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Verwirrspiel mit Geschlechter-TauschVon Thomas Molke / Fotos: © Innsbrucker Festwochen / Rupert Larl
Pietro Antonio Cesti galt neben Francesco Cavalli zu seiner Zeit als führender
Opernkomponist Italiens in der Generation nach Claudio Monteverdi. Sein
Verdienst war es vor allem, die italienische Oper in den Ländern nördlich der
Alpen zu etablieren. Für Innsbruck ist er von ganz besonderer Bedeutung, da ihn
der Tiroler Erzherzog Ferdinand Karl dorthin als Hofkapellmeister holte und für
Cestis Werke ein kostspieliges Logentheater nach italienischem Vorbild bauen
ließ. Von den in Innsbruck komponierten Opern erlebten wahrscheinlich sechs ihre
Uraufführung in diesem neuen Theater. Die Oper La Dori war eine der
erfolgreichsten dieser Opern und trat nach der Uraufführung 1657 in Innsbruck
einen Triumphzug durch ganz Italien an. Dabei ist die Handlung so verworren,
dass einige Wiederaufführungen in den 80er und 90er Jahren des letzten
Jahrhunderts nicht von allzu großem Erfolg gekrönt waren. Da sich in diesem Jahr
Cestis Tod zum 350. Mal jährt, hat man bei den Innsbrucker Festwochen der
Alten Musik beschlossen, ihn neben dem alljährlichen Gesangswettbewerb, der
in diesem Jahr zum 10. Mal unter seinem Namen stattfindet, auch mit La Dori
als szenischer Opernproduktion zu ehren.
Artaxerse (Federico Sacchi) preist dem Prinzen die zukünftige
Braut Arsinoe an.
Schon die Vorgeschichte der in der Antike spielenden Oper ist so kompliziert,
dass bereits bei der Uraufführung dem Libretto eine ausführliche Beschreibung in
Italienisch und Deutsch beigefügt war, die man kennen musste, um der Handlung
folgen zu können. Die Könige von Nikäa und Persien haben kurz nach der Geburt
der Prinzessin Dori in Nikäa und des Prinzen Oronte in Persien beschlossen, die
beiden als Erwachsene miteinander zu verheiraten, um die Freundschaft zwischen
den beiden Reichen zu sichern. Da Dori aber als kleines Kind Piraten in die
Hände gefallen und seitdem verschollen war, sollte Oronte später Doris jüngere
Schwester Arsinoe heiraten. Dori war mittlerweile an den Hof von Ägypten
gelangt, wo eine ägyptische Prinzessin mit dem gleichen Namen als kleines Kind
auf tragische Weise gestorben war und Arsete, der sich für den Tod des Kindes
verantwortlich fühlte, Dori als ägyptische Prinzessin ausgab. Oronte kam als
junger Mann nach Ägypten und verliebte sich in Dori, was dazu führte, dass er Arsinoe nicht wie vertraglich vereinbart heiraten wollte. Dori folgte ihm aus Liebe
nach Persien, tarnte sich allerdings als Mann, fiel erneut Seeräubern in die
Hände und landete in Nikäa, wo sie von Arsinoe gerettet wurde. Fortan begleitete
sie sie als Sklave Alì. Gemeinsam mit Arsinoe gelangte sie nun nach Babylon, um
die Einhaltung des Ehevertrags zwischen Oronte und Arsinoe einzufordern. Der
ägyptische Prinz Tolomeo begab sich auf der Suche nach seiner vermeintlichen
Schwester Dori ebenfalls nach Persien, verliebte sich in Arsinoe und verkleidete
sich als Dienerin Celinda, um Arsinoe nahe sein zu können. Danach erst beginnt
die Opernhandlung.
Arsinoe (Francesca Lombardi Mazzulli, rechts) blickt mit der Amme
Dirce (Alberto Allegrezza, links) freudig der bevorstehenden Vermählung
entgegen.
Die folgenden drei Akte sind ein munteres Verwirrspiel, bei dem das Regie-Team
um Stefano Vizioli auf die Komik der Vorlage und die Kraft der Musik vertraut
und auf Modernisierungsansätze verzichtet. Die opulenten Kostüme von Anna
Maria Heinrich weisen eher auf die Entstehungszeit der Oper als auf den
Zeitpunkt der Handlung hin. Das Bühnenbild von Emanuele Sinisi zeigt auf der
rechten und linken Bühnenseite zwei hohe antik anmutende Stadtmauern, auf denen
man das tosende Meer sieht, was vielleicht die innere Unruhe der einzelnen
Figuren widerspiegelt. Einige Felsen im Hintergrund und auf der linken Seite
deuten eine leicht unwirtliche Gegend an. Szenenwechsel werden mit vereinzelten
Requisiten und einem Zwischenvorhang angedeutet. Der Übergang zwischen den
einzelnen Akten ist so fließend wie die musikalischen Nummern, die von bewegten
Rezitativen in ariose Strukturen und Ensembles übergehen. Damit ist Cesti der
durchkomponierten Form der Opern des 19. Jahrhunderts musikalisch beinahe näher
als der Barockoper des 18. Jahrhunderts mit ihren Da-capo-Arien. Auch sind die
Affekte der Figuren nicht auf die Arien beschränkt, sondern entfalten sich
ebenso in den Rezitativen, was sich vor allem in deren musikalischen Ausarbeitung zeigt.
Erasto (Pietro Di Bianco) begehrt Celinda (Emöke Baráth), ohne zu
ahnen, dass es sich dabei um den ägyptischen Prinzen Tolomeo handelt.
Während bei der Uraufführung 1657 in Innsbruck wahrscheinlich auch die
weiblichen Rollen von Kastraten gesungen wurden, treibt die Inszenierung bei den
Festwochen das Spiel mit den Geschlechtern noch weiter. So werden nicht nur die
beiden Prinzessinnen Dori und Arsinoe von zwei Frauen gesungen
sondern auch die Partie des Tolomeo, der sich als Frau verkleidet und in den
sich dann auch noch Orontes Hauptmann, der Bass Erasto, verliebt. Der Prinz
Oronte wird von einem Countertenor interpretiert, dessen Stimme höher als die der
von ihm geliebten Dori ist, so dass auch hier in gewisser Weise ein Rollentausch
vorliegt und man Dori durchaus als den aktiveren Part in der
Liebesbeziehung deuten kann, selbst wenn sie sich im Laufe des Stückes aus
Liebeskummer permanent das Leben nehmen will und daran stets von
anderen gehindert werden muss. Dass die alte Amme Dirce von einem Tenor
dargestellt
wird, ist für die Oper des 17. Jahrhunderts eigentlich keine Besonderheit.
Frauen, die ihren weiblichen Reiz verloren haben, wurden häufig in komischen
Rollen mit Männerstimmen besetzt. Hier ist Dirce aber nicht nur eine lüsterne
Alte, die erfolglos Orontes Diener und Hofnarr Golo nachstellt und sich
wunderbar mit dem Eunuchen Bagoa streitet, sondern auch noch Doris Retterin, da
sie deren Gifttrank gegen ein Schlafmittel austauscht. So klärt sich nach
zahlreichen Verwirrungen alles auf, und Oronte darf schließlich doch noch seine
geliebte Dori heiraten, während Arsinoe mit dem ägyptischen Prinzen Tolomeo
vermählt wird.
Glückliches Ende mit Doppelhochzeit (vordere Reihe von links:
Bagoa (Konstantin Derri), Dori (Francesca Ascioti), Arsinoe (Francesca Lombardi
Mazzulli), Erasto (Pietro Di Bianco), Tolomeo (Emöke Baráth), hintere Reihe von
links: Golo (Rocco Cavalluzzi), Oronte (Rupert Enticknap), Arsete (Bradley
Smith), Artaxerse (Federico Sacchi) und Dirce (Alberto Allegrezza))
Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Ottavio Dantone lotet mit
der Accademia Bizantina die musikalisch sehr reichhaltige und bunte Partitur
differenziert aus und vermittelt ein wunderbares Bild von Cestis
Melodienvielfalt und Kunst, musikalisch Emotionen zu beschreiben. Francesca
Ascioti gestaltet die Titelpartie mit einem dunklen Alt, der ihre Verkleidung
als Sklave Alì durchaus glaubwürdig macht. Mit großer Intensität stellt sie die
Zerrissenheit der jungen Prinzessin dar, die sich ihrer Retterin Arsinoe
einerseits verpflichtet fühlt und andererseits Oronte selbst liebt. Bewegend
gelingt ihr auch ihr Auftritt als Erscheinung von Orontes Mutter Parisatide in
einer Traumsequenz, in der sie nur als Schatten hinter einem Vorhang zu erkennen
ist. Dabei gibt sie dem Schatten eine ganz andere, wesentlich höhere
Stimmfärbung, die dem Optimismus entspricht, den die Erscheinung prophezeit.
Rupert Enticknap verfügt als Oronte über einen weichen Countertenor, der
unterstreicht, dass er Schwierigkeiten hat, sich dem ihm bestimmten Schicksal zu
widersetzen. Dabei ist er immer wieder zu dramatischen Ausbrüchen in den Höhen
fähig, wenn er von seiner Liebe zu Dori überwältigt wird und Arsinoe
zurückweist. Vor allem wenn er Arsinoe wegen angeblicher Untreue mit dem Sklaven
Alì zum Tode verurteilen will, zeigt Enticknap stimmlich eine entschlossene
Härte.
Federico Sacchi verfügt als persischer Regent Artaxerse über einen profunden
Bass, der mit großer Autorität deutlich macht, was zur Wahrung des Reiches
erforderlich ist. So ist er nicht bereit, Orontes Weigerung, Arsinoe zu
heiraten, zu akzeptieren, und lenkt erst ein, als sich Dori als verschollene
Prinzessin aus Nikäa entpuppt. Francesca Lombardi Mazzulli stattet Doris jüngere
Schwester Arsinoe mit leuchtendem Sopran aus und zeigt im Verlaufe der Oper
sehr klar, dass sie nicht unter allen Umständen bereit ist, sich in eine Ehe mit Oronte zu fügen, besonders nachdem sie in ihrer treuen Freundin Celinda den
ägyptischen Prinzen Tolomeo erkannt hat, der unter Einsatz seines Lebens bereit
ist, die Geliebte zu schützen. Emöke Baráth verfügt als Tolomeo über einen
strahlenden Sopran, der wunderbar mit Mazzullis Stimme harmoniert und
unterstreicht, dass sich dieses Paar
auch stimmlich auf Augenhöhe bewegt. Alberto Allegrezza
gefällt als lüsterne Amme Dirce mit komischem Spiel und herrlichen Tanzeinlagen.
Mit viel Spielwitz und leichtem Buffo-Bass versucht Rocco Cavalluzzi als Golo ihren
Annäherungsversuchen zu entfliehen. Pietro Di Bianco gibt sich als Erasto mit
dunklem Bass sehr leidenschaftlich, wenn er die vermeintliche Celinda umwirbt
und scheint auch noch nicht ganz abgeneigt zu sein, nachdem diese sich als Prinz
Tolomeo entpuppt hat. Konstantin Derri und Bradley Smith runden als Eunuch Bagoa
und als Doris Lehrer Arsete das Ensemble überzeugend ab, so dass es am Ende
großen und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Trotz der verworrenen Handlung hat der Abend musikalisch seine Meriten und macht
deutlich, dass Cesti es verdient, neben Monteverdi und Cavalli einen Platz im
Repertoire zu erhalten.
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Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2019 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungOttavio Dantone Regie Bühnenbild Kostüme Lichtdesign
Statisterie Solisten
Dori, Tochter des Königs Archelaos von
Nikäa
Oronte, Prinz von Persien Artaxerse,
Onkel von Oronte und persischer Regent
Arsinoe, Tochter des Königs Archelaos
Tolomeo, Prinz von Ägypten Arsete, Doris alter Lehrer Erasto, Hauptmann Orontes Dirce, Orontes alte Amme Golo, Orontes Diener und
Hofnarr Bagoa, Eunuch und Hüter des
Serails Erscheinung von Orontes Mutter
Parisatide
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- Fine -