Mit
höchster Intensität
Von
Bernd
Stopka / Fotos: ©
Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Hans Neuenfels: „Das
bürgerliche
Genießen wird
groteskiert
und
banalisiert“.
Das Credo des
Altmeisters
des
regielichen
Berserkertums
wirkt heute
doch eher
antiquiert,
wie aus einer
anderen,
vergangenen
Zeit. Seine
Bayreuther
Ratten wurden
zu
Publikumslieblingen,
hinter denen
die
Provokationen,
wie der
Homunkulus am
Ende seiner
Lohengrin-Inszenierung,
zurückblieben.
Ähnliches ist
nun bei der
Salzburger Pique
Dame zu
erleben. Der
Meister ist
zahm geworden,
Provozierendes
milde und eher
unwichtig.
Dafür erzählt
er mit einer
unglaublich
starken und
fesselnden
Personenregie,
die tragische
Geschichte des
Außenseiters
Hermann, der
nicht nur so
gern
dazugehören
würde, sondern
gleich ein
ganz besonders
Großer,
Toller, vor
allem Reicher
sein möchte.
Seine
Situation wird
durch die
Kostüme
(Reinhard von
der Thannen)
unterstrichen:
Hermann ist
ein Soldat in
rot-goldener
Uniform, seine
Freunde
Tschekalinski,
Surin und
Tomski sind
hier keine
Soldaten,
sondern reiche
Männer in
überbetont
üppige
Pelzmäntel
gekleidet, die
jedes
russische
Klischee
bedienen und
dabei an
Oligarchen
erinnern. Das
verdeutlicht
Hermanns
Sehnsucht nach
Reichtum, die
die treibende
Kraft der
ganzen
Geschichte
ist,
intensiver,
als die
Originalkonstellation.
Denn allein
dies treibt
Hermann an.
Die fragwürde
Liebe zu Lisa
hat den
gleichen
Grund: von der
Gräfin, ihrer
Großmutter,
die immer
Glück
bringenden
drei
Spielkarten zu
erfahren.
Jederzeit wäre
er bereit,
Lisa für den
Reichtum zu
opfern.
Das Erscheinen der Zarin
Das
Bühnenbild (Christian
Schmidt) begrenzt im
Hintergrund eine an den
Seiten nach vorn
gebogene dunkle Wand,
die mit quadratischen
Polstern ausgekleidet
ist (wie in einem Raum,
aus dem kein Laut
herausdringen darf). In
der Mitte befindet sich
eine Art Bilderrahmen,
der zu einem oder zwei
Bildern geöffnet werden
kann und durch den
weitere
Bühnenbildelemente
geschoben werden, wie
eine Art drehbarer Raum
mit 4 Zimmern und
Durchgangstüren, der von
den anderen
durchschritten wird, von
Hermann aber nur in
Bewegung gehalten. Alles
ist düster-dunkel, aber
der Rahmen ändert
zwischendurch seine
Farbe bedeutungsschwer
ins silbrige oder
goldene. Ein übergroßer
Spieltisch mit grünem
Vlies symbolisiert das
Kartenspiel.
Zu Lisas großer Szene
zeigt sich im Rahmen ein
Sternenhimmel und
quaderförmige, an
stilisierte Särge
erinnernde Elemente
werden auf immer wieder
in Aktion tretenden
Laufbändern
hereingefahren. Ein
wilder Tanz der
Freundinnen wird von
einer archetypischen
Gouvernante mahnend
beendet. Einer der
Quader wird als Lisas
unbequemes Bett
hergerichtet. So
unbequem wie ihre
Lebensaussichten. Denn
so bewegt sie sich
Hermann gegenüber zeigt,
so kühl verhält sie sich
zu ihrem Bräutigam, der,
in Uniform gekleidet,
von einer Familie an der
Mittagstafel mit 4
Kindern singend träumt,
die sich leibhaftig vor
ihnen zeigt. Sein Glück
ist ihr Albtraum und
entsetzt läuft sie von
der Bühne. Ein starkes,
intensives Bild, dass
das Drama dieser
arrangierten aber von
Lisa nicht gewollten Ehe
zeigt. Später wird sie
sogar durch das
Fortwerfen eines
Blumenstraußes Jeletzkis
Zuneigung verweigern.
Das Schäferspiel wird
durch drei weiße Diener
in Livree mit
Schafsköpfen als solches
apostrophiert. Sie
sitzen vorn rechts an
der Bühne und stricken
(ihre eigene Wolle?).
Zwei Tänzer und eine
Tänzerin stellen die
Geschichte sehr
realistisch dar, während
die Sänger im
Hintergrund die Partien
singen… sollen, denn sie
greifen immer wieder in
die Geschichte ein, so,
als ob sie nicht nur
singen, sondern auch
spielen wollten. Ein
köstlicher Einfall.
Das Schäferspiel
Das
strahlend
weiße Zimmer
der Gräfin
blendet nach
all der
Düsternis. Es
ist ein
spartanisch
eingerichtetes
Krankenzimmer
mit Paravent,
Bett,
Nachttisch und
Stuhl. Die
Gräfin, zuvor
überbunt und
auffällig
gekleidet, ein
grell
geschminkter
Schatten ihrer
selbst, wird
bis aufs Hemd
entkleidet und
insbesondere
ohne die
Perücke
erscheint sie
mit
vollständiger
Glatze wie der
traurige Rest
ihrer einst
übermächtig
schönen
Erscheinung.
Unter dem
Schutz ihrer
Ausstattung
kann sie
Stärke
demonstrieren
und Macht über
Lisa ausüben.
Aber derart
verletzlich
muss sie durch
Hermanns
Insistieren
auf die
Offenbarung
der drei
magischen,
Karten sterben
– so ward es
ihr verhießen
und so
geschieht es.
Eine so
intensive
Szene, dass
man eine
Stecknadel
hätte fallen
hören. Ganz
starkes, ganz
großes
Theater. Da
würde es die
Pistole, mit
der Hermann
die Gräfin
bedroht, gar
nicht
brauchen.
Zu Hermanns
Horrorvisionen
werden
vorüberziehende
Häuserfassaden
und ein sich
mittig
verbreiternder
gepflasterter
Gehweg als
Projektionen
gezeigt.
Vorbeikommende
Männer, einige
tragen Hunde-
und
Rattenköpfe,
ignorieren den
immer mehr
verzweifelnden
Hermann, den
auch die mit
gepacktem
Koffer zum
Durchbrennen
bereite Lisa
nicht
aufhalten
kann. Er ist
verloren.
Entsetzt reißt
sie ihren
Schatten von
der Wand.
Ein letztes
Aufbäumen von
Glückshoffnung
bringt den
irre wirkenden
Hermann an den
Spieltisch.
Die Gräfin hat
ihm in einer
Vision die
drei Karten
verraten und
er will es
wagen.
Maskierte
Männer
beobachten die
Szene, die
etwas
Illegales zu
haben scheint.
Drei – Sieben
– aber nicht
das As,
sondern die
Pique Dame
werden
gezogen. Das
süffisant
zwinkernde
Gesicht der
Gräfin wird
aus beiden
Profilen und
frontal
projiziert.
Hermann
versinkt
sterbend mit
der
Spieltischfläche
ins Bodenlose.
Allgemeine
Betroffenheit
auf der Bühne?
Nicht nur -
einigen
scheint
Hermanns
Schicksal auch
einfach egal
zu sein. Er gehört ja
nicht zu ihnen.
Neuenfels
erzählt die
Geschichte
eins zu eins
mit intensiver
Personenregie,
die auch
bekannte
klassische
Operngesten
und
-konstellationen
zulässt.
Tomskis
Erzählung der
Geschichte der
Gräfin ist
beispielsweise
ganz
klassisch, ja
geradezu
„operngestisch“
inszeniert und
doch
hochspannend.
Wenn es
emotional
besonders
intensiv wird,
gibt Neuenfels
dem Kaiser,
was des
Kaisers ist
und macht
keine
Fisimatenten.
Auch witzige
Elemente
(strickende
Schafe) sind
nicht verpönt.
Hanna Schwarz (Gräfin), Brandon
Jovanovich (Hermann)
Und die Provokationen? Zur
zartesten
Musik werden
am Beginn
Kinder in
Käfigen auf
die Bühne
gefahren und
an Bändern
vorgeführt.
Puppenartige
Frauen mit
riesigen, vorgehängten
Busen erinnern
einen Moment
lang an
Baselitz‘
Münchner
Blumenmädchen,
verweisen mit
ihren weit
ausgestellten
Röcken jedoch
schnell in
russische
Puppenklischees.
Die eigentlich
spazierengehende
Gesellschaft
wird als
Schwimmverein
in
altmodischer
Badekleidung
gezeigt, was
auch durch die
Schwimmbewegungschoreographie
erheiternd
wirkt. Die auf
Jelezkis Fest
erscheinende
Zarin ist ein
Skelett mit
überlangen
Armen und
durchsichtigem
weiten Rock,
das von
schwarzen
Puppenspielern
auf einem
Podest
hereingeschoben
und
entsprechend
bewegt wird,
während das
Volk in
verzückter
Begeisterung
in wilde
Ekstase
verfällt.
Diese
majestätische,
gar zu
pathetische
Musik kann
Neuenfels auf
gar keinen
Fall so
stehenlassen.
Er zeigt seine
Handschrift,
aber doch eine
gezähmte, ein
bisschen Biss,
aber nicht
unangenehm
oder gar
schmerzend.
Das tut der
Sache
ausgesprochen
gut und
konzentriert
den Blick auf
die große
Kunst des
Regisseurs:
die intensive
und
ausdrucksstarke
Personenregie,
die niemanden
kaltlassen
kann –
jenseits aller
den
bürgerlichen
Genuss stören
wollender
Details.
Vladislav
Sulimsky (Graf
Tomski),
Stanislav
Trofimov
(Surin),
Alexander
Kravetz
(Tschekalinski),
Igor
Golovatenko
(Fürst
Jelezki), Gleb
Peryazev
(Narumow),
Pavel Petrov
(Tschaplizki),
Brandon
Jovanovich
(Hermann),
Ensemble
Brandon
Jovanovich
stellt mit
geradlinig
geführtem,
schön
timbriertem
Tenor
stimmlich und
auch
schauspielerisch
die
Zerrissenheit
des Glück und
Reichtum
suchenden
Hermann
gänzlich
überzeugend
dar. Auch die
Verführung
Lisas – nicht
nur mit dem
optischen
Mittel seiner
behaarten
nackten
Männerbrust –,
aber eben aus
Berechnung,
nicht wirklich
aus Liebe.
Besonders
eindrucksvoll:
sein
hochintensiver
Wutausbruch.
Mit bruchlos
durchgeformtem,
warm
timbriertem
Sopran, den
sie sicher zu
hell
strahlenden
Höhen führt,
singt Evgenia
Muraveva eine
zu Herzen
gehende und
die Ohren
verwöhnende
Lisa. Hanna
Schwarz ist
immer noch
eine der ganz
ganz großen
Sängerdarstellerinnen,
besticht schon
allein durch
ihr Spiel und
ihre
Bühnenpräsenz,
aber auch
immer noch
durch ihre
gesangliche
Interpretation
und zeigt, wie
intakt und
klangvoll eine
Frauenstimme
mit einem
Dreivierteljahrhundert
noch sein
kann. Als
Jeletzki kann
Igor
Golovatenko
mit großem,
üppig
strömendem und
exakt
fokussiertem
Bariton
begeistern.
Vladislav
Sulimsky
hinterlässt
mit seiner
beeindruckend
gesungenen
Geschichte der
Gräfin als
Graf Tomski
besten
Eindruck.
Oksana Volkova
singt als
Polina (eine
verrucht
sinnliche Frau
mit Hotpants
unter dem
Mantel) mit
ihrer Romanze
alle Frauen in
Trance – was
bei dieser
wundervollen
musikalischen
Darbietung nur
allzu
nachvollziehbar
ist. Auch alle
kleineren
Partien sind
luxuriös
besetzt,
stellvertretend
sei Margarita
Nekrasova als
herrliche
Gouvernante
genannt.
Zu allem Recht
wird Mariss
Jansons für
sein
überwältigendes
Dirigat
gefeiert, das
Spannung und
Emotionalität
in großen
Bögen und
kleinen
Details zu
einem großen
Ganzen fügt,
das den Hörer
mit
Leidenschaft
und Stil im
Sog der Musik
versinken
lässt, aber
eben ohne
flache
Effekthascherei
sondern mit
schier
unglaublicher
Intensität und
Dramatik. Die
Wiener
Philharmoniker
machen ihrem
Namen und Ruf
alle Ehre,
ebenso der
Wiener
Staatsopernchor.
FAZIT
Intensität, Expressivität und Emotionalität – die Majestäten
des Musiktheaters werden hier ausgiebig gefeiert. Eine
großartige Produktion.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Mariss Jansons
Inszenierung
Hans Neuenfels
Bühne
Christian
Schmidt
Kostüme
Reinhard von der Tannen
Licht
Stefan Bollinger
Video
Nicolas Humbert
Martin Otter
Choreografie
Teresa Rotemberg
Chor
Ernst
Raffelsberger
Kinderchor
Wolfgang
Götz
Dramaturgie
Yvonne Gebauer
Salzburger Festspiele und
Theater Kinderchor
Konzertvereinigung
Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker
Solisten
Hermann
Brandon Jovanovich
Graf Tomski / Putus
Vladislav Sulimsky
Fürst Jeletzki
Igor Golovatenko
Lisa
Evgenia Muraveva
Polina / Daphnis
Oksana Volkova
Gräfin
Hanna Schwarz
Tschekalinski
Alexander Kravets
Surin
Stanislav Trofimov
Narumow
Gleb Peryazev
Tschaplizki
Pavel Petrov
Gouvernante
Margarita Nekrasova
Zeremonienmeister
Oleg Zalytskiy
Mascha
Vasilisa Berzhanskaya
Chloe / Prilepa
Yulia Suleimanova
Schäferspieler
Imola Kacso
Márton Gláser
Juan Aguila Cuevas
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