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Postume Ehrung von Alberto ZeddaVon Thomas Molke / Fotos: © Andreas Kühn Mit der Eröffnung des Baumwipfelpfades in Bad Wildbad und der Nutzung des Aussichtsturms als weiterer Spielstätte für das Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad hat man auch den Preis "Rossini in cima - Rossini auf dem Gipfel" ins Leben gerufen, um Personen zu ehren, die sich um das Lebenswerk des Schwans von Pesaro besonders verdient gemacht haben. In diesem Jahr sollte der Preis eigentlich Alberto Zedda verliehen werden, der allerdings im März letzten Jahres verstarb. Zedda hat sich nämlich nicht nur weltweit einen Ruf als Rossini-Experte erworben, sondern auch in Bad Wildbad für das Festival von 1998 bis 2009 wichtige Beiträge geleistet. So rief er mit seinen Workshops nicht nur die Accademia Belcanto ins Leben, die heute ein wichtiger Bestandteil des Festivals ist und sich mit den Konzerten der Meisterklassen von Raúl Giménez und Lorenzo Regazzo großer Beliebtheit beim Publikum erfreut. Außerdem dirigierte er in Bad Wildbad in namhaften Besetzungen Aufführungen von Rossini-Opern, die bei Naxos als CD herausgebracht wurden und heute als Referenzaufnahmen gelten. Als Höhepunkt darf auch die Einweihung des neu eröffneten Königlichen Kurtheaters mit L'inganno felice 2005 betrachtet werden. Um solchen unschätzbaren Einsatz nicht ungewürdigt zu lassen, wird der Preis nun postum an Zedda verliehen und seiner Witwe Cristina Vázquez-Zedda überreicht. Im Anschluss gibt es zur Ehrung noch Rossinis Petite messe solennelle und eine Uraufführung von Francesco Carluccio. Carluccio erhielt im letzten Jahr von dem musikalischen Leiter des Festivals, Antonino Fogliani, das Angebot, für das Festival eine Uraufführung zu kreieren, da neben dem Belcanto in einzelnen Konzerten auch der zeitgenössischen Musik in jedem Jahr eine kleine Plattform geboten wird. Da Carluccio sich seit einigen Jahren mit einem Projekt beschäftigt, dass ihm, wie er es selbst ausdrückt, "Gelegenheit gibt, die Archetypen der gesanglichen Ausdrucksformen zu erforschen", und diese Uraufführung zusammen mit Rossinis Messe gespielt werden sollte, hat er ein ca. halbstündiges Oratorium mit ähnlicher musikalischer Besetzung komponiert. Es trägt den Titel Caïn und basiert auf einem Text des französischen Schriftstellers Gérard de Nerval aus dem 19. Jahrhundert. Auch wenn Festivalleiter Jochen Schönleber zu Beginn und an einzelnen Stellen des Stückes einen deutschen Text vorliest, ist, da auf Französisch gesungen wird, schwer nachzuvollziehen, worum es in diesem Oratorium genau geht. Man befindet sich zu Beginn am Hof des biblischen Königs Salomon, der im Tempel ein Experiment durchführen will, bei dem der Hohepriester Adoniram versuchen will, Unsterblichkeit zu erlangen. Der Versuch geht schief und Adoniram steigt in andere Bereiche hinab, in denen er auch auf Caïn und Adam trifft. Das kurze Stück ist neben dem gemischten Chor rein männlich besetzt. Matija Meić übernimmt mit kräftigem Bariton die Partie des Adoniram. Yevgeniy Chainikov gestaltet den Tubal-Caïn, der wohl einen Nachfahren des Brudermörders Caïn darstellt, mit kräftigem Bass. Welche Funktion Soliman, gesungen von Roberto Maietta, in dem Oratorium hat, wird nicht klar. Soll es sich dabei um den König Salomon handeln? Interessant ist, wie die Klangfarbe der Klaviere verändert wird. So wirkt das Spiel genauso surreal und abstrakt wie die erzählte Geschichte. Der Górecki Chamber Choir leistet mit atonalem Gesang ebenfalls seinen Beitrag. Wenn Caner Akin als Caïn auftritt, beugt er sich zunächst über das Klavier und gibt seinem Tenor damit eine dunkle Färbung, als wenn er aus einer Gruft emporsteigen würde. Später klingt sein Tenor wesentlich heller. Xiang Xu stattet seinen Vater Adam mit strahlendem Tenor aus. Das Publikum hätte allerdings weitere Informationen, vielleicht in Form eines Librettos, benötigt, um zu verstehen, was dieses moderne Oratorium eigentlich erzählen will. Blick von oben auf die Petite messe solennelle Im Anschluss daran folgt Rossinis Petite messe solennelle, Rossinis "Alterswerk", das dieser erst verfasste, als er sich schon lange vom Theaterleben zurückgezogen hatte und die Zeit damit verbrachte, andere Komponisten, wie beispielsweise Johann Sebastian Bach, zu studieren und stundenlang am Klavier zu improvisieren. In dieser Zeit schuf er rund 150 Vokal- und Klavierkompositionen, die er in einer mehrbändigen Anthologie unter dem Titel Péchés de vieillesse (Alterssünden) zusammenfasste. Die Petite messe solennelle steht zwar außerhalb dieser Anthologie, bildet aber den Höhe- und Schlusspunkt dieser Schaffensperiode. Ausgangspunkt ist wohl der Tod seines Schweizer Freundes und Schützlings Louis Niedermeyer am 14. März 1861 gewesen, dem Rossini im Frühjahr des darauffolgenden Jahres ein vierstimmiges "Kyrie" widmete, das das "Christe eleison" Niedermeyers einrahmte. Ein Jahr später erweiterte Rossini diesen Satz um ein sechsteiliges "Gloria" mit einem dreiteiligen "Credo" für vier Solisten und achtstimmigen Chor. Mit dem "Credo" entschied sich Rossini auch, die Klavierbegleitung um ein Harmonium zu ergänzen. Für die Einweihung des prunkvollen Palais seines adligen Bankierfreunds Alexis Pillet-Will entschloss sich Rossini, diese Messe um ein A-cappella "Sanctus" und ein "Agnus Dei" zu ergänzen. Der Chor wurde auf 15 Stimmen erweitert, und da nicht alle Gäste im Saal Platz fanden und auch die beiden angrenzenden Räume genutzt werden mussten, erweiterte Rossini die Besetzung um ein zweites Klavier. Während der Probenarbeit entschied sich Rossini auch noch, zwischen dem "Credo" und dem "Sanctus" ein reines Klavierstück einzufügen, das er dem Album de chaumière entnahm und es in "Prélude religieux pendant l'Offertoire" umbenannte. In dieser Fassung erlebte die Petite messe solennelle im Haus Pillet-Will bis 1865 insgesamt zwei sehr erfolgreiche Aufführungen. Nach der zweiten Aufführung schuf er auch noch eine Orchesterfassung, wobei er der ursprünglichen Form zeitlebens den Vorzug gab. Baurzhan Anderzhanov, Mert Süngü und Marina Comparato (von links stehend) beim "Gratias" (daneben sitzend: Silvia Dalla Benetta) Auf dem Aussichtsturm des Baumwipfelpfades ist die Petite messe solennelle in der kleinen Besetzung mit zwei Klavieren, einem Harmonium, vier Solisten und dem Górecki Chamber Choir zu erleben. Schon beim einleitenden "Kyrie" erkennt man im Vergleich zu anderen Messen Rossinis Eigenheiten, die betonen, dass er, wie er selbst einmal gesagt hat, für die Opera buffa geboren sei. So klingt das "Kyrie" nicht erhaben, sondern beinahe schon wie eine Parodie und wird mit zahlreichen leichtfüßigen Variationen versehen. Auch bei den Soli lassen die Verzierungen den großen Belcanto-Meister erkennen. Baurzhan Anderzhanov interpretiert mit profundem Bass das "Quoniam" und überzeugt mit beweglichen Läufen. Mert Süngü gestaltet den Anruf "Domine Deus" mit strahlendem Tenor, und Silvia Dalla Benetta punktet beim "Qui tollis" mit leuchtendem Sopran. Der musikalisch bewegendste Part ist der Altstimme vorbehalten. Marina Comparato begeistert neben Dalla Benetta beim "Qui tollis" mit satten Tiefen und macht mit samtig weichem Klang das "Agnus Dei" am Ende der Messe zu einem Glanzpunkt des Abends. Der Górecki Chamber Choir unter der Leitung von Mateusz Prendota überzeugt durch homogenen Klang. Michele D'Elia und GianLuca Ascheri unterlegen die einzelnen Passagen an den beiden Klavieren sehr lautmalerisch. Im "Credo" bei der Zeile "descendit de coelis" wird mit der musikalisch absteigenden Tonleiter gewissermaßen eine Art Sternenregen hörbar, der optisch wunderbar in das einbrechende Dunkel auf dem Baumwipfelpfad passt. Das Harmonium (Angelica Giannetto Fogliani) geht wegen der Akustik des Aussichtsturms leider ein wenig unter und verbreitet nur als Einleitung zum "Sanctus" einen sakralen Klang. Ein wenig störend ist, dass zum Ende hin einige Zuschauer bereits aufbrechen, weil sie wohl fürchten die letzte Bahn ins Tal nicht mehr zu erreichen. Ansonsten bietet der Aussichtsturm des Baumwipfelpfades gerade in den Abendstunden ein geeignetes Ambiente für Rossinis Messe, die insgesamt gar nicht so "petite" ist, wie der Maestro sie selbst bezeichnet hat. Antonino Fogliani, die Solisten, der Chor und die Musiker werden zu Recht mit großem Beifall bedacht.
FAZIT
Für die postume Ehrung Alberto Zeddas bietet Rossinis Petite messe solennelle
einen wunderbaren Rahmen. Die Uraufführung hingegen ist für "Belcanto-verwöhnte"
Ohren sehr gewöhnungsbedürftig.
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AusführendeMusikalische Leitung Chorleitung Erstes Klavier Zweites Klavier Górecki Chamber Choir Caïn Harmonium Adoniram Tubal-Caïn Caïn Soliman Adam Petite messe solennelle Harmonium Sopran Alt Tenor Bass
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- Fine -