applaus für das facettenreiche und eindrucksvolle Konzert belohnt.




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Morphing Relations

Kunst-Station St. Peter
9. Mai 2018


Ausführende

Calefax:
Oliver Boekhoorn, Oboe
Ivar Berix, Klarinette
Ralf Hekkema, Saxophon
Jelte Althuis, Bassklarinette
Alban Wesly, Fagott

Neue Vocalsolisten:
Johanna Zimmer, Sopran
Susanne Leitz-Lorey, Sopran
Truike van der Poel, Mezzosopran
Martin Nagy, Tenor
Guillermo Anzorena, Bariton
Andreas Fischer, Bass



Programm

Morphing Relations


Steffen Krebber
mediated Mixes (2017)
für fünf Stimmen und
fünf Rohrblatt-Instrumente

Michael Beil
Die Drei (2002)
für sechs solistische Sänger

José María Sánches Verdú
Terrains Vagues (2017)
für fünf Stimmen und
fünf Rohrblatt-Instrumente

Brigitta Muntendorf
durchhören (2010)
für Oboe, Klarinette,
Bassklarinette, Saxophon und Fagott

Fabio Nieder
Eine alpenländische Volksweise
von Krieg und Tod.
Windisches Soldatenlied aus Kärnten/Koroska.
Ländler. Eine Konfrontation.
(2017)
für fünf Stimmen und
fünf Rohrblatt-Instrumente





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