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Spiel mit den GeschlechternVon Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer Rossinis erste zweiaktige Buffo-Oper L'equivoco stravagante hat für das Festival Rossini in Wildbad eine ganz besondere Bedeutung. Zum einen war sie die erste Rarität, die unter dem neuen künstlerischen Leiter Jochen Schönleber 1993 zur Aufführung gelangte, noch bevor sich das Rossini Opera Festival in Pesaro mit diesem Werk auseinandersetzte. Der Erfolg war so groß, dass das Stück ein Jahr später beim Festival wieder aufgenommen wurde, dieses Mal in der korrigierten Contralto-Fassung für die weibliche Hauptrolle. Zum anderen entschloss sich die Deutsche Rossini Gesellschaft ein paar Jahre später, eine vollständige Neuausgabe zu erstellen, die dann unter der Leitung von Alberto Zedda 2000 nicht nur in zwei halbszenischen Aufführungen präsentiert wurde, sondern auch vom SWR aufgezeichnet und kurz darauf von Naxos auf CD herausgebracht wurde und damit als "erste philologische Aufnahme" dieser Oper galt. Von daher ist dieses Werk prädestiniert für das 30-jährige Jubiläum des Festivals, da es sinnbildlich für die Impulse steht, die man in Bad Wildbad für die Rossini-Renaissance gesetzt hat. Zum 30. Geburtstag wird das Stück allerdings nicht in Bad Wildbad neu einstudiert, sondern gelangt als Gastspiel der Staatsoper Russe / Bulgarien zur Aufführung, wo die Oper bereits im Mai in einer Inszenierung des Festspielleiters Jochen Schönleber Premiere feierte. Ernestina (Antonella Colaianni) zwischen Buralicchio (Emmanuel Franco, rechts) und Ermanno (patrick Kabongo, links) Obwohl die Oper bei der Uraufführung 1811 in Bologna beim Publikum sehr großen Anklang fand, wurde das Stück nach nur drei Aufführungen abgesetzt. Grund dafür war die Zensur, die das Libretto als so freizügig und verworfen einstufte, dass in Mailand sogar ein Aufführungsverbot für das ganze Königreich Italien durchgesetzt werden konnte. Dabei ging es um frivole Zweideutigkeiten im Text, die von Rossinis Musik noch unterstrichen wurden. Der neureiche Bauer Gamberotto will seine Tochter Ernestina mit dem wohlhabenden und arroganten Buralicchio verheiraten. Ernestina, die sich sehr für Philosophie und Bücher interessiert, wird allerdings auch von dem mittellosen Ermanno geliebt, der von den beiden Dienern Frontino und Rosalia als Philosophielehrer für Gamberottos Tochter ins Haus geschleust wird. Da Ernestina zunächst in ihren Gefühlen zwischen Ermanno und Buralicchio schwankt, lässt Frontino Letzterem einen Brief zukommen, wonach Ernestina eigentlich Ernesto heiße und als kleiner Junge aufgrund einer viel versprechenden Knabenstimme kastriert worden sei. Da er im Anschluss aber doch keine Gesangskarriere eingeschlagen habe, werde er nun als Mädchen ausgegeben, um so nicht zum Militär eingezogen zu werden. Entsetzt zeigt Buralicchio Ernestina als Deserteur an und lässt sie von Soldaten einsperren. Doch Ermanno kann Ernestina aus dem Gefängnis befreien. Zurück bei Gamberotto muss Buralicchio erkennen, dass er hereingelegt worden ist, und beschließt resigniert, sich eine andere Frau zu suchen, während Gamberotto Ermanno die Hand seiner Tochter gewährt. Ermanno (Patrick Kabongo, Mitte) will sich das Leben nehmen. Rosalia (Eleonora Bellocci, 2. von rechts) und Frontino (Sebastian Monti, links) versuchen, das zu verhindern, während Ernestina (Antonella Colaianni, hinten rechts) erschrocken zusieht. Auch wenn die Praxis der Kastration bereits zur Entstehungszeit der Oper eigentlich schon verboten war, erschien die Handlung damals dennoch glaubwürdig und mag gerade für Rossini inspirierend gewesen sein, da er angeblich als Kind nur durch Intervention seiner Mutter vor einer möglichen Karriere als Sängerkastrat bewahrt worden sein soll. Für den heutigen Zuschauer ist die Geschichte schwer nachvollziehbar, und so stellt sich für ein Regie-Team stets die Frage, zu welcher Zeit man die Oper spielen lassen soll. Jochen Schönleber lässt sich in seiner Inszenierung von den späten 60er Jahren des letzten Jahrhunderts inspirieren, als im Rahmen der sexuellen Revolution androgynes Outfit in der Kunst wieder salonfähig wurde. Buralicchio wirkt mit seiner schulterlangen blonden Perücke, der dunklen Sonnenbrille und dem blass-pinkfarbenen Anzug wie ein extrovertierter Popstar, bei dem die sexuelle Orientierung in seinen Bewegungen eigentlich nicht so ganz deutlich wird. Ernestina trägt eine Kurzhaarperücke und zunächst einen Anzug, so dass nachvollziehbar wird, dass man sie für einen Mann halten könnte. Dass der Männerchor als Bauern, Soldaten und Diener stets in Schottenröcken mit Damenperücken auftritt, soll wohl das Spiel mit den Geschlechtern auf die Spitze treiben, erschließt sich aber nicht wirklich. Das Bühnenbild arbeitet nur mit einigen wenigen verschiebbaren Requisiten auf der ansonsten leeren Bühne und lässt dem Ensemble viel Bewegungsraum. Diesen nutzen die Solisten und der Chor auch in überbordender Spielfreude. Schon während der Ouvertüre werden die einzelnen Figuren des Stückes in für ihre Rollen charakteristischen Posen vorgestellt. Verschiebbare Wände geben dabei jeweils den Blick auf die einzelnen Personen frei. Auch im weiteren Verlauf agiert das Ensemble mit temporeichem Spiel und großer Komik. Die anzügliche Komponente der Vorlage wird noch weiter ausgebaut, indem Ermanno beispielsweise als vermeintlicher Philosophielehrer Ernestina ein Buch zum Thema "Kamasutra" als Lektüre überreicht, wobei deutlich wird, dass Ernestina sich zwar in ihren Büchern verliert, den Inhalt dieser Werke aber nicht zu durchdringen scheint. Konfusion im Finale des ersten Aktes: von links: Rosalia (Eleonora Bellocci), Ernestina (Antonella Colaianni) Buralicchio (Emmanuel Franco), Gamberotto (Giulio Mastrototaro), Frontino (Sebastian Monti) und Ermanno (Patrick Kabongo) Musikalisch klingt vieles bekannt, was darauf zurückzuführen ist, dass Rossini zahlreiche Stücke aus dieser frühen Oper in weiteren Kompositionen erneut verwertete, da aufgrund des Aufführungsverbotes das Stück in Italien nicht mehr gespielt werden durfte, die Musik ihm aber zu gut erschien, als dass sie in der Versenkung verschwinden sollte. José Miguel Pérez-Sierra arbeitet mit den Virtuosi Brunenses den spritzigen Rossini-Sound differenziert heraus und verleiht dem Stück im Einklang mit den Solisten und dem Chor auch musikalisch großes Tempo. Antonella Colaianni begeistert stimmlich und darstellerisch als etwas spröde Ernestina, die zunächst gar nicht bemerkt, welche tiefen Gefühle Ermanno für sie hegt, und stattdessen bereit ist, die Ehe mit dem selbstverliebten Buralicchio einzugehen. Ihr Mezzo verfügt über eine voluminöse Tiefe, so dass sie wunderbar mit der Vorstellung spielt, es könne sich bei Ernestina um den Kastraten Ernesto handeln. In ihrer Auftrittskavatine im ersten Akt, "Nel cor un vuoto io sento", macht sie mit dramatischen Ausbrüchen ihre Verzweiflung deutlich, die dazu führt, dass sie in den Büchern Antwort auf die gefühlte Leere um sie herum sucht und letztendlich erkennt, dass diese nur in der Liebe zu finden ist. Dass Buralicchio allerdings eigentlich nur sich selbst und nicht sie liebt, durchschaut sie erst am Ende, wenn sie im Rondo vor dem Finale ihre Dankbarkeit Ermanno gegenüber bekundet. Patrick Kabongo verfügt als Ermanno über einen kräftigen, lyrischen Tenor, der in den Spitzentönen bisweilen etwas zu stark forciert, ansonsten aber tenoralen Glanz versprüht. Ein musikalischer Höhepunkt ist das Duett mit Colaianni am Ende des ersten Aktes, in dem er versucht, Ernestina näher zu kommen, während sie noch ihren literarischen Fantasien nachhängt. Hiebe von Ernestina (Antonella Colaianni) für Buralicchio (Emmanuel Franco, Mitte vorne) (links: Ermanno (Patrick Kabongo), hinten: Männerchor) Großartig besetzt sind auch die beiden Buffo-Partien Gamberotto und Buralicchio. Giulio Mastrototaro begeistert als geadelter Bauer Gamberotto mit kräftigem Bariton und großer Beweglichkeit in den Läufen. Mit wunderbarer Komik punktet er in seiner Arie im ersten Akt, "Parla, favella, e poi", wenn er Buralicchio gegenüber seine Tochter als neuntes Weltwunder anpreist und ihn ermahnt, seine Eifersucht gegenüber dem "Philosophielehrer" Ermanno zu zügeln. Große Leidensfähigkeit beweist er dann im zweiten Akt, wenn er den Himmel wegen des Unrechts verflucht, dass seine arme Tochter im Gefängnis erleidet. Emmanuel Franco punktet als Buralicchio mit markantem und beweglichem Buffo-Bariton und arbeitet die extrovertierten Allüren des Verlobten glaubhaft und mit großem Komik-Potenzial heraus. So bleibt er stets ein selbstgefälliger Geck, ob er nun als eifersüchtiger Liebhaber rast oder als Rächer eine Intrige spinnt. Sebastian Monti zieht als schlauer Diener Frontino geschickt die Strippen, bleibt stimmlich im Vergleich zu den anderen allerdings ein wenig blass. Eleonora Bellocci punktet als Zofe Rosalia mit glockenklarem Sopran und keckem Spiel, wobei sie wohl sowohl ein Verhältnis mit ihrem Chef Gamberotto als auch mit ihrem Kollegen Frontino zu haben scheint. Die Herren des Górecki Chamber Choir überzeugen ebenfalls durch große Spielfreude und homogenen Klang, so dass es am Ende verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Schönlebers spritzige Inszenierung mit dem spielfreudigen Ensemble ist ein würdiger Geburtstagsgruß für das 30-jährige Jubiläum des Festivals.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2018 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJosé Miguel Pérez-Sierra Regie und Bühnenbild Kostüme und Mitarbeit Bühnenbild Chorleitung Licht
Virtuosi Brunenses Górecki Chamber Choir
SolistenErnestina, Tochter des Gamberotto Gamberotto
Buralicchio, Verlobter Ernestinas Ermanno, verliebt in Ernestina
Rosalia, Zofe Ernestinas Frontino,
Diener Gamberottos
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