Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Stimmen, in denen man Baden möchteVon Bernd Stopka / Fotos: © Salzburger Festspiele / Marco Borrelli Georges Bizets Les Pêcheurs
de perles
(Die
Perlenfischer)
haben es neben
seinem
Welterfolg Carmen
schwer, zumal
dieser Oper
der Hauch der
Süßlichkeit,
des gewollt
exotisch-fernöstlichen
Kolorits
anhaftet und
sie
entsprechend
abgestempelt
wird. Eines
der schönsten
Männerstimmen-Duette
„Au fond du
temple saint“
und die
Romanze „Je
crois entendre
encore“ stehen
in der ersten
Reihe der
beliebtesten
Wunschkonzertnummern
und geraten
leicht an die
Grenze zum
Gefühligen,
wenn sie, aus
dem
Gesamtzusammenhang
der Oper
gerissen,
entsprechend
interpretiert
werden. Aber
wie das mit
den Stempeln
so ist – es
steckt sowohl
Wahrheit in
ihnen also
auch
ungerechte
Vereinfachung.
In Les
Pêcheurs de
perles
gibt es viele
Feinheiten und
Farbenreichtum
zu entdecken –
und ja, es ist
auch Musik zum
darin Baden,
als
konzertante
Aufführung
sowieso. Und
warum auch
nicht? Mit
herausfordernden
Inszenierungen,
musikalischen
Experimenten
und agogischen
Verrenkungen
setzt sich der
fleißige
Opern- und
Konzertbesucher
eh schon
ausgiebig
auseinander.
Heuer in
Salzburg
insbesondere.
Plácido Domingo (Zurga),
Javier Camarena (Nadir), Riccardo
Minasi (Musikalische Leitung),
Mozarteumorchester Salzburg
Die Geschichte spielt „in alten Zeiten“ auf Ceylon: Die Perlenfischer wählen zum Saisonbeginn Zurga zu ihrem König. Sein alter Freund Nadir, der lange in der Ferne weilte, kommt dazu. Sie erneuern ihre Freundschaft, die sie einst sogar so weit gebracht hat, dass jeder auf die Frau verzichtet hat, die sie beide geliebt haben, um ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Nun wird genau diese Frau, Leila, zur keuschen Priesterin erwählt, die für die Perlenfischer schützend singen und beten soll. Leila und Nadir erkennen sich und können nicht voneinander lassen. Als die Liebestat durch den Oberpriester Nourabad aufgedeckt wird, pocht König Zurga vor der lynchen wollenden Menge auf sein Recht, über sie zu urteilen. Zunächst ist er gnädig gestimmt, doch verdammt er sie zum Tod auf dem Scheiterhaufen, als er die ebenfalls von ihm geliebte Leila erkennt und sieht, dass Nadir Verrat an ihrer Freundschaft begangen und den so leidenschaftlich besungenen Freundschafts- und Treueschwur gebrochen hat. Ein Gewitter zwingt alle, den Gott Brahma anbetend, auf die Knie. Zurga bereut sein Urteil, betrauert die Lage und besinnt sich auf die große Freundschaft – und doch bittet Leila vergebens um Gnade für Nadir. Aber als sie auf dem Weg zum Scheiterhaufen einem Fischer ihre Kette gibt, der sie ihrer Mutter geben soll, erkennt Zurga diese als die Kette, die er einst einem jungen Mädchen als Dank dafür gab, dass sie ihm das Leben gerettet hat. Er setzt das Zeltlager in Brand und im entstehenden Tumult können die beiden Verurteilten fliehen. Für den Schluss der Oper liegen mehrere Varianten vor: Nachdem Zurga den beiden Liebenden auf diese Weise zur Flucht verholfen hat, wird er entweder selbst auf dem eigentlich für sie errichteten Scheiterhaufen verbrannt, erstochen oder begeht Selbstmord. Oder der Schluss wird offengelassen und wie hier in der konzertanten Fassung einfach nur musikalisch zelebriert – mit Zurgas finaler Erkenntnis: „Brahmas weiser Rat bestraft meine Tat mit Tod und Verderben!“ Die Charakterisierung des exotischen Volkes ist zwar haarsträubend, aber die Handlung ist auch nicht konstruierter als die anderer Opern. Liebe, Freundschaft, Treue – die üblichen Verdächtigen einer Opernhandlung – werden von Bizet mit hochleidenschaftlicher, sehr emotionaler Musik erfüllt. Die Melodie des Duetts durchzieht die Oper leitmotivisch und stellt so die Freundschaft, die Ehrenhaftigkeit und Treue der beiden Männer in den Vordergrund (Don Carlo und Posa lassen grüßen). Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf Zurgas Seelenleben, der hin- und hergerissen zwischen seiner freundschaftlichen Liebe zu Nadir und seinen verletzten Gefühlen steht. Erst voller Verständnis und Verzeihen und dann gleich wieder voller Wut nach dem Motto, „wenn ich nicht lieben darf, darfst Du das auch nicht!“. Das Ganze noch einmal hin und wieder zurück und wieder hin...
Dass
die
Liebesgeschichte
zwischen Leila
und Nadir in
Salzburg
dennoch den
intensivsten
Eindruck
hinterlässt,
liegt an der
Sängerbesetzung,
die
glücklicher
nicht hätte
gewählt werden
können. Das
Duett im
zweiten Akt
mit einem
geradezu
himmlisch
ausschwebenden
Schlusston
wird zu einem
Höhepunkt der
Aufführung.
Aida
Garifullina
singt die
Leila zum
Niederknien
mit
ausdrucksvollem,
hochkultiviertem
geradezu
schwebend
schlank
klingendem
Sopran. Die
Koloraturen
klingen
geradezu
engelhaft –
wie hell
glänzende
Perlen reiht
sie die Töne
mit hoher
Legatokultur
aneinander und
erreicht den
Eindruck, dass
es sich um
eine
Ausdrucksform,
nicht um die
bloße
Darstellung
von
Gesangskunst
handelt.
Javier
Camarena ist
ein
wundervoller
Nadir. Mit
seinem
geradlinig
geführten
hellem und
leichtklingendem,
aber nicht zu
leichtem Tenor
erreicht er
wie
selbstverständlich
sanft
strahlende
Spitzentöne
von warmem
Glanz. Die
Romanze im
ersten Akt
schwebt
federleicht
und doch
stimmvoll
durch den
Saal. Zusammen
mit einer
vorbildlichen
Artikulation
gelingt ihm
eine geradezu
natürlich
wirkende,
ausdrucksstarke
Interpretation,
die er mit
kurzen Gängen
und kleinen
Gesten (ohne
auch nur einen
Blick in den
Klavierauszug)
anreichert. Im
allerbesten
Sinne ein
„Gänsehaut-Tenor“,
wie es meine
Sitznachbarin
treffend
ausdrückte und
mir den Beweis
auf ihrem
Unterarm nicht
schuldig
blieb.
Stanislav
Trofimov lässt
in der kleinen
Partie des
Priesters
Nourabad (die
man sich bei
diesem
volltönendem,
großartigen
Bass sehr viel
umfangsreicher
wünschen
möchte) eine
eindrucksvolle
Kombination
von
Stimmgewalt
und
Stimmkultur
hören.
Placido Domingo hat in früheren (Tenor-)Jahren im Duett mit diversen Kollegen die Partie des Nadir gesungen. Nun singt er (mit 77) den Zurga. Nach einem etwas verhaltenem Beginn, der doch ein wenig das gewohnte Stimmvolumen, den Schmelz und die Wärme der Stimme vermissen ließ, steigerte er sich im Laufe der Aufführung und ließ in der großen Szene zu Beginn des dritten Aktes dem strömenden Wohlklang seiner Stimme freien Lauf. Die Stimme sitzt, wenn auch nicht ohne leichte Ermüdungserscheinungen, und das größer gewordene Vibrato hält sich in wohltönenden Grenzen. Als einziger im Ensemble scheint er nicht über seiner Partie zu stehen: Er singt nicht nur aus, sondern vor allem ständig in die Noten. Der dennoch hörbare Ausdruckswille wirkt aber doch sehr künstlich und nicht besonders überzeugend, wenn man ein so inniges Verhältnis zum Notentext pflegt. Dass man auch ohne Kostüm und Bühnenbild mit wenigen Bewegungen und Blicken, aber ausdrucksvoller gesanglicher Gestaltung ein unglaublich intensives Opernerlebnis erreichen kann, beweisen die anderen Sänger ausgiebig. Domingo hat sich als Tenor längst einen Platz in den ersten Reihen der größten Opernsänger aller Zeiten verdient – und auch einen Ehrengastplatz in den ersten Parkettreihen. Seine ehemalige Kollegin Christa Ludwig mutmaßte kürzlich, er werde auch noch einmal den Sarastro singen, aber anlässlich seines Walküre-Dirigats in Bayreuth diesen Sommer war zu lesen, dass er mit Amfortas und Wolfram liebäugelt. Walter Zeh (Choreinstudierung), Stanislav Trofimov (Nourabad), Javier Camarena (Nadir), Aida Garifullina (Leïla), Plácido Domingo (Zurga), Riccardo Minasi (Musikalische Leitung), Mozarteumorchester Salzburg, Philharmonia Chor Wien Riccardo Minasi, Chefdirigent des Mozarteumorchesters Salzburg, lotet die vielfältigen Farben der Partitur sorgfältig aus, spannt große Bögen und lässt mit dem bestens disponierten Orchester (mit eindrucksvollen solistischen Leistungen) eine große Bandbreite zwischen fein-zarten Pianissimi und gewaltigen Ausbrüchen hören. Die eine und andere Schlusssteigerung gerät dabei allerdings etwas zu effektheischend. Der Philharmonia Chor Wien wurde von Walter Zeh bestens einstudiert und klingt homogen und kraftvoll, für die Solisten manchmal etwas zu kraftvoll. FAZIT Eine beglückende konzertante Aufführung auf sehr hohem Niveau. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
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- Fine -