Die doppelte Tosca
Von Roberto Becker
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Foto von © Jean Louis Fernandez
Man glaubt es kaum, aber Puccinis Tosca hat es in seiner siebzigjährigen Geschichte des Festivals in Aix-en-Provence noch nie ins Programm geschafft. Da ist es gar nicht so verkehrt, dass sie jetzt in einer Version auf die Bühne kommt, die die Geschichte dieses Werkes bzw. den Nimbus der berühmten Interpretinnen der Titelpartie ins Visier nimmt.
Diese Koproduktion mit der Oper im nicht allzu weit entfernten Lyon hat der auf vielen Gebieten versierte u.a. filmende Christophe Honorés inszeniert. Und er liefert nicht nur die Oper Tosca - sprich das, was Puccini komponiert hat -, sondern auch noch gleich zwei Toscas auf der Bühne. Eine ist die junge Amerikanerin Angel Blue. Die andere die Rollen-Legende Catherine Malfitano, die rein zufällig im gleichen Jahr geboren wurde, in dem das Festival in der Provence das erste Mal veranstaltet wurde. Und wo man schon mal beim Blick in die Geschichte dieser Rolle ist, tauchen natürlich auch Maria Callas und viele ihre Kolleginnen in den eingeblendeten Videos auf. Malfitano selbst natürlich an der Seite ihres Kollegen Placido Domingo in jener berühmten Verfilmung, die sich mit den originalen Schauplätzen schmückt.
Meisterklasse: Die Primadonna und ihre Schülerin
Diese Dopplung einer jungen Floria Tosca durch eine ihrer legendären Vorgängerinnen ist zunächst einmal ein Coup. Aber die Malfitano gibt nicht nur ihren Namen als La Prima Donna für den Programmzettel dazu, sondern verkörpert genau das: eine echte Prima Donna, die diese Rolle gleichsam verinnerlicht hat und deren Gesten und Gemütslagen aus der Erinnerung ihres Künstlerlebens mühelos abrufen kann. Es ist faszinierend wie sie das macht und dabei sowohl in die Rolle der Lehrerin schlüpft, der es darum geht, ihre Erfahrungen weiterzugeben, als auch wie sie sich von der Melancholie der Erinnerung an ihre große, spricht aktive Zeit hinreißen lässt.
Alles beginnt damit, dass die Diva in dem von Alban Ho Van üppig ausgestatteten Appartement einer Schallplatte lauscht, von der ihr "Vissi d'arte, vissi d'amore" erklingt, während ihr geschäftig wuselnder junger Butler (Jean-Gabriel Saint Martin) sie daran erinnert, dass vor der Tür ein ganzes Filmteam wartet, um ihr Leben in einer Homestory unterzubringen. Ganz so, wie sie es zugesagt hat. Dafür ist natürlich eine vokale und szenische Tosca-Probe samt der dazu nötigen Künstler der geeignete Aufhänger.
Notwehr nach Übergriff: Sarpia und Tosca
Für einen Moment vergisst die Diva, dass sie nur der pensionierte Anlass für die ganze Veranstaltung ist, und fängt tatsächlich an zu singen. Die paar Töne gelingen der Malfitano natürlich auf gut kalkulierte anrührende Weise. Doch sofort ist die Perfektionistin in ihr zur Stelle und winkt die junge Kollegin heran, die weiter singen soll. Ihr wendet sie sich dann noch intensiver zu. Meist freundlich fordernd, mal mitfühlend, mal auch eifersüchtig auf deren Jugend. Wie das Leben so spielt, so spielt die Malfitano das Künstlerinnenleben. Und dabei auch sich selbst immer mal wieder mit Vehemenz in den Vordergrund. Das ist eine Show für sich. Und rechtfertigt den ganzen Verfremdungsaufwand, den die Regie mit diversen Nebenhandlungen des Regieteams, der live Aufnahmen usw. treibt. Es ist ein Kramen im Fundus der Kostüme und der Erinnerungen an viele Rollen. Natürlich sind dabei Scarpias Leuchter ebenso zur Hand, wenn sie gebraucht werden, wie das berühmte rote Kleid der Tosca Maria Callas (Kostüme: Olivier Bériot).
Beim Dreh der Homestory über die Tosca-Legende
Die Gewalt kann sich hier nur als Übergriff durch Scarpia und seine (Film-)Hilfstruppen auf die Frauen bzw. ersatzweise auch auf den smarten Butler einschmuggeln. Den jungen Mann bezahlt die Diva dann aber nicht etwas als Ausgleich für diese Übergriffe, sondern schlicht und einfach als Callboy. Stellt man das in den Kontext der Handlung, so ist das eine Art Übersprungsprojektion von Scarpias Obsessionen auf Tosca selbst.
Zu bewundern ist Angel Blue nicht nur für ihre eigene Leistung, sondern vor allem dafür, dass sie sich gleichsam ungeschützt dem direkten Vergleich mit der Callas oder der jungen Malfitano aussetzt. So was kann man wohl nur dann machen, wenn man noch - wie die Amerikanerin - am Anfang einer hoffnungsvollen Karriere steht. Der russischen Bariton Alexey Markov als Scarpia wird hier auf eine Art Harvey Weinstein verkleinert….. Und Joseph Calleja ist als Cavaradossi der gestandene Tenor, der einerseits mit der jungen attraktiven Tosca-Sängerin liebäugelt, aber anderseits offensichtlich zugleich die Legende verehrt.
Cavaradossi singt mit der jungen und verehrt die ältere Tosca-Sängerin
In Aix-en-Provence ist die zweite Pause nicht nur ein Zugeständnis an die Festivalatmosphäre, sondern wird für den Umbau gebraucht. Jetzt befindet sich das Orchester der Oper Lyon auf Bühne. Links neben der Bühne steht ein kleines Modell der Engelsburg - hinter dem Orchester begrenzt die nüchterne Kulissen-Rückseite den Raum. Gesungen wird in Konzertformation. Angel Blue im goldfunkelnden hautengen Kleid und Joseph Calleja im Smoking. Die Malfitano singt dann tatsächlich den Hirtenknaben selbst und streift ganz versunken in Erinnerungen, wie das "Phantom der Tosca" durch das Orchester. Was ein interessanter Effekt von Verfremdung ist. Von der Rolle wird sie dann noch einmal am Ende ganz und gar erfasst, wenn sie sich oben in der Kulissenrückwand zum Finale die Pulsadern öffnet. Als dann die Sanitäter und das Filmteam nach hinten zur Diva stürmen, treffen Opern- und Filmhandlung zusammen. Und man weiß nicht, welche von beiden gemeint ist. Immerhin stehen in diesem dritten Akt, in dem sich die Inszenierung sozusagen von sich selbst entfernt, der Dirigent Rustioni und sein Orchester im Zentrum und gehen mit einem breiten Puccinisound durchs Ziel.
FAZIT
Diese Tosca-Produktion ist das Festspieldebüt einer Oper als unterhaltsamer Blick auf ihre Geschichte. Manchmal dominiert die Nebenhandlung - aber insgesamt ist eine vor allem unterhaltende Produktion.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Daniele Rustioni
Inszenierung
Christophe Honoré
Bühne
Alban Ho Van
Kostüme
Olivier Bériot
Licht
Dominique Bruguière
Video
Baptiste Klein Christophe Honoré
Chor
Hugo Peraldo
Kinderchor
Karine Locatelli
Chor, Kinderchor und Orchester
der Opéra de Lyon
Solisten
Floria Tosca
Angel Blue
La Prima Donna
Catherine Malfitano
Mario Cavaradossi
Joseph Calleja
Il barone Scarpia
Alexey Markov
Cesare Angelotti
Simon Shibambu
Il sagrestano
Leonardo Galeazzi
Sciarrone
Jean-Gabriel Saint Martin
Spoletta
Michael Smallwood
Un Carceriere
Virgile Ancely
The Butler
Jean-Frédéric Lemoues
Firefighter
Frank Daumas
Musikanten
Rocco Manfredi Matthieu Rieusset
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