Eine Welt im irren Liebestaumel
Von Stefan Schmöe
/ Fotos © Salzburger Festspiele / Marten Vanden Abeele
Ein Skandal? Angenommen, die Salzburger Festspiele würden heute eine Oper in Auftrag geben, die auf einem Libretto in der Art von Giovanni Francesco Busanellis L'incoronatione di Poppea beruhte - wäre das ohne die historisch schützende Distanz denkbar? Ein gefeierter Triumph der Unmoral, den man, was die amouröse Seite betrifft, ja theatergeschichtlich augenzwinkernd hinnimmt (Don Giovanni war uns schon immer sympathischer als sein langweiliger Widersacher Don Ottavio). Nur geht man in dieser Oper mit dem hohen Liebespaar über Leichen und schickt Vernunft und Anstand in Gestalt des Philosophen Seneca in den verordneten Selbstmord. "Chi nasce sfortortunato, di se stesso si dolga, e non d'altrui" - "Wer unglücklich geboren ist, klage sich selbst an, nicht die anderen", rechtfertigt Poppea ihr Vorgehen, und Regisseur Jan Lauwers weist im Programmheft eigens auf die brutale Aktualität eines solchen Zynismus der Macht hin, wenn man ihn etwa gegenüber vom Ertrinken bedrohten Flüchtlingen geäußert denkt. Das Verstörende ist, dass solche Sätze nicht relativiert werden, nicht vom Textbuch und nicht von Monteverdis Musik. Kunst, die nicht dem Guten dienen will? Lauwers sieht da eine Parallel zu Lars von Trier, dem genialen enfant terrible der aktuellen Filmszene. Der verstößt auch gerne gegen Anstand und Tabus.
Unmoralisches Liebespaar: Nero und Poppea
An Lars von Trier darf man in der Tat während der dreieinhalb Stunden langen Aufführung oft denken, hatte der doch Dancer in the dark und Melancholia mit der permanent schwankenden Handkamera gedreht, was beim Betrachten unabhängig vom Inhalt physisches Unwohlsein auslöste. Vielleicht muss man es als Pendant dazu auffassen, dass durchgehend ein Tänzer oder eine Tänzerin im Mittelpunkt der Bühne Drehbewegungen ausführt, minutenlang und bis zur Erschöpfung (dann kommt der oder die nächste und macht weiter), sodass einen beim Zusehen schwindelig wird. Und Lauwers unterlässt zwar jede Andeutung von Kopulation, zeigt aber durchaus provokant viel nackte Haut, indem er Tänzerinnen und Tänzer (nicht die Sängerdarsteller) spärlich bekleidet auftreten lässt, die Frauen teilweise mit entblößten Brüsten (bei den Herren mag er auf die hautengen Höschen dann doch nicht verzichten). Die Aufführung ist von einer ungeheuren (festspielunüblichen) Körperlichkeit, die den Eros auf faszinierende Art feiert. Wenn Poppea im Garten einschläft (und ihre Widersacher den Mordanschlag planen), bildet Lauwers aus den Körpern der Tänzerinnen und Tänzer eine quasi barocke Großskulptur, in deren Mitte die macht- und liebesbegierige Mätresse des römischen Kaisers Nero ruht. Ein geniales Bild. Die Schattenseite der Macht unterschlägt er nicht: Auf dem Bühnenboden befinden sich, gemalt, unzählige nackte Körper, eine Collage aus Darstellungen berühmter Maler, vielleicht als Leichen zu interpretieren, eine Ahnung von Hieronymus Bosch. Leider kann man das vom Parkett aus nicht erkennen (eine Abbildung gibt's im Programmheft.)
Unglückliche Kaiserin: Ottavia
Womit wir uns den unübersehbaren Schwächen der Inszenierung nähern. Jan Lauwers, 1957 in Antwerpen geboren, ist kein Opernregisseur; er arbeitet mit seinem Ensemble Needcompany spartenübergreifend zwischen bildender Kunst, Theater und Tanz. So ist auch diese Poppea angelegt; weit weg vom Illusionstheater (es gibt praktisch kein Bühnenbild, keine Requisiten, die konkret auf die Handlung verweisen). Das alles ist auch nicht nötig, das haben schon andere Inszenierungen gezeigt, weil die Figuren von Busanello und Monteverdi so plastisch gezeichnet sind, dass sie zeitlos für sich sprechen. Lauwers, hier für Regie, Bühne und Choreographie zuständig, hat mit den Sängerdarstellern großartig gearbeitet, gibt ihnen Raum für die großen Gefühle wie für den Witz, den die Oper ja auch besitzt. Das Orchester sitzt in zwei Vertiefungen auf der Bühne, wird hier und da (nicht allzu raffiniert) einbezogen, die Sänger sind oft ganz nah am Publikum. Das Tanzensemble bildet eine zweite Ebene, und da wird's schon schwieriger. Die Choreographie steht oft in einem nicht nachvollziehbaren Zusammenhang zum Geschehen, was an sich, auch im Hinblick auf die erwähnte Körperlichkeit, ein durchaus packendes Spannungsfeld bildet, ein rational nicht greifbares Theater für die Sinne. Aber in vielen Szenen wirkt die Choreographie eben auch allzu banal und bemüht - oder liegt es daran, dass die jungen Tänzerinnen und Tänzer von BODHI PROJECT & SEAD Salzburg Experimental Acadamy of Dance allzu direkt agieren, ohne jenes winzige Moment an Distanz, das aus dem einer Geste oder Grimasse innewohnenden Realismus Tanzkunst macht?
Barocke Körperskulptur: Poppea schläft, die Zofe wacht.
Provokant sind die raffinierten Kostüme von Lemm&Barkey (dahinter verbergen sich Grace Ellen Barbey und Lot Lemm), teilweise, wie der kantige Mantel von Seneca, skulptural anmutend, vor allem da, wo sie mit den Geschlechterrollen spielen - vergleichsweise harmlos bei der Zofe Arnalta (Countertenor Dominique Visse mit einer hinreißenden Charakterstudie zwischen absurder Komik und dem philosophischen Ernst des Narren) und der Amme (Marcel Beekman mit wendigem Tenor und ebenfalls viel Gespür für Komik), irritierend bei der Figur des Nero. Der Kaiser ist mit einer Sopranistin besetzt (Kate Lindsey mit geheimnisvoll leuchtender Farbe), und mit glitzerndem Hosenanzug und hochhackigen Schuhen ist die Figur wie ein Zwitterwesen gezeichnet, nicht eindeutig Mann oder Frau. Diese Uneindeutigkeit zieht sich als verstörendes Moment durch die Aufführung, und weil die Sängerin sehr menschlich, fast zerbrechlich und gar nicht kaiserlich agiert (eine von Liebes-, nicht von Machtgier Besessene), auch weil Gattin Ottavia (klangschön und mit adelig-herrscherlicher Attitüde: Stéphanie d'Oustrac) aus einer anderen, gefühlsfernen Welt zu kommen scheint (ein gigantischer Kronleuchter folgt ihr als Attribut), verschiebt das die Akzente auf einen Eros unabhängig von tradierten Geschlechterrollen. Daran kann, soll man sich vielleicht auch reiben, und dass Kate Lindsay (wenige, aber heftige) Buh-Rufe auf sich zog, liegt wohl eher in dieser Rollenanlage begründet als in der tadellosen Gesangsleistung - in der hier besprochenen dritten Aufführung zeigte sich leider nicht der Regisseur als "Blitzableiter".
Noch eine Liebende: Drusilla
Die musikalische Krone gebührt indes Sonya Yoncheva als Poppea, noch eine Spur voller, raumgreifender, intensiver singend als alle anderen, betörend schön im samtigen Timbre - da wird auch musikalisch sinnfällig, wer hier die wahre Kaiserin ist. Carlo Vistoli gibt mit schönem, beweglichem und nicht zu leichtem Tenor einen ebenso tapfer wie hoffnungslos um sie kämpfenden Ehemann Ottone, Ana Quintans eine jugendlich strahlend um ihn werbende Drusilla (die Virtú, Allegorie der Tugend, im Prolog singt sie auch noch). Renato Dolcini ist ein nachdenklicher, keineswegs altväterlicher Seneca (hier ein Mann im besten Alter; ein Tänzer deutet ab und zu das in Gemälden festgeschriebene Bild des im Bad sterbenden altersweisen Seneca an). Tamara Banjesevic als Fortuna und Magd Damigella sowie noch mehr Lea Desandre als Amor und überaus quirliger Page Valletto sind aus einem durchweg exzellenten Ensemble herauszuheben.
William Christie leitet unaufgeregt vom Cembalo aus "sein" Ensemble Les Arts Florissants, das in vergleichsweise kleiner Besetzung agiert - neben zwei sehr farbigen Continuo-Gruppen gibt es noch zwei Violinen, Blockflöte und zwei Kornette. Der Fokus liegt auf den Gesangsstimmen. Die Interpretation folgt sehr genau auf den Text und vollzieht auch kleinste Wendungen in dessen Ausgestaltung, zeichnet etwa Ironie oder plötzliche Wut plastisch nach. Es verblüfft immer wieder, wie gut die Abstimmung zwischen Sängern und Instrumentalisten funktioniert. So sind Begleitung und Szene, optisch ohnehin verschmolzen, nicht zu trennen. Da gelingt Lauwers und Christie und allen Akteuren tatsächlich ein allumfassendes Theater.
FAZIT
Der spartenübergreifende Ansatz von Jan Lauwers funktioniert nicht in jedem Detail und bringt, was den Tanz betrifft, auch manche störende Banalität mit sich - und dennoch gelingt (auf musikalisch exzellentem Niveau) eine ziemlich radikale Poppea, die in vielem berührt und unter die Haut geht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
William Christie
Inszenierung, Bühne, Choreographie
Jan Lauwers
Kostüme
Lemm&Barkey
Vorbereitung und Assistenz Choreographie
Paul Blackman (Jukstapoz)
Licht
Ken Hioco
Dramaturgie
Elke Janssens
Les Arts Florrissants
Tänzerinnen und Tänzer
des BODHI PROJECT
sowie der SEAD Salzburg
Experimental Academy of Dance
Solisten
Poppea
Sonya Yoncheva
Nerone
Kate Lindsey
Ottavia
Stéphanie d'Oustrac
Ottone
Carlo Vistoli
Seneca
Renato Dolcini
Virtù / Drusilla
Ana Quintans
Nutrice / Famigliare I
Marcel Beekman
Arnalta
Dominique Visse
Amore / Valletto
Lea Desandre
Fortuna / Damigella
Tamara Banjesevic
Pallade / Venere
Claire Debono
Lucano / Soldato I / Tribuno / Famigliare II
Alessandro Fisher
Liberto / Soldato II / Tribuno
David Webb
Littore / Console I / Famigliare III
Padraic Rowan
Mercurio / Console II
Virgile Ancely
Solotänzerin
Sarah Lutz
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