Alles Kopfsache
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster und Anja Köhler
Spektakel muss sein! Jedenfalls bei einer Open-Air-Produktion auf dem See, die (legt man die Zahlen der Vorjahre zugrunde) rund 200.000 Besucher in dieser Saison sehen werden. Für das Spektakel sorgt vor allem ein gewaltiger Kopf, rund 14 Meter hoch, der aus dem See ragt, aber auch in die Höhe fahren kann. Es ist, auf den ersten Blick, der Kopf Rigolettos, und der Clou ist, dass dieser Kopf mit Mund und Augen auf das Geschehen reagieren kann, den Protagonisten nachschauen etwa, und je nach Blickrichtung, nach Augen- und Mundposition sind comichafte Grimassen möglich. Zu dem Kopf gehören zwei bewegliche Hände, auf der linken liegt ein Fesselballon, die rechte greift hin und wieder nach den Figuren. Und auch dafür gilt: Erst durch die Bewegung entwickelt dieses Bühnenbild Suggestionskraft. Solange es stillsteht, hat es nicht annähernd die Bildwirkung etwa der im See versinkenden chinesischen Mauer aus Turandot 2015. Aber als dynamisches Bild hat es faszinierende Wirkung, weil es sich immer wieder ändert (dagegen hatte man sich an der chinesischen Mauer irgendwann sattgesehen). Dass aus dem fröhlichen Clownsgesicht mehr und mehr ein Totenkopf wird, spiegelt auf bildlicher Ebene schlüssig den Verlauf der Geschichte wieder: Wenn etwa die Augen herausfallen und über die Bühne gerollt werden, ist das ein starkes Symbol für Rigolettos zunehmende Blindheit gegenüber dem Geschehen, der letztendlich in der mehr oder weniger zufälligen Ermordung seiner eigenen Tochter gipfelt.
Der Clown aus dem See: Bühne (Philipp Stölzl, Heike Vollmer), Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Der Kopf ist aber gleichzeitig ein wichtiges Bühnenelement, und dann ist es nicht mehr so eindeutig der Kopf Rigolettos. Der Herzog von Mantua tritt häufig im geöffneten Mund auf wie auf - wie auf dem Balkon eines Palastes. Das funktioniert erstaunlich gut, und natürlich hat auch das symbolische Bedeutung: Wenn ihm Frauen zugeführt werden und der Mund sich darüber schließt, dann werden diese Frauen sozusagen "verschlungen", so auch Rigolettos Tochter Gilda. Und dann ist da noch der Ballon, mit Helium gefüllt. Rigoletto behandelt Gilda, die er vor der Welt versteckt, ja: gefangen hält, wie ein wertvolles und gleichzeitig fragiles Spielzeug, eben wie einen Ballon. Regisseur Philipp Stölzl hat ein schönes Bild für den heiklen Schluss gefunden, wo Gilda sterbend aus dem Sack singen muss, in dem Rigoletto den Leichnam des verhassten Herzogs wähnt. Es gibt diese Szene, nahezu librettotreu, am unteren Bühnenrand. Aber gleichzeitig entschwebt der mechanischen linken Hand, die zum Riesenkopf gehört, der Fesselballon mit einem Gilda-Double, Gildas Himmelfahrt sozusagen, mit Schleier im Blau der Mariendarstellungen. Aber wer mag, kann neben der Schauergeschichte eine andere herauslesen: Da wird ein junges Mädchen erwachsen und entzieht sich der Einflusssphäre des Vaters. Der Tod wird somit ein symbolischer. Damit gelingt Stölzl der Spagat zwischen einer konventionellen Erzählweise, die sicher große Teile des Publikums hier erwarten, und einer vielschichtigen, ambitionierten Deutung.
In der Hand des Clowns: Gilda und Rigoletto; Foto: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Als zweite Leitlinie verlegt Stölzl das Geschehen vom Hof in Mantua in einen Zirkus. Der Clownskragen des Riesenkopfes wird zur Manege. Das hat theaterpraktisch zur Konsequenz, dass allerlei akrobatische Aktionen, die eben auch zum Spektakel beitragen, inhaltlich gut motiviert sind. Es wird viel und spektakulär herumgeklettert im Bühnenbild. Ob das immer die Sänger sind, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen; dank der technischen Möglichkeiten ist es im Grunde egal, von wo ein Sänger singt. Aber da ständig mit Seilen gesichert wird, sind es wohl überwiegend tatsächlich die (notwendigerweise schwindelfreien) Sängerdarsteller, die sich mitunter in halsbrecherische Posen begeben. Viel Spektakel gibt's also auch unmittelbar auf der Bühne, und das wird durch das Zirkusambiente ziemlich gut integriert. Rigoletto, der Hofnarr, ist natürlich der Clown, und der Herzog ist ein Dompteur mit Peitsche - und was er damit durch die Manege treibt, sind die Frauen, die er erobert. Mörder Sparafucile ist ein Messerwerfer, seine Schwester Maddalena posiert vor der Scheibe, auf die er wirft. Da man bei Clown in der neueren Rezeption auch gerne an Horrorclown denken darf, bekommt der Riesenclownskopf eine zusätzliche Konnotation, was wiederum durchaus zu den Schockeffekten der Handlung passt. Auch da muss man sagen: Stölzl ist ein assoziationsreicher Bilderbogen gelungen, den man auch als fortlaufendes Bilderrätsel verstehen kann. Die unterschiedlichen Anforderungen an eine solche Aufführung sind hierausgesprochen gut vereint.
Die Tochter als Spielzeug: Der Ballon, der letztendlich Rigolettos Händen entgleiten wird, ist eine wesentliche Chiffre der Inszenierung; Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Verblüffend gut ist die Akustik. Fast immer ist genau zu lokalisieren, von wo eine Sängerin oder ein Sänger tatsächlich singt, was bei den großen Entfernungen und dem manchmal zwangsläufig entstehenden Wimmelbildeffekt ungemein hilfreich ist - eine technisch höchst komplizierte Angelegenheit, schließlich müssen die unterschiedlichen Entfernungen der Lautsprecher zum Publikum und die daraus resultierende Laufzeit des Schalls stets berücksichtigt werden. Dass mitunter allzu kräftig Hall beigemischt wird, manchmal einzelne Instrumente ziemlich aufdringlich in den Vordergrund gestellt werden, das sind Schönheitsfehler, wohl aus dem Wunsch entstanden, eine Akustik besser als im "normalen" Opernhaus zu schaffen. Die Wiener Symphoniker spielen unter der Leitung von Enrique Mazzola zuverlässig und mit schönem Klang insbesondere in den Holzbläsern. Mazzola dirigiert nicht zu "knallig", begleitet die Sänger, schafft ein transparentes Klangbild - und kann, nicht das Unwichtigste, über Monitore aus dem Festspielhaus heraus (wo Dirigent und Orchester platziert sind) das Bühnengeschehen gut koordinieren. Der Festspielchor und der Prager Philharmonische Chor (letzterer singt ebenfalls aus dem Festspielhaus) sind voll im Klang und flexibel in der Gestaltung.
Vergebliche Aufklärungsarbeit: Rigoletto und Gilda (links) beobachten, wie der Herzog sich an Maddalena (im schwarzweißen Dress) heranmacht. Die Statisterie zeigt derweil, worauf es dem Frauenheld ankommt: Viel Busen. Foto: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Vladimir Stoyanov gibt einen soliden, in der musikalischen Anlage eher konventionellen Rigoletto, Stephen Costello einen draufgängerischen, gleichwohl lyrischen Herzog, der leider bei den Spitzentönen ein wenig an Substanz verliert. So gebührt die Krone bei dieser Premiere (die Hauptrollen sind dreifach, die Nebenrollen doppelt besetzt, um die Vielzahl von Aufführungen zu bewältigen) Mélissa Petit als Gilda, absolut sicher in den Koloraturen und Sprüngen, aber mit nicht zu leichter Stimme, und weil sich in den beweglichen Sopran ein paar samtene dunkle Frequenzen beimischen, bekommt das jugendliche Timbre eine erotische Aura, die wunderbar zur Rolle der heranwachsenden (und prompt vergewaltigten, das ist die Schattenseite) Frau passt. Katrin Wundsam singt ihre Amme Giovanna und, weitaus wichtiger, Sparafuciles Schwester Maddalena mit warmer, präsenter Stimme. Auch die kleineren Partien sind durchweg gut besetzt.
FAZIT
Den Bregenzer Festspielen gelingt mit dieser Produktion ein Theatercoup: Die Show stimmt ebenso wie das musikalische Niveau, und gleichzeitig zeigt Philipp Stölzl eine intelligente, vielschichtige Deutung mit starken Bildern.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Enrique Mazzola (Premiere)/ Daniele Squeo
Inszenierung
Philipp Stölzl
Bühne
Philipp Stölzl Heike Vollmer
Licht
Georg Veit Philipp Stölzl
Stunt- und Bewegungsregie
Wendy Hesketh-Ogilvie
Mitarbeit Regie
Philipp M. Krenn
Chor
Lukáš Vasilek
Benjamin Lack
Dramaturgie
Olaf A. Schmitt
Wired Aerial Theatre
Bühnenmusik in Kooperation mit dem
Vorarlberger Landeskonservatorium
Prager Philharmonischer Chor
Bregenzer Festspielchor
Wiener Symphoniker
Solisten
* Besetzung der Premiere
Der Herzog von Mantua
* Stephen Costello Sergey Romanovsky / Pavel Valuzhin
Rigoletto
Scott Hendricks / Jordan Shanahan / Yngve Søberg / * Vladimir Stoyanov
Gilda
Stacey Alleaume / * Mélissa Petit / Ekaterina Sadovnikova
Sparafucile
Goderdzi Janelidze / * Miklós Sebestyén
Maddalena Giovanna
Rinat Shaham / * Katrin Wundsam
Der Graf von Monterone
Jordan Shanahan / * Kostas Smoriginas
Marullo
Liviu Holender / * Wolfgang Stefan Schwaiger
Borsa
Taylan Reinhard / * Paul Schweinester
Der Graf von Ceprano
* Jorge Eleazar / David Oštrek
Die Gräfin
Gloria Giurgola / * Léonie Renaud
Page
David Kerber / * Hyunduk Kim
weiterer Bericht von den Bregenzer Festspielen 2019:
Don Quichotte im Festspielhaus
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