Die menschliche Existenz ist nicht tragisch, sondern absurd
Von Stefan Schmöe
/ Fotos © Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Rund siebeneinhalb Stunden dauert Franz Kafkas Roman Der Prozess als Hörbuch. Gottfried von Einems Opernfassung, eng an der Vorlage orientiert, kommt mit knapp zwei Stunden aus, ohne wesentliche Handlungsstränge zu unterschlagen: Das ist Kafka im Schnelldurchlauf. Ein deklamatorischer Stil, der große Textverständlichkeit ermöglicht, dazu mit flotter Musik unterlegt, die klar tonal ist (und gelegentliche Abschweifungen wie feine Würze einstreut), rhythmisch komplex, ganz selten nur expressiv, sondern bei aller Farbigkeit von angemessener Sachlichkeit. Tanzmusik der Zeit klingt immer mal wieder an. Bezugspunkte sind mehr Hindemith und Weill als Berg und Webern. Die Schärfe eines Schostakowitsch erreicht sie nicht. Aber sie ist nie langweilig.
Ensemble
Unter der musikalischen Leitung von HK Gruber, Schüler und Freund von Einems, zeigt diese Musik Witz und Unterhaltungsqualitäten. Der Titel eines Essays im Programmheft, "Eine Oper der Angst", will da nicht recht passen. Mit dem sehr guten Radio-Symphonieorchester des ORF tilgt Gruber jegliches Pathos, betont mit Lust an der Überraschung plötzliche Farbwechsel, nimmt die Musik leicht und jeden tänzerischen Anklang mit nonchalanter Lässigkeit. Die düster-rätselhafte Geschichte um den Bankangestellten Josef K., der ohne ersichtlichen Grund verhaftet wird (dabei aber in Freiheit bleibt), der sich einem rätselhaften, nie greifbaren Prozess ohne konkrete Anklage jenseits der realen Rechtsordnung ausgesetzt sieht und am Ende hingerichtet wird, erscheint als komische Absurdität. (Dazu trägt auch bei, dass, es muss schließlich laut Libretto an eine Türe geklopft werden, als "Instrument" tatsächlich eine Holztüre im Orchester steht.) Die Fanfaren zur ersten gerichtlichen Untersuchung haben bei Gruber heiter-festlichen Glanz (und hallen in der Akustik der Felsenreitschule hübsch nach). Zur Hinrichtung, die nur angedeutet wird, erklingen Glissandi vom Klavier über die weißen Tasten - banale Tonleitern statt dunkler Verzweiflung. Selbst die vorletzte Szene "Im Dom" hat hier eine wie pastellfarbene Düsternis.
von links: Jörg Schneider, Anke Vondung, Ilse Eerens, Michael Laurenz
Uraufgeführt 1953 eben bei den Salzburger Festspielen, hat das Werk es anlässlich des 100. Geburtstags des Komponisten nun wieder zu Festspielehren am gleichen Ort gebracht, wenn auch leider nur konzertant (dafür aber mit Übertragung im österreichischen Rundfunk). Der Prozess wurde von mehreren Bühnen nachgespielt, ehe in den späteren 1950er-Jahren die serialistische Avantgarde zwischen Boulez und Stockhausen zunehmend den musikalischen Diskurs bestimmte und von Einem ins Abseits schob. Die beiden Wiener Opernhäuser haben zu Ehren des Jubilars, aber auch mit Blick auf die Qualitäten der Werke jüngst Dantons Tod und den Besuch der alten Dame in Szene gesetzt. Da hätte Salzburg mit einer Bühnenversion vom Prozess eine schöne Ergänzung liefern können, aber, wie gesagt, die Aufführung ist konzertant. Was etliche Besucher dazu veranlasste, trotz Übertiteln im Libretto (im Programmheft abgedruckt) mitzulesen, denn ohne nähere Kenntnis des Romans ist die Handlung anscheinend doch recht irritierend. (Man hätte freilich die Übertitel um ein paar Orts- und Handlungsangaben, die sich aus den Dialogen nicht ergeben, ergänzen können.) Und überhaupt, so sehr sich die Librettisten Boris Blacher und Heinz von Cramer wortgetreu an Kafkas originale Textpassagen gehalten haben - die Beschreibung der grotesken Szenerien geht verloren, und da fehlt die Bühne als visuelle Ergänzung schon ganz gehörig.
HK Gruber und Partitur
Dabei deutet der smarte Charaktertenor Michael Laurenz mit feiner Gestik die wachsende Verunsicherung des Josef K. hübsch an. Stimmlich außerordentlich souverän, mit sehr genauer Phrasierung und exzellenter Textverständlichkeit (wie beim gesamten Ensemble) bewältigt er die riesige Partie bravourös. Ilse Eerens singt mit jugendlich jubelndem Sopran die Partien der vier jungen Frauen, die K. begegnen und erotisch nahekommen. Jochen Schmeckenbecher verleiht dem Geistlichen im Dom ebenso wuchtiges Format wie dem Aufseher, dem Fabrikanten und einem Passanten. Auch alle weiteren Partien sind hervorragend besetzt, dazu sehr gut aufeinander abgestimmt. Vorrang hat immer der Text, aber die vokale Intensität geht nicht verloren, und da fällt niemand aus der Reihe. Am Ende hielt HK Gruber dem jubelnden Publikum fast triumphierend die Partitur entgegen, was den Applauspegel noch einmal hob. Gottfried von Einem, einst Mitglied im Festspielrat, ist wieder in Salzburg angekommen.
FAZIT
Diese scharf konturierte, mit schelmischem Augenzwinkern durchgestaltete, musikalisch mustergültige konzertante Aufführung macht Lust auf eine szenische Produktion.
Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
HK Gruber
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Solisten
Josef K.
Michael Laurenz
Der Aufseher / Der Geistliche /
Der Fabrikant / Ein Passant
Jochen Schmeckenbecher
Der Student / Der Direktor-Stellvertreter
Matthäus Schmidlechner
Titorelli
Jörg Schneider
Der Untersuchungsrichter / Der Prügler
Lars Woldt
Willem / Der Gerichtsdiener / Der Advokat
Johannes Kammler
Franz / Kanzleidirektor / Onkel Albert
Tilmann Rönnebeck
Fräulein Bürstner / Die Frau des Gerichtsdieners /
Leni / Ein buckliges Mädchen
Ilse Eerens
Frau Grubach
Anke Vondung
Ein Bursche/ Drei Herren / Drei junge Leute
Alexander Hüttner
Drei Herren / Drei junge Leute
Martin Kiener
Drei Herren / Drei junge Leute
Daniel Gutmann
weitere Berichte von den Salzburger Festspielen 2018
Zur Homepage der
Salzburger Festspiele
|