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Abstruse Handlung mit spektakulärer MusikVon Thomas Molke / Fotos: © Clive Barda Saverio Mercadante zählt neben Giovanni Pacini zu den bedeutendsten italienischen Opernkomponisten der Übergangszeit zwischen Vincenzo Bellini und Giuseppe Verdi und hat mit dem von ihm bezeichneten "canto dramatico" eine Reform der italienischen Oper eingeleitet, die heutzutage eher Verdi zugeschrieben wird. Dennoch hat es bis jetzt keine seiner knapp 60 Opern ins gängige Repertoire geschafft, und man kann sich meistens nur bei Opernfestspielen wie beispielsweise in Martina Franca, Bad Wildbad, in diesem Jahr sogar bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck oder natürlich in Wexford von den Qualitäten seiner Musik überzeugen. In Wexford standen in den vergangenen Jahren insgesamt fünf Opern seines umfangreichen Schaffens auf dem Programm. Dabei hat man mit Elena de Feltre 1997 und seiner wohl "berühmtesten" Oper Il giuramento 2002 ein besonderes Augenmerk auf seine so genannten Reformopern gelegt, die Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts entstanden. Nun hat man mit Il bravo, ossia La Veneziana, die am 9. März 1839 eine umjubelte Uraufführung an der Mailänder Scala erlebte, erneut ein Werk aus dieser Zeit auf den Spielplan gestellt. Bei allen Meriten der Musik muss man aber feststellen, dass man selten - nicht einmal in Barockopern - eine derart abstruse und verworrene Handlung vorgefunden hat. Ob dies dem eigentlich recht versierten Librettisten Gaetano Rossi anzulasten ist, der während der Arbeit am Text erkrankte und die Vollendung dem noch recht unerfahrenen Marco Marcello überlassen musste, lässt sich heute schwerlich nachzuvollziehen. Jedenfalls hätte Mercadante in den Text beherzter eingreifen müssen, um dem Stück inhaltlich eine klarere Struktur zu geben. Der Bravo (Rubens Pelizzari, links) und Pisani (Alessandro Luciano, rechts) tauschen die Rollen. Die Geschichte spielt im Venedig des 16. Jahrhunderts. Carlo Ansaldi ist vom Rat Venedigs gemeinsam mit seinem Vater zu Unrecht des Staatsverrats angeklagt worden. Um seinen Vater, der in Gefangenschaft gehalten wird, vor der Hinrichtung zu bewahren, muss er dem Rat mit einer Maske als Auftragsmörder Il bravo dienen. Der verbannte Patrizier Pisani sucht ihn auf und bittet ihn um Unterstützung bei der Suche nach seiner Geliebten Violetta. Diese ist aus Genua von dem alten Maffeo nach Venedig gebracht worden. Der Bravo bietet Pisani an, für zwei Tage seine Identität mit ihm zu tauschen. Außerdem hat er herausbekommen, dass besagte Violetta von dem Patrizier Foscari und seinen Schergen entführt werden soll. Folglich beschließt er, die junge Frau zu beschützen. Als Maffeo von Foscari getötet wird, nimmt Carlo Violetta in seine Obhut, um sie in ein Kloster zu bringen. Mittlerweile sorgt sich die für ihre Feste in Venedig angesehene Teodora um Violetta, weil es sich dabei um ihre Tochter handelt, und bittet den Bravo, also Pisani in dessen Verkleidung, sie zu ihr zu bringen. Auf einem rauschenden Fest in Teodoras Palast gibt sie sich nicht nur Violetta als Mutter zu erkennen. Es stellt sich auch noch heraus, dass Teodora selbst die tot geglaubte Frau Carlos, Violetta, ist, von der Carlo geglaubt hatte, sie einst aus Eifersucht getötet zu haben, und dass Violetta jun. Carlos Tochter ist, die Violetta sen. einst bei Maffeo in Obhut gegeben hat. Da die Festgäste kein Verständnis für diese Familienzusammenführung zeigen, steckt Teodora / Violetta sen. den Palast kurzerhand in Brand. Dafür soll der Bravo sie töten. Carlo ermöglicht seiner Tochter und ihrem Geliebten Pisani die Flucht aus Venedig und will, dass seine Frau die beiden begleitet. Doch Violetta sen. will bei ihrem Mann bleiben. Damit er sie allerdings nicht noch einmal umbringen muss, nimmt sie sich selbst das Leben. Kurz darauf erfährt Carlo, dass sein Vater im Gefängnis gestorben und er somit aus dem Dienst als Auftragsmörder entlassen ist. Verzweifelt bricht er über seiner toten Frau zusammen. Venedig in Schieflage (Chor) Renaud Doucet und André Barbe belassen die völlig abstruse Geschichte in ihrer Zeit, was sich in aufwändig gestalteten, historisierenden Kostümen äußert. Das Venedig, das Barbe in riesigen Bildern auf die Bühne stellt, ist allerdings dem Kollaps nahe und droht durch die Auswirkungen des Massentourismus unterzugehen. So sieht man vor dem Beginn der Vorstellung einen gewaltigen Prospekt, der hinter einem pittoresken Bild der Lagunenstadt ein überdimensional riesiges Kreuzfahrtschiff zeigt, das die Stadt in ihrer Existenz bedroht. In den einzelnen Szenen laufen Statisten als Touristen über die Bühne, suchen ihren Weg durch die Stadt oder nehmen von den Figuren des Stückes und sich selbst Selfies. Doucet und Barbe, die selbst in Venedig leben, wollen diesen Ansatz als Warnung verstanden sehen, wie respektlos die heutigen Menschen mit dieser Stadt umgehen. So wie der Opernbesucher wahrscheinlich die Handlung des Stückes kaum nachvollziehen kann, gehen die zahlreichen Touristen ohne jegliche Rücksichtnahme mit der einzigartigen Lagunenstadt um. Während die Kritik durchaus berechtigt ist, lässt sie sich mit der Oper aber eigentlich nicht vergleichen. Die Geschichte der Oper macht nämlich wirklich keinen Sinn. Mit diesem Ansinnen dürfte man das Stück eigentlich nur noch konzertant spielen, um die wunderschöne Musik zur Geltung zu bringen. Diese kann man aber auch in der Inszenierung genießen, weil sich über die Touristen auf der Bühne und einige Bilder leicht hinwegsehen lässt. Dafür schwelgt man in grandiosen Klängen, die an zahlreichen Stellen Verdis Nabucco, Rigoletto und La traviata bereits vorwegnehmen und es in den groß angelegten Szenen beispielsweise mit dem berühmten Sextett "Chi mi frena in tal momento" aus Donizettis Lucia di Lammermoor aufnehmen können. Mercadante versteht es, das Orchester mit leuchtenden Farben zum blühen zu bringen und das Publikum musikalisch von einem Moment der Ekstase in den nächsten fallen zu lassen. Dabei ist es eigentlich egal, ob die Handlung in irgendeiner Weise Sinn macht. Jonathan Brandani taucht mit dem Orchester des Wexford Festival Orchestra leidenschaftlich in die wunderbaren Klangwelten Mercadantes ein und unterstreicht einmal mehr, dass dieser Komponist einen festen Platz im Standardrepertoire verdient hätte. Der von Errol Girdlestone einstudierte Chor präsentiert sich stimmgewaltig und begeistert in den großen Szenen. Dass die Oper zwei nahezu gleichwertig anspruchsvolle Tenor- und Sopranpartien verlangt, mag darin begründet liegen, dass Pisani und Violetta jun. gewissermaßen als junges Pendant zum Bravo und Teodora betrachtet werden können. Kurzer Moment des Glücks zwischen Mutter Violetta (Yasko Sato, hinten) und Tochter Violetta (Ekaterina Bakanova, vorne) Für die beiden Sopranpartien hat man in Wexford eine gleichwertig hochkarätige Besetzung gefunden. Ekaterina Bakanova begeistert als Violetta jun. mit leuchtendem Sopran und sauber angesetzten dramatischen Höhen. Unter die Haut geht ihr Gesang im ersten Akt, dem Foscari und seine Schergen vor dem Haus Maffeos lauschen. Hier unterstreicht Bakanova mit zarten Spitzentönen die Reinheit und Unschuld des jungen Mädchens. Bewegend bringt sie ihre Verzweiflung zum Ausdruck, wenn sie nach dem Tod Maffeos bei Carlo Schutz sucht. Wieso sie ihn in den Übertiteln hier bereits als "Vater" anspricht, wird nicht ganz klar, weil sie ja schließlich erst im dritten Akt erfährt, dass sie Carlos Tochter ist. Yasko Sato glänzt als Teodora / Violetta sen. mit dramatischen Höhen und großartigem Ausdruck. Auch wenn nicht klar wird, wieso sie ihren Palast anzündet, begeistert sie mit flexibler Stimmführung und bewegendem Spiel, wenn sie sich ihrer Tochter zu erkennen gibt. Das große Duett zwischen Mutter und Tochter im dritten Akt kann musikalisch als weiterer Höhepunkt des Abends bezeichnet werden. Hier finden Bakanova und Sato in einer bewegenden Verbundenheit zueinander.
Rubens Pelizzari stattet die Titelpartie mit einem glänzenden Tenor aus, der in
den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt. So meistert er die sehr
anspruchsvolle Partie ohne Abstriche. Großartig gelingt ihm die große Szene im zweiten
Akt mit Bakanova, wenn er Violetta erzählt,
wieso er Auftragsmörder werden musste. Auch mit seiner Gattin ist ihm im dritten
Akt eine musikalisch aufwühlende Szene gegönnt, wenn er nicht bereit ist, den
Auftrag des Rats, seine Frau zu ermorden, auszuführen, und er bereit ist, für
Violetta sen. sein Leben zu lassen. Leider klingt Alessandro Luciano als Pisani
in den Höhen nicht ganz so strahlend. An einigen Stellen muss er arg forcieren,
so dass Pisani nicht ganz auf einer Stufe mit dem Bravo steht, was vor allem im
Duett der beiden im ersten Akt deutlich wird. Optisch wirkt der Rollentausch mit
der Maske bei den beiden sehr glaubhaft. Als weiterer musikalischer Höhepunkt
kann das große Quartett im dritten Akt bezeichnet werden, bevor Pisani und
Violetta jun. Venedig verlassen. Gustavo Castillo stattet den Bösewicht Foscari
mit dunklem Bariton und diabolischem Spiel aus. In den kleineren Rollen
überzeugen Ioana Constatin-Pipelea als Teodoras Dienerin Michelina und Toni
Nežić als D
FAZIT
Musikalisch ist Mercadantes Oper ein Hochgenuss und geht von einem Höhepunkt zum nächsten
über. An die Handlung sollte man dabei allerdings keinen Gedanken
verschwenden, um die Aufführung vollends genießen zu können.
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Wexford Festival Opera 2018 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJonathan Brandani Regie Bühne und Kostüme Licht Chorleitung
Chor des
SolistenIl bravo
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- Fine -