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Ein hochvirtuoser Klangzauberer
Von Stefan Schmöe / Foto: Peter Wieler
Samuil Feinberg? Russischer Pianist (1890 - 1962), durch frühe Schallplatteneinspielungen von Bach zu Ehren gekommen. Sagt Wikipedia. Als Pianist hierzulande weitgehend unbekannt, wobei es von den 12 Klaviersonaten immerhin eine CD-Einspielung gibt. Trotzdem spricht natürlich Pioniergeist aus der Entscheidung Marc-André Hamelins, die etwa halbstündige dritte Sonate aufs Programm zu setzen. Entstanden 1916, bewegt sie sich im Dunstfeld Skrjabins und Profofjews. In verschwimmender Tonalität treibt Feinberg kurze Motive durch den Tonraum, sequenziell auf - und absteigend, ziemlich dick unterlegt durch Klangflächen, die einiges an Virtuosität verlangen. Die vornehmlich düstere Musik ist von hoher Motorik geprägt; manche Passagen besitzen die Unerbittlichkeit eines mechanischen Klaviers. Hamelin spielt kraftvoll, belässt aber einen romantischen Schleier über der Komposition, bewegt sich elegant auf der Mitte zwischen hämmernder Mechanik und Weichzeichner. Die eigentümliche und auch eigensinnige Musik entwickelt dabei eine immense Sogwirkung, die sich in einen virtuosen Rausch steigert. Hamelin zeigt durchaus selbstbewusst seine technischen Fähigkeiten, wobei er diese gezielt gestalterisch einsetzt als immer stärker flirrende Klangfarben. Feinbergs Sonate ist vielleicht kein Meisterwerk, eine hochinteressante Abwechslung aber allemal.
Aus diesem Blickwinkel erschließt sich, warum der 56jährige, aus Kanada stammende Pianist mit einem etwas rätselhaften Virtuosenstück, nämlich Franz Liszts Bearbeitung von Beethovens Kunstlied Adelaide, begann. Das mag Liszt zur Entstehungszeit als Vehikel gedient haben, die Beethoven-Begeisterung seiner Zeit mit der eigenen pianistischen Kunstfertigkeit zu kombinieren - ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Hamelin setzt mit großer Eindringlichkeit die Innigkeit der Melodie gegen die brodelnde Begleitung, als gelte es, die Schlichtheit der Phrase gegen alles Virtuosentum zu verteidigen. Nebenbei lässt er aufblitzen, wie man das Werk zur brillanten Selbstdarstellung nutzen könnte, um sofort wieder zurückzukehren zu einer Sichtweise, die mehr Beethoven als Liszt ins Zentrum rückt. Da gewinnt die Musik plötzlich eine ganz eigene Spannung.
Und trotzdem: Der aufregendere Teil des Konzerts ist der nach der Pause mit dem zweiten Band von Debussys Preludes und deren bei aller impressionistischer Farbigkeit doch großer Klarheit. Hamelin beginnt wie aus dem Nichts, der unendlich zarte Anschlag enthebt die Töne jeder greifbaren Sphäre. Wo bei Debussy pp als Lautstärke steht, muss man sich bei Hamelin ein vierfaches Pianissimo denken; dass der Steinway überhaupt so anspricht, quasi anschlaglos , ist ein Wunder für sich. Brouillards (Nebel), so der - wie bei allen Preludes vom Komponisten nachgeschobenen, erst am Ende des Stückes (und nicht als programmatische Überschrift) angezeigten "Titel", sind hier fast gleißend aufleuchtende, verschwimmende und doch keineswegs vage Klangflächen von betörender Intensität. Hamelin nutzt alle Mittel, um Töne an der Grenze zur Stille nachklingen zu lassen, aber nie als Effekt für sich, sondern immer mit Blick auf das Ganze. Was sich aber durchzieht, ist, trotz kraftvoller Einlagen, dieser unendlich zarte Anschlag.
Hamelin spielt geradezu magisch mit den Klangfarben und entwickelt die Stücke eben aus diesen Farben heraus, eher flächig gedacht, voller Überraschungsmomente und auch hier mit einem keineswegs versteckten Maß an Virtuosität. Dabei hat er durchaus trockenen Humor, am offensichtlichsten in der Nummer fünf Dans le style et le mouvement d'un Cakewalk… Général Lavine - exentrique mit geradezu bärbeißigem Witz, der am Ende jeden Akkord, jede Note scheinbar übergenau nehmen will. Die Canope (der Begriff "Kanopen" bezeichnet die vasenartigen Gefäße, in denen im alten Ägypten die Eingeweide von Mumifizierten beigesetzt wurden) mit ihrer choralartigen Akkordfolge wird zum faszinierenden Gang wie in eine andere Welt, bei derm jeder der Akkorde eine neue Sphäre eröffnet. Im abscjließenden Feuerwerk (original: Feux d'Artifice wirken die mit sehr weichem Anschlag gespielten Klangkaskaden wie, wenn man sich auf eine solche Bildebene begeben möchte, die verschwimmende Spiegelung. Alles in allem: Eine Interpretation von allerhöchstem Rang mit Referenzanspruch.
In den Zugaben zeigte sich Hamelin zunächst noch einmal als Entdecker beim Graceful Ghost Rag des amerikanischen Komponisten William Bolcom (*1938), ein hübscher, 1970 komponierter Ragtime über einen wohl ziemlich netten Geist - von Hamelin zurückgenommen und verinnerlicht gespielt. Zum Abschluss dann ein Virtuosenstückchen aus eigener Feder des Pianisten: Die Toccata on L'homme Armé, die er zuletzt rund 30mal habe anhören müssen, wie er mit feiner Selbstironie kundtat, nämlich als Juror im Van Cliburn-Wettbewerb 2017, wo Hamelin als Juror fungierte und eben diese Komposition Pflichtstück war. Lust an raffiniert auskomponierter, aber keineswegs effekthascherischer pianistischer Kunstfertigkeit war ein Rausschmeißer mit Unterhaltungswert.
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Klavierfestival Ruhr 2018 Bochum, Anneliese Brost Musikforum Ruhr 28. Mai 2018 AusführendeMarc-André Hamelin, KlavierProgrammLudwig van Beethoven:Adelaide op. 46 (Bearbeitung von Franz Liszt) Samuil Feinberg: Klaviersonate Nr. 3 op.3 - Pause - Claude Debussy: Preludes Heft II Zugabe: William Bolcom (*1938): Graceful Ghost Rag Marc-André Hamelin: Toccata on L'homme Armé Klavierfestival Ruhr 2018 - unsere Rezensionen im Überblick
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