Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Biblischer Stoff in abstrakten BildernVon Thomas Molke / Fotos von Patrick Pfeiffer Von den Opern, die Rossini für Paris auf französische Libretti schuf, gehen zwei auf Kompositionen zurück, die in Neapel ein paar Jahre zuvor ihre Uraufführung erlebten und für die Pariser Oper komplett umgearbeitet wurden, so dass sie als eigenständige Werke gezählt werden. Im letzten Jahr war in Bad Wildbad Maometto II. zu erleben, eine ernste Oper, die in Paris als Le Siège de Corinthe so große Erfolge feierte, dass die französische Version sogar ins Italienische zu L'assedio di Corinto übertragen wurde. Nun hat man in Bad Wildbad den biblischen Stoff über Moses und den Auszug der Hebräer aus Ägypten mit dem Marsch durch das Rote Meer ausgewählt und entscheidet sich für die wesentlich erfolgreichere französische Fassung, die die Urfassung Mosè in Egitto zu einer bloßen Vorstufe degradierte und später ebenfalls unter dem Titel Mosè e Faraone in Italien in Landessprache auf den Bühnen zu erleben war. In der Literatur wird dieses Werk in der Regel unter dem Titel Moïse et Pharaon geführt. Dabei wird diese Bezeichnung mit der Ergänzung Le Passage de la Mer Rouge nur auf einem von zwei Librettodrucken, und zwar nur auf dem Umschlagblatt, gewählt. In allen anderen Quellen, einschließlich Partitur und Klavierauszug, ist lediglich kurz und bündig von Moïse die Rede. Aus diesem Grunde wählt man auch in Bad Wildbad die Kurzbezeichnung. Musikalische Grundlage für die Aufführung ist die Partitur des Verlegers Eugène Troupenas, die dieser 1827, im Jahr der Uraufführung in Paris, publizierte. Moïse (Alexey Birkus) will sein Volk (Chor) aus der Sklaverei führen. Obwohl Rossini nur drei musikalische Nummern neu komponiert und einen Großteil der Musik aus Mosè in Egitto übernommen hat, ist die italienische Vorlage kaum wiederzuerkennen, da die einzelnen Stücke nicht nur völlig neu angeordnet, sondern teilweise auch anderen Figuren zugeteilt werden. Die Musik der Trauerarie der Hebräerin Elcia, mit der sie in der italienischen Fassung nach dem Tod ihres Geliebten, dem Sohn des Pharaos, ihr Unglück beklagt, wird in Moïse auf die Gattin des Pharaos übertragen und kündet mit dem bevorstehenden Fest für die Göttin Isis am Ende des zweiten Aktes von der Hoffnung auf einen guten Ausgang der Geschichte für alle Beteiligten. Auch der Handlungsablauf wird bis zum Auszug der Israeliten aus Ägypten mit der Teilung des Roten Meers und der anschließenden Überflutung der Ägypter komplett umgestellt. Die Finsternis, mit der Mosè in Egitto beginnt, steht in der französischen Fassung am Beginn des zweiten Aktes und ist eine Konsequenz dafür, dass der Pharao Moïse und seinem Volk den Auszug aus Ägypten verweigert. Der Sohn des Pharaos, der hier Aménophis (in der italienischen Fassung Osiride) heißt und mit seiner Liebe zu der Hebräerin Anaï (in der italienischen Fassung Elcia) seinen Vater immer wieder überzeugen kann, den Auszug der Hebräer zu verhindern, stirbt nicht durch einen Blitzschlag, sondern stachelt die Ägypter an, den durch das geteilte Rote Meer fliehenden Hebräern zu folgen, und kommt anschließend in den Fluten um. Die Gattin des Pharaos, Sinaïde (in der italienischen Fassung Amaltea), empfindet zwar Sympathie für Moïse und sein Volk, begleitet die Hebräer allerdings nicht beim Auszug aus Ägypten. Neu sind die Balletteinlagen im dritten Akt, die den Gepflogenheiten der Pariser Oper geschuldet waren, mit denen die Ägypter vor dem Isis-Tempel ihre höchste Göttin feiern. Als Moïse die Isis-Statue bei dem Fest zum Einsturz bringt und sich am Himmel die Bundeslade zeigt, ist der Pharao schließlich bereit, die Hebräer ziehen zu lassen, legt ihnen dazu jedoch Ketten an, die sich beim berühmten Gebet im vierten Akt lösen. Im Anschluss an den Marsch der Hebräer durch das Rote Meer hat Rossini wohl noch eine Cantique, einen Dankeschor der Hebräer, komponiert, der jedoch nur im Klavierauszug enthalten ist. Die Partitur weist auf, dass diese Nummer zurückgezogen worden sei. Ob sie bei der Uraufführung noch gespielt worden ist, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. In Bad Wildbad verzichtet man - wie in den meisten anderen Aufführungen dieser Oper - auf diese Schlussmusik und lässt die Oper mit der Orchestermusik nach dem Tod der Ägypter enden. Aménophis (Randall Bills) träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit der Hebräerin Anaï (Elisa Balbo). Festspielleiter Jochen Schönleber wählt für seine Inszenierung einen modern-abstrakten Ansatz, der die Teilung des Roten Meers und die anschließende Flut eher metaphorisch betrachtet und mit Videoprojektionen von Anton Kaun arbeitet, die auf der Rückwand allerdings nicht von allen Plätzen gut gesehen werden können. Neben abstrakten Bildern von zerstörten Städten und kriegerischen Auseinandersetzungen, sieht man am Ende auch ein Meer, das sanft ans Ufer plätschert. Die Hebräer ziehen sich beim Marsch durch das Rote Meer hinter die Bühne zurück. Ein schwarzer Zwischenvorhang schließt sich, und man sieht hinter dem Vorhang den Pharao, seinen Sohn Aménophis, den Oberpriester Oziride und Ophide als schwarze Schatten, über die sich eine auf den schwarzen Vorhang projizierte Bilderflut ergießt, die wohl das zurückströmende Meer symbolisieren soll. Anaï begleitet ihr Volk dabei nicht, sondern zieht sich in einen Sessel auf der rechten Bühnenseite zurück. Vielleicht hängt sie dort verträumten Erinnerungen an ihre kurze glückliche Zeit mit Aménophis nach, den sie für ihr Volk aufgegeben hat. Zur Orchestermusik tritt der Chor der Hebräer erneut auf und lässt sich auf der Bühne nieder. Zu den friedlichen Klängen der Musik blicken die Chormitglieder ins Leere, wobei nicht ganz klar wird, ob sie nun mit ihrem Schicksal hadern oder für die Rettung dankbar sind. Der Gesichtsausdruck wirkt bei den meisten eher hilflos und gezeichnet von Sorge vor dem, was nun noch kommen wird. Moïse (Alexey Birkus, vorne links), Marie (Albane Carrère, vorne rechts) und Éliézier (Patrick Kabongo, hinten rechts) fordern Anaï (Elisa Balbo, Mitte) auf, sich zwischen ihrem Geliebten und ihrem Volk zu entscheiden. Ein Ballett gibt es in Bad Wildbad nicht. Von daher werden die drei Ballettmusiken im dritten Akt stark gekürzt präsentiert. Dabei tritt zunächst der Chor der Ägypter in schicker Abendgarderobe auf, um die Göttin Isis zu feiern. Die vereinzelten Tanzeinlagen der Chormitglieder wirken stellenweise unfreiwillig komisch und passen nicht immer zum Takt der Musik. Das große Buch, das das Bühnenbild meistens in geschlossener Form als ein angeschrägtes Podest beherrscht, ist nun aufgeklappt, und der Pharao nimmt mit seiner Frau, seinem Sohn, dem Oberpriester und Ophide auf mit rotem Samt überzogenen Stühlen Platz, um einer Grand Opéra in der Pariser Oper zu folgen. Dafür wird in das geöffnete Buch eine Art Theaterloge projiziert. Im Hintergrund sieht man in einer Projektion Ballerinen in weißen Tutus. Aménophis scheint dabei von einer Tänzerin ganz besonders angetan zu sein. Wie sich später herausstellt, handelt es sich dabei um Anaï, die anschließend im weißen Tutu von Aménophis auf die Bühne gebracht wird. Wenn er im folgenden vierten Akt versucht, sie zu überzeugen, ihr Volk zu verlassen und bei ihm zu bleiben, trägt sie ein weißes Kleid wie eine Braut. Als sie sich schließlich für ihr Volk und gegen den Geliebten entscheidet, zieht sie einen beigefarbenen Mantel an und verhüllt sich mit einem schwarzen Tuch wie die übrigen Hebräerinnen. Pharaon (Luca Dall'Amico, hinten links mit Silvia Dalla Benetta als Sinaïde) will verhindern, dass Moïse (Alexey Birkus, vorne Mitte) mit Anaï (Elisa Balbo, vorne links) und Éliézier (Patrick Kabongo, vorne links) Ägypten verlässt. Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Alexey Birkus begeistert in der Titelpartie mit fulminantem Bass und markanten Tiefen, die die Autorität dieser Figur unterstreichen. Da wirkt es absolut glaubhaft, dass er mit seiner sonoren Stimme die Erde zum Beben bringt und eine Finsternis ausbrechen lässt. Das berühmte Gebet im vierten Akt, "Des cieux où tu résides" setzt er mit großem Pathos und voller Überzeugungskraft an. Der Górecki Chamber Choir unter der Leitung von Mateusz Prendota stimmt stimmgewaltig mit ein und lässt auch ansonsten mit homogenem Klang den Abend zu einem Fest der Chorpassagen werden. Luca Dall'Amico steht Birkus als Gegenspieler Pharaon stimmlich in nichts nach und glänzt ebenfalls durch profunden Bass mit dunklen Tiefen. Randall Bills leistet in der anspruchsvollen Tenorpartie des Aménophis Außerordentliches. So setzt er auch die extremen Höhen sauber und ohne Forcieren an. Elisa Balbo, die bereits im letzten Jahr in Bad Wildbad als Anna Erissa in Maometto II. begeisterte, lässt als Anaï mit leuchtendem Sopran und stupenden dramatischen Ausbrüchen in den Höhen ebenfalls keine Wünsche offen. Gemeinsam bewegt sie mit Bills in ihrem Duett im vierten Akt, wenn Anaï sich schließlich schweren Herzens gegen ihren Geliebten entscheidet. Ein wenig bedauerlich ist, dass Rossini das große Quartett aus dem italienischen Mosè in Egitto, "Mi manca la voce!", im Finale des dritten Aktes ein wenig untergehen lässt. Bills und Balbo setzen jedenfalls mit Silvia Dalla Benetta als Sinaïde und Patrick Kabongo als Éliézier alles daran, dass dieser bewegenden Nummer die entsprechende Aufmerksamkeit zuteil wird. Dalla Benetta begeistert als Gattin des Pharaos mit stupenden Höhen und intensiver Gestaltung. Hervorzuheben ist ihre große Arie am Ende des zweiten Aktes, "Ah! d'une tendre mère", in der sie darauf vertraut, dass mit der geplanten Hochzeit ihres Sohnes mit einer armenischen Prinzessin alles ein gutes Ende nehmen wird. Dabei fällt gar nicht auf, dass diese Arie in der italienischen Fassung eigentlich die Klagearie der jungen Hebräerin Elcia ist. Patrick Kabongo gestaltet die Partie von Moïses Bruder Éliézier (in der italienischen Fassung Aronne) mit höhensicherem Tenor und weicher Stimmführung. In den kleineren Rollen überzeugen Albane Carrère als Moïses Schwester und Anaïs Mutter Marie, Baurzhan Anderzhanov als Oberpriester Oziride und Voix mystérieuse und Xiang Xu als General Ophide. Die musikalische Leitung der gewohnt souverän aufspielenden Virtuosi Brunenses liegt in den Händen von Fabrizio Maria Carminati, der sehr viel Gespür für eine gute Balance zwischen Orchester und den Solisten beweist. So gibt es am Ende großen und verdienten Beifall für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team einreiht.
FAZIT Auch wenn der italienische Mosè in Egitto dramaturgisch stringenter aufgebaut ist, muss man eingestehen, dass die französische Fassung Moïse die italienische musikalisch noch übertrifft. Schönleber findet für die technisch beschränkten Möglichkeiten der Trinkhalle eine gute Umsetzung des schwer auf die Bühne zu bringenden Stoffes.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2018 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungFabrizio Maria Carminati Regie und Bühnenbild Video Kostüme Assistenz Bühnenbild, Video und Licht Chor
Górecki Chamber Choir Virtuosi Brunenses
SolistenMoïse
Pharaon
Aménophis
Éliézier
Oziride / Voix mystérieuse
Ophide Sinaïde Anaï Marie Hebräer, Ägypter
|
- Fine -