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Was ihr braucht, ist ein ClownVon Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Der erste Akt ist ein Roadmovie. Es beginnt zur Ouvertüre, Luftaufnahmen der Wartburg, des Thüringer Waldes. Dann klammert sich die Kamera an einen altmodischen Lieferwagen französischen Fabrikats. Am Steuer: Eine Schlagerdiva, auf dem Beifahrersitz: Ein Clown. Außerdem im Wagen: Ein Kleinwüchsiger mit Blechtrommel, er kann gar nicht anders heißen als Oskar (gespielt von Manni Laudenbach), und "Le Gateau Chocolat", ein australischer Drag Performer mit Bart und Frauenkleidern und Kniestrümpfen, auf denen "GAY" steht (er spielt sich selbst). Ein rätselhaftes Quartett, ein bisschen queer, ein bisschen freaky, auf jeden Fall anders und ziemlich anarchisch. Die Frau am Steuer singt die Partie der Venus, der Clown die des Tannhäuser, die beiden anderen finden kein Pendant in Partitur oder Libretto und werden doch zu entscheidenden Akteuren. Der Blechtrommler Oskar ist natürlich bei Günther Grass geklaut, Tannhäuser als Clown kann man als Anspielung auf Heinrich Böll, den anderen Literatur-Nobelpreisträger der alten BRD, verstehen.Das Motto des absonderlichen Quartetts: "Frei im Wollen! Frei im Thun! Frei im Genießen!" Das wiederum sind Worte von Richard Wagner, geschrieben 1849 in der Schrift Die Revolution, vier Jahre nach der Uraufführung des Tannhäuser. Dieser Text steht auf den Fake-Kreditkarten, mit denen die vier "bezahlen". Bis unerwartet die Polizei auftaucht und es zur Katastrophe kommt - und Tannhäuser ins Zweifeln kommt, ob er nicht doch das falsche Leben lebt, schließlich wartet irgendwo noch seine große Liebe Elisabeth auf ihn.
On the road: Tannhäuser und Venus
Regisseur Tobias Kratzer lässt zwei Lebensentwürfe frontal aufeinander prallen. Die Tannhäuser-Venus-Welt jenseits der bürgerlichen Normen - und die Welt der Pilger, und das sind in diesem Fall die Besucher, die ins Bayreuther Festspielhaus "pilgern". Die bestimmen den zweiten Akt, den Kraztzer raffiniert als Theater auf dem Theater inszeniert, indem er über die Bühne immer wieder Live-Bilder aus dem Backstage-Bereich einblendet: Wie in einem Spiegelkabinett reflektiert die Aufführung sich selbst. Die Ritter, die Tannhäuser im ersten Akt vor der Wartburg (respektive dem Festspielhaus) traf, sind nämlich allesamt Darsteller aus der Oper Tannhäuser. Und dieser zweite Akt ist (im Gegensatz zum dynamischen ersten) extrem statisch inszeniert, bewusst klassisch mit Anspielungen auf den historistischen Sängerkrieg-Saal der Wartburg. Der Gegenpol zur anarchischen Lebensweise der Venus ist somit die bürgerliche Hochkultur, die wir als Zuschauer gerade live konstituieren. Kratzer spielt ein raffiniertes, ziemlich gewagtes Spiel mit den verschiedenen Ebenen und Metaebenen, aber man darf konstatieren: Er gewinnt auf der ganzen Linie mit einer hochintelligenten, gleichzeitig immer wieder sinnlichen Inszenierung, in dieser zweiten Aufführung frenetisch bejubelt.
Vor einigen Monaten gab es eine Tatort-Folge mit Showdown im Festspielhaus - da will Tobias Kratzer nicht nachstehen und baut eine tolldreiste Krimiepisode ein. Weil nämlich Tannhäuser drinnen im Festspielhaus seine Elisabeth gewinnen will, Venus sich aber nicht so einfach geschlagen gibt, steigen sie und ihre Gefährten Gefährten kurzerhand über eine Leiter ins Festspielhaus ein (die kann man prompt in der folgenden Pause draußen noch bewundern). Venus gibt sich als Edelfräulein aus, Festspielchefin Katharina Wagner ruft (im Film zu sehen) die Polizei ins Haus (beabsichtigt oder nicht: Eine hübsche Anspielung auf die hohe Polizeipräsenz rund um das Festspielhaus). Le Gateau Chocolat hisst freilich noch lässig die Regenbogenfahne auf der Sängerkriegsbühne, und bei der Premiere soll es für die Figur noch Buh-Rufe gegeben haben - in der hier besprochenen Aufführung war der Beifall ungetrübt - und man muss wohl auch relativieren: Bei fast 2000 Zuschauern pro Aufführung werden auch solche darunter sein, die sich darüber ärgern und ggf. diesen Ärger auch äußern. Zwei Akte lang inszeniert Kratzer mit viel ironischen Anspielungen und einigen ziemlich witzigen Pointen (so fährt die Tannhäuser-Gang an einer Biogas-Anlage vorbei, "mangels Nachfrage geschlossen" - eine Anspielung auf die Vorgängerinszenierung von Sebastian Baumgarten, deren Bühnenbild von einer Biogas-Anlage dominiert wurde). Aber nichts in dieser Inszenierung ist Selbstzweck, es wimmelt von Querbezügen.
Le Gateau Chocolat
Die wichtigste Pointe des überhaupt nicht mehr lustigen dritten Akts ist bitterböse. Tannhäusers Gefährt ist wie die Illusion vom freien Leben offenbar auf einem Schrottplatz oder einer wilden Müllkippe gelandet. Oskar, der kleinwüchsige Blechtrommler, ist der letzte Bewohner im tristen Ambiente. Wenn die Drehbühne dann herumfährt, sieht man ein riesigen Werbebanner für eine brillantenbesetzte Uhr der Marke "La Gateau Chocolat" - die alternative Lebensform ist vollständig kommerzialisiert. In Tannhäusers Romerzählung wechselt die Regie wieder die Ebene: Tannhäuser trägt aus dem Klavierauszug vor - es ist nicht der hartherzige Pabst, der Erlösung verweigert, sondern der Komponist, der einen "dritten Weg" zulässt. Wenn Tannhäuser am Ende die tote Elisabeth (die sich die Pulsadern aufgeschnitten hat, was sich früh abzeichnet) am Ende in den Armen hält, wird per Video die Utopie eingeblendet: Tannhäuser und Elisabeth glücklich verliebt im Fahrzeug auf der Landstraße (Sonnenuntergang, so viel Ironie muss sein). Kratzer reflektiert damit auch die Problematik der Oper mit ihrem arg konstruierten "mittelalterlichen" Konflikt um die richtige Form der Liebe, hat aber auch ein unmittelbar berührendes Schlussbild gefunden, wie der gesamte dritte Akt unter die Haut geht.
Vor und auch im Anschluss an die Premiere hatte es Proteste gegen Valery Gergiev, den Dirigenten der Produktion, gegeben, der wiederholt offen den russischen Präsidenten Putin unterstützt hat (so auch im Zusammenhang mit der Besetzung der Krim oder im restriktiven Umgang mit sexueller Diversität); auch stößt manchem unangenehm auf, dass der Dirigent parallel zu seinem Bayreuther Engagement in Salzburg Verdis Simon Boccanegra dirigiert (was vertraglich geregelt sein dürfte). Nach dieser Vorstellung erhielt Gergiev herzlichen, keinen enthusiastischen Beifall. Man sollte freilich konstatieren, dass er (bei allen Bedenken gegen manche offensiv von ihm vertretene Position) hier integraler Teil einer Aufführung ist, die sicher quer zu Putins Vorstellungen ausrichtet. Er dirigiert beweglich, nicht zu massig, stilsicher entlang der "Dresdener Fassung" (was angesichts der zeitlichen Nähe zur zitierten Revolutionsschrift von 1849 unbedingt richtig ist); andererseits bleibt er hier und da rhythmisch ungenau. Der Klang des wie gewohnt sehr guten Festspielorchesters ist verblüffend direkt, nicht so sehr der eigentlich festspielhaustypische Mischklang (gibt es da eine geänderte Orchesteraufstellung im unsichtbaren Graben?). Das ist nicht falsch, schließlich ist der Tannhäuser ja noch gar nicht für diese Festspielhausakustik komponiert; andererseits entsteht der Eindruck, dass die Sänger oft lauter singen als eigentlich notwendig.
Bitteres Ende: Tannhäuser und die tote Elisabeth
Stephen Gould gibt einen imposanten, schweren Tannhäuser mit ein paar Wacklern, aber insgesamt sehr eindrucksvoll. Nachdem sich Ekaterina Gubanova bei einer Bühnenprobe verletzt hatte, ist Elena Zhidkova in der Premiere und dieser zweiten Aufführung kurzfristig eingesprungen, und mit agilem Helene-Fischer-Appeal spielt sie die Partie großartig, singt auch mit leuchtendem Sopran den ersten Akt mit imponierender Präsenz, den kurzen Part im dritten etwas ungenau fokussiert. Eine Riesenstimme bringt die 32-jährige Norwegerin Lise Davidsen für die Elisabeth mit, manchmal etwas zu stark flackernd, aber mit warmem Timbre, gleichwohl dramatisch, zudem mit tollem Piano in ihrer Szene im dritten Akt - ein aufsehenerregendes Bayreuth-Debut (dem im nächsten Jahr die Sieglinde in der Walküre folgen soll). Markus Eiche singt einen prägnanten, kraftvollen Wolfram, eine zerrissene Gestalt (Sex mit Elisabeth macht ihn auch nicht wirklich glücklich). Ein wenig altväterlich wirkt der Landgraf von Stephen Milling, mit ein paar unsicheren hohen Tönen, ansonsten solide. Daniel Behle ist ein pieksauberer Walther von der Vogelweise, Katharina Kanradi ein betörend schön singender Hirt. Einmal mehr besticht der Festspielchor (Einstudierung: Eberhard Friedrich) durch Präzision und Klangfülle, aber auch durch wechselnde Klangfarben.
Gab's schon einmal eine so raffinierte Inszenierung des Tannhäuser, die virtuos zwischen verschiedenen Ebenen hin und her springt und dem schwierigen Stück jede Menge (Selbst-)Ironie, Witz, Logik und gleichzeitig berührende Momente gibt? Ein Geniestreich, musikalisch festspielwürdig.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie Solisten
Landgraf Herrmann
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben
Le Gateau Chocolat
Oskar
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- Fine -