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Internationale
Händel-Festspiele Göttingen 17.05.2019 - 26.05.2019 Rodrigo
Dramma per musica in drei Akten (HWV 5) Aufführungsdauer: ca. 3 h 35' (eine Pause) Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 17. Mai 2019 |
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Das Ende des letzten Westgotenkönigs Von Thomas Molke / Fotos: © Alciro Theodoro da Silva Nachdem im letzten Jahr bei den Händel-Festspielen in Halle (Saale) mit Berenice, Regina d'Egitto seit dem Beginn der Festspiele alle 42 Händel-Opern szenisch zur Aufführung gelangt sind, schließt man bei den Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen diese "Lücke" ein Jahr später und präsentiert Händels erste italienische Oper Rodrigo, die hier als einziges Werk noch nicht szenisch auf dem Spielplan stand. Lange Zeit lag diese Oper nur fragmentarisch vor. Die erste Aufführung nach der Händel-Renaissance erfolgte 1984 unter der Leitung von Alan Curtis bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, nachdem mit dem in der Händel-Kollektion des Earl of Shaftesbury wiedergefundenen dritten Akt die Partitur rekonstruiert werden konnte. Obwohl Händel die Oper am 30. Oktober 1707 in Florenz zur Uraufführung brachte, komponierte er einen großen Teil in Rom, wo er wohl bis zum Ende des Sommers 1707 verweilte. Dort waren zur damaligen Zeit aufgrund einer päpstlichen Anordnung jegliche Opernaufführungen allerdings verboten, so dass er das Angebot des Großherzogs Gian Gastone de' Medici gerne annahm, die Oper in Florenz vorzustellen. Rodrigo (Erica Eloff, im Hintergrund) hat ein Verhältnis mit Florinda (Anna Dennis). Erzählt wird die Geschichte des letzten Königs der Westgoten in Hispanien, Roderich (Rodrigo), dessen Herrschaftsende 711 zu der lange währenden maurischen Besetzung führte. Die Oper, die auf einem Libretto mit dem Titel Il duello d'amore e di vendetta basiert, das Francesco Silvani für den venezianischen Komponisten Marc' Antonio Ziani verfasste, ändert allerdings die historischen Begebenheiten ein wenig ab und konzentriert sich mehr auf die persönlichen Beziehungen zwischen den Protagonisten. Hier hat Rodrigo ein Verhältnis mit Florinda, der Schwester seines Feldherrn Giuliano. Da aus dieser Verbindung ein Kind hervorgegangen ist, fordert Florinda, dass Rodrigo sich von seiner kinderlosen Gattin Elisena trennt und sie selbst zur Königin macht. Als Rodrigo dieses Ansinnen brüsk ablehnt, plant Florinda gemeinsam mit ihrem Bruder eine Rebellion. Zur Hilfe kommt ihnen dabei Evanco, der König von Aragon, den Giuliano zunächst für Rodrigo besiegt hat und der dank Elisenas Fürbitte der Hinrichtung entgangen ist. Elisena ist bereit, ihren Gatten der Rivalin zu überlassen, wenn damit eine kriegerische Auseinandersetzung vermieden werden kann. Doch Florinda will mittlerweile nur noch Rodrigos Tod. Als Rodrigo schließlich vernichtend geschlagen wird, erscheint Elisena mit Florindas Sohn und fordert die Rivalin auf, das Kind gemeinsam mit dem Vater zu töten. Florinda wird von Muttergefühlen ergriffen und will auf ihre Rache verzichten. Dafür tritt Rodrigo die Herrschaft an sie und Evanco ab und gibt den gemeinsamen Sohn als zukünftigen Herrscher über Kastilien in Giulianos Obhut. Er selbst zieht sich mit Elisena ins Privatleben zurück. Der historische Roderich wurde - anders als in der Oper - nach der Niederlage von Giuliano umgebracht. Esilena (Fflur Wyn) und Fernando (Leandro Marziotte) im zerstörten Haus Das Regie-Team um Walter Sutcliffe betont die grausamen Aspekte der Handlung und siedelt die Geschichte in einem zerstörten Haus an. Die riesigen Löcher in der Decke und die brüchigen Wände lassen vermuten, dass dieses Haus einem Bombenangriff zum Opfer gefallen ist. Ein Cola-Automat und eine Videoleinwand auf der rechten Seite sowie das moderne Mobiliar deuten an, dass die Geschichte auch in der Gegenwart spielen könnte. Über dem zerstörten Raum sind an der Bühnendecke Spiegel angebracht, die eine verzerrte Sicht auf das Geschehen auf der Bühne liefern. In einem hinteren Raum sieht man ein Cembalo, an dem der Darsteller des Fernando während der Ouvertüre und am Ende des dritten Aktes Platz nimmt. Soll das eine Anspielung auf den Komponisten Händel sein, der hier noch Veränderungen an seiner Oper vornimmt? Immerhin fehlen einzelne Teile aus dem ersten und dritten Akt, die aus anderen Händel-Werken und zusätzlich komponierten Rezitativen wiederhergestellt worden sind Die Ouvertüre wirkt ungewöhnlich lang und weist Passagen auf, die in der Aufnahme von Alan Curtis aus Innsbruck nicht zu hören sind. Damit hat die Regie jedoch die Möglichkeit, die Vorgeschichte darzustellen. So sieht man, wie Rodrigo Florinda auf dem Sofa verführt und wie sie anschließend stolz mit dem Kinderwagen vorfährt und damit Elisena gegenüber Überlegenheit demonstriert. Happy End mit gebratenem Hund: von links: Rodrigo (Erica Eloff), Elisena (Fflur Wyn), Florinda (Anna Dennis), Evanco (Russell Harcourt) und Giuliano (Jorge Navarro Colorado) Andere Regie-Einfälle bleiben unverständlich. So führt Sutcliffe beispielsweise einen großen Hund ein, zu dem Rodrigo eine innige Verbindung hat. Das Tier darf auf der Bühne auch einige Kunststücke vollbringen, und Erica Eloff zeigt sich in der Titelpartie im Umgang mit dem Hund sehr souverän. Später sieht man den Hund auf der Videoleinwand von einem Raum zum anderen laufen, wobei diese Sequenz häufig wiederholt wird. Wenn dann im dritten Akt Evanco und Florinda den Palast einnehmen, tritt Evanco mit einer Keule in den Nebenraum und erschlägt das Tier, um es anschließend blutüberströmt auf die Bühne zu ziehen. Bis dahin bleibt die Geschichte noch nachvollziehbar. Aber wenn dann nach Aussöhnung aller Figuren Elisena das Tier mit einem Beil zerlegt und beim jubelnden Schlusschor das Fleisch an einem Spieß über dem Feuer brät, fragt man sich doch, was diese Szene zu bedeuten hat. Immerhin soll Rodrigo ja am Ende der Oper einen moralischen Wandel zum Guten hin vollzogen haben, wie der Untertitel der Oper, Vincer lo stesso è la maggior Vittoria (Sich selbst zu besiegen ist der größte Sieg), besagt. Dass er da sein geliebtes Tier gemeinsam mit seinen ehemaligen Feinden verspeist, wirkt da sehr unglaubwürdig. Ansonsten findet Sutcliffe mit einer ausgeklügelten Personenregie einen guten Zugang zum Stück, so dass auch in den teilweise sehr ausgedehnten Rezitativen keine szenischen Längen entstehen. Im Angesicht des Untergangs finden Elisena (Fflur Wyn) und Rodrigo (Erica Eloff) wieder zueinander. Musikalisch bewegt sich der Abend auf sehr hohem Niveau. Erica Eloff begeistert stimmlich und darstellerisch in der Titelpartie mit strahlendem Sopran. Optisch hat die Maske hier ganze Arbeit geleistet, und auch in den Bewegungen und im Habitus schlüpft Eloff absolut glaubhaft in die Männerrolle. In den Höhen leuchtet ihr Sopran mit großer Kraft, die eines Herrschers absolut würdig ist, und auch in den schnellen Läufen und Koloraturen beweist Eloff großartige Beweglichkeit. Fflur Wyn steht ihr als Gattin Elisena in nichts nach. Mit warmem Sopran und klaren Höhen unterstreicht sie den sanften Charakter der Königin, die stets bemüht ist, Konflikte friedlich zu lösen. Ein musikalischer Höhepunkt ist ihre große Arie am Ende des ersten Aktes, wenn sie beschließt, zu Florinda zu gehen und der Rivalin den Platz an der Seite des Königs anzubieten. Unglaubliches leistet hier auch die Solo-Violine im FestspielOrchester Göttingen, die mit intensivem Spiel im Dialog mit Wyn die Emotionalität dieser Szene herausarbeitet und beim Publikum frenetischen Jubel auslöst. Sehr eindringlich gestaltet Wyn auch ihren Auftritt mit Florindas Kind, wenn sie die Rivalin auffordert, mit dem König auch seinen Sohn zu töten. Auch hier unterstreicht sie mit weichem Ansatz, wie viel Verstand und Menschlichkeit in der Königin steckt. Unter die Haut gehen auch die beiden Duette im dritten Akt mit Eloff, in denen sich die beiden bereits verloren glauben und einander noch einmal ihre gegenseitige Liebe versichern. Die beiden Sopranstimmen finden hier zu einer betörenden Innigkeit. Anna Dennis begeistert als Florinda mit kräftigem Sopran, der in den Höhen eine enorme Dramatik entwickelt, die ihren Wunsch nach Rache unterstreicht. Dabei punktet sie mit sauber angesetzten Koloraturen. Jorge Navarro Colorado stattet ihren Bruder Giuliano mit einem beweglichen Tenor aus und vollzieht darstellerisch einen glaubhaften Wechsel vom Anhänger zum Gegner des Königs. Aufhorchen lässt auch der junge Countertenor Russell Harcourt als Evanco. Mit strahlenden Höhen und beweglichen Koloraturen zeigt er sich als Herrscher, der Rodrigo in jeder Beziehung ebenbürtig ist. Mit intensivem Spiel unterstreicht er glaubhaft die Rachsucht und Unnachgiebigkeit des Königs von Aragon, der schließlich nur aus Liebe zu Florinda zum Einlenken bereit ist. Leandro Marziotte rundet als Fernando mit sanftem Countertenor das großartige Ensemble hervorragend ab. Laurence Cummings glänzt mit dem FestspielOrchester Göttingen auf gewohnt hohem Niveau, so dass es am Ende für alle Beteiligten frenetischen und verdienten Jubel gibt. FAZIT Die Internationalen Händel-Festspiele in Göttingen haben die "letzte Repertoirelücke" bei der szenischen Umsetzung aller Händel-Opern mit dieser Inszenierung musikalisch großartig geschlossen. Sutcliffes Regie wirft zwar einige Fragen auf, kann im Ganzen aber überzeugen. Weitere Rezensionen zu den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen 2019
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühnenbild und Kostüme Licht
Solisten
Rodrigo Elisena
Florinda Giuliano Evanco Fernando
Weitere |
- Fine -