Die Welt wird Klang
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Salzburger Festspiele
Man merkt ihm die 91 Lebensjahre nicht an. Herbert Blomstedt wirkt ungeheuer konzentriert, agiert auf dem Dirigentenpodium ausgesprochen agil, meist mit kleinen Zeichen, das gehört wohl zur seiner Art des Dirigierens, ohne Dirigentenstock. Wenn es darauf ankommt, ist er auch zur großen und dynamischen Geste fähig. Die frenetisch bejubelte Aufführung ist aber wohl vor allem das Ergebnis penibler Probenarbeit. Sie haben spät zueinander gefunden, die Wiener Philharmoniker und Herbert Blomstedt. 2013 stand der in den USA als Sohn schwedischer Eltern geborene Dirigent erstmals vor dem Wiener Ausnahmeorchester, da war er 86 (und das Orchester 171). Man hat sich offenbar schätzen gelernt. Das gibt Potenzial für Entdeckungen: Glaubt man der Notiz des Dirigenten im Programmheft, so spielen die Wiener die vierte Symphonie von Jean Sibelius zum ersten Mal überhaupt in einem öffentlichen Konzert.
Das Werk erklingt verblüffend luftig, transparent, verinnerlicht. Blomstedt dirigiert, wie auch später bei Bruckners Vierter, im Grunde einen riesigen Bogen vom ersten bis zum letzten Ton, und jede Nuance fügt sich logisch in den großen Aufbau ein. Mit dem Fortissimo geht er bei Sibelius sparsam um, und wenn er es zulässt, nimmt er es auch schon wieder zurück. Dafür behandelt er jedes Detail als kleines Wunderwerk, wozu ihm der phantastische Klang der Wiener natürlich entgegenkommt. Daran haben er und die Instrumentalisten offensichtlich sehr genau gefeilt - die kleinen Nuancen. Es macht einen Unterschied, ob etwa eine Holzbläserphrase solistisch gedacht ist oder ob sie Teil einer Linie ist, die von Instrument zu Instrument wandert. Unglaublich weiche Einsätze, oft wie aus dem Nichts, ermöglichen fließende Übergänge. Kein Pathos, kein falsches und vielleicht ein bisschen wenig richtiges für dieses faszinierende, gleichwohl sich in seiner Kleinteiligkeit immer wieder entziehende Werk. Es bleibt eines großes Staunen über das, was man gerade gehört hat.
Bei Bruckner darf es dann laut werden, und zwar so richtig. Blomstedt lässt das Blech strahlen (aber nicht herausplatzen). Wie schon bei Sibelius liegt eine große Ruhe über der Gesamtanlage, unter der Oberfläche brodelt es vor Vitalität. Die Punktierungen des Hauptthemas im Kopfsatz etwa haben pulsierende Kraft, und eben dieser drive in den "kleinen" Noten gibt der Musik die Energie. Blomstedt setzt Rubati sparsam und wohldosiert ein, und das verstärkt den Eindruck von einer Strenge, mit der die Musik sich ihren Kosmos erschafft.
Rätselhaft, dass Bruckner dieser Symphonie ein außermusikalisches Programm gab. Das Erwachen des Tages im ersten und die Jagdhorn-Anklänge im dritten Satz mag man ja noch als naheliegende Assoziationen durchgehen lassen; dass aber der Finalsatz in einer Fassung mit "Volksfest" überschrieben gewesen sein soll, will so gar nicht einleuchten - lassen die alles dominierenden fallenden oder besser stürzenden Oktaven doch eher an das jüngste Gericht denken. Wenn die Wiener im mehrfachen Fortissimo, dabei keinesfalls lärmend und klanglich genau abgestuft, den Raum des großen Festspielhauses geradezu körperhaft mit Klang füllen, dann wird die ganze Welt - Klang. Ein denkwürdiges Konzert, bei dem das Publikum den Dirigenten selbst dann noch einmal auf die Bühne rief, als der das Orchester schon längst in die wohlverdiente Freizeit entlassen hatte.
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Ausführende
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Herbert Blomstedt
Werke
Jean Sibelius:
Symphonie Nr. 4 a-Moll op.63
Anton Bruckner:
Symphonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104 "Romantische“
Fassung von 1878/80
herausgegeben von Leopold Nowak
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