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Erst im Unsinn erhält das Sein seinen Sinn
Von Stefan Schmöe / Fotos: Marc Wohlrab
2008 ist Alfred Brendel zum letzten Mal als Pianist aufgetreten. Seitdem schreibt er Essays und Gedichte. Als Godot endlich erschien, war die Enttäuschung groß" heißt es in einem davon. Die Texte bewegen sich zwischen Lakonik und Absurdität, und eine feine Prise von Kreislers Boshaftigkeit schwingt auch mit. "Als Einstein / im Himmel angelangt / sah / dass Gott würfelte / drehte er sich um / und sagte/ Wo geht's hier zur Hölle", heißt es an anderer Stelle - das ist an diesem hinreißenden, leider gerade einmal eine Stunde kurzen Abend das Schlusswort. Brendel liest seine Gedichte trocken, fast nüchtern, wodurch sich die subtile Komik umso schöner entfaltet.
In Pierre-Laurent Aimard hat er einen kongenialen Partner am Klavier und darüber hinaus, denn Aimard (der bereits im Eröffnungskonzert des Klavierfestival 2018 zu hören war) liefert auch pantomimisch allerlei Kabinettstückchen - läuft zwischendurch Türe knallend aus dem Saal, schleicht sich betreten durch eine andere Türe wieder hinein, hängt sich zum Gedicht Bärte einen gewaltigen Rasputin-Bart um, der beim nächsten Gedicht Brahms gleich zu eben diesem Komponisten passt, dessen Pose Aimard prompt einnimmt. Brendel und Aimard sind bestens aufeinander eingespielt (die beiden arbeiten seit Jahren zusammen). Um auf den erwähnten Godot zurückzukommen: Ein wenig erinnern die beiden in dieser mitunter wunderlichen Farce an Wladimir und Estragon, die beiden grotesken Protagonisten aus Becketts Drama.
Zwischen den Gedichten spielt Aimard kurze Stücke von György Kurtág (*1926) und György Ligeti (1923 - 2006), von letzterem aus den zwischen 1985 und 2001 entstandenen Etüden (die Nr. 10 Der Zauberlehrling ist Aimard gewidmet) und die erste der Musica ricercata (1951 - 53); von Kurtág aus Játékok (Spiele), einer inzwischen auf neun Hefte angewachsene Sammlung kleiner und kleinster Stücke für Klavier (teilweise vierhändig). Inspiriert sind die Kompositionen u.a. durch Kinder und deren unangeleitetes Experimentieren am Klavier, verbunden mit teilweise graphischer Notation und unorthodoxen Spieltechniken wie dem Spiel mit den Fäusten. Manche der aphoristischen Stücke verarbeiten berühmte Kompositionen wie in Hommage à Tschaikowsky den Beginn dessen b-Moll-Klavierkonzerts mit den markanten Akkorden des Beginns, hier zu Clustern erweitert (aber in der Struktur leicht wiederzuerkennen), oder in Hommage à Verdi eine Variation über die absteigende Melodielinie der Arie Caro nome il mio cor (aus Rigoletto).
Pierre-Laurent Aimard
Aimard versteht es fabelhaft, sofort mit dem ersten Ton den Charakter der meist sehr kurzen Stücke Kurtágs einzufangen und aus mitunter sehr wenigen Tönen kleine Meisterwerke zu bauen. Jeder Ton wird anders angeschlagen, und jeder wird als kleines Ereignis zelebriert. Vom verinnerlichten Pianissimo bis zum federnd kraftvollen Fortissimo bei Ligeti zeigt er eine enorme Bandbreite an höchst differenziert eingesetzten Ausdrucksformen. Aimard, dem man in seinem durch und durch souveränen und abgeklärten (aber nie in bloße Routine verfallenen) Interpretationen die riesige Erfahrung mit "neuer" Musik anhört, spielt nicht "romantisch", aber doch ausgesprochen klangsinnlich. Und wenn sich eine Trillerkette verflüchtigt und durch bloße Handbewegung in der Luft fortsetzt, oder wenn der geschlossene Flügel als Percussionsinstrument traktiert wird (auch das sehr nuanciert), dann bewegt sich das auf dem gleichen feinen Grad zwischen Unsinn und Ernst, der aus Brendels Gedichten spricht.
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Klavierfestival Ruhr 2018 Ein Finger zu viel Essen, Museum Folkwang, Karl Ernst Osthaus-Saal 27. Mai 2018 AusführendeAlfred Brendel, LesungPierre-Laurent Aimard, Klavier ProgrammAlfred Brendel liest eineAuswahl eigener Gedichte György Kurtág: Játékok (Auszüge) György Ligeti: Musica Ricercata Nr. 1 Etüden für Klavier (Auszüge) Klavierfestival Ruhr 2018 - unsere Rezensionen im Überblick
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