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Vokalakrobatik mit barocker GestikVon Thomas Molke / Fotos: © Innsbrucker Festwochen / Rupert Larl Riccardo Broschi ist heute vor allem als Bruder des berühmten Farinelli, Carlo Broschi, bekannt. Dass er in den 20er und 30er Jahren des 18. Jahrhunderts zu den bedeutenden Vertretern der neapolitanischen Schule zählte, hat noch nicht dazu geführt, dass seinem kompositorischen Schaffen in Zeiten der Renaissance der Barockmusik wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein Grund mag darin liegen, dass seine Opern vielleicht zu sehr auf die stimmlichen Fähigkeiten seines Bruders, des wohl außergewöhnlichsten Starkastraten, zugeschnitten waren. Als Farinelli nämlich Italien verließ und an die Opera of the Nobility in London wechselte, blieben für Broschi in Italien die Erfolge aus. Mit Ausnahme eines kurzen Engagements am Hof des Herzogs von Württemberg Karl Alexander 1737 war Broschi auf die Unterstützung seines Bruders Farinelli angewiesen und folgte ihm schließlich nach Madrid an den spanischen Hof, wo es ihm allerdings trotz der Fürsprache Farinellis nicht gelang, die angestrebte Stellung eines "maestro di cappella" zu erhalten. Intendant Alessandro De Marchi will nun bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik zeigen, dass Broschis kompositorisches Schaffen zu Unrecht vernachlässigt wird, und hat dafür Merope auf den Spielplan gestellt, ein Dramma per musica, mit dem sich Broschi 1732 auf dem Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens befand. Epitide (David Hansen) zwischen seiner Mutter Merope (Anna Bonitatibus, links) und seiner Geliebten Argia (Arianna Vendittelli, 2. von rechts) Die Handlung spielt in der Antike in Messenien, einem Gebiet im Südwesten der Peloponnes, wo die Herakliden, die Nachkommen des Herakles, regieren. Polifonte hat seinen Bruder, den regierenden König Cresfonte, und dessen Kinder töten lassen und hofft, durch eine Hochzeit mit der Königswitwe Merope die Herrschaft übernehmen zu können. Merope hat sich zehn Jahre Bedenkzeit ausgebeten, weil sie hofft, dass in dieser Zeit ihr noch lebender Sohn Epitide aus Ätolien zurückkehren werde, um seinen Herrschaftsanspruch geltend zu machen. Epitide hat sich in Ätolien in Argia, die Tochter des Königs, verliebt. Polifonte lässt diese entführen, um die Auslieferung Epitides zu erwirken und ihn auf diese Weise ebenfalls beseitigen zu können. Doch der König von Ätolien lässt über einen Botschafter die Nachricht verbreiten, dass Epitide tot sei. Epitide kommt nun getarnt unter dem Namen Cleone nach Messenien. Zuerst gewinnt er Polifontes Vertrauen, indem er einen wilden Eber tötet, der im Land großen Schaden anrichtet. Als Polifonte allerdings erfährt, dass Cleone in Wahrheit Epitide ist, plant er eine weitere Intrige. Er redet Merope, die mittlerweile davon ausgeht, dass Epitide ebenfalls tot ist, ein, Cleone sei der Mörder ihres Sohnes. So will er erreichen, dass Merope zur Mörderin an ihrem eigenen Kind wird und gleichzeitig auch noch für den damaligen Mord am König verantwortlich gemacht wird. Doch in letzter Sekunde fliegt der Schwindel auf. Trasimede, der von Merope beauftragt worden ist, Cleone zu töten, hat in Cleone Epitide erkannt und so den Mord verhindert. Polifonte wird für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Epitide übernimmt die Herrschaft in Messenien und erneuert durch die Hochzeit mit Argia das Bündnis zwischen Messenien und Ätolien. Anassandro (Filippo Mineccia, Mitte vorne) beschuldigt Merope (Anna Bonitatibus, links), den Mord am König in Auftrag gegeben zu haben. (kniend: Trasimede (Vivica Genaux), dahinter: Licisco (Hagen Matzeit), auf der rechten Seite sitzend von links: Polifonte (hier: Daniele Berardi) und Epitide (David Hansen), dahinter: Corpo Barocco und Statisterie). Das Regie-Team um Sigrid T'Hooft versucht, mit einer barocken Bewegungssprache, opulenten Kostümen und einem entsprechenden Lichtdesign eine Vorstellung von der historischen Aufführungspraxis der Opern im 18. Jahrhundert zu vermitteln. Tommy Geving erweckt dafür mit warmem, gelbem und leicht flackerndem Licht von der Fußrampe, von Kronleuchtern über der Bühne und aus den Kulissen den Eindruck von Kerzen, die das Bühnengeschehen anders als heute übliche Scheinwerfer beleuchten, und schafft somit eine ganz eigene Atmosphäre. Stephan Dietrich hat die aufwendig gestalteten Kostüme mit vielen kleinen glitzernden Teilen aus Metall bestückt, die die Protagonisten je nach Positionierung auf der Bühne regelrecht schimmern lassen. Dabei ist der Bewegungsradius der Figuren aufgrund der schweren Gewänder stark eingeschränkt und ahmt die höfischen Gesten der damaligen Zeit nach. Damit erhält die Inszenierung zwar einerseits etwas Statisches, glänzt andererseits jedoch durch eine wunderbare Ästhetik, die den Abend optisch zu einer regelrechten Augenweide macht. Man kann gut nachvollziehen, welche Faszination der Prunk einer solchen Inszenierung auf das damalige Publikum ausgelöst hat. T'Hooft achtet bei der Personenregie sehr strikt darauf, dass die Darstellerinnen und Darsteller diesen Bewegungskodex einhalten, dabei aber dennoch die Gefühle der Figuren gut nachvollziehbar umsetzen. Pantomime am Ende des zweiten Aktes (Corpo Barocco) Um das Gefühl einer damaligen Aufführung dem Publikum näher zu bringen, hat T'Hooft auch nicht auf Balletteinlagen verzichtet, die damals stets am Ende der einzelnen Akte standen. Ihre Compagnie Corpo Barocco hat sie außerdem auch noch als Dienstboten und Volk in die restliche Handlung als Tänzer eingebaut. Da die Ballettmusik weder von Broschi stammt noch zur damaligen Aufführung in Turin erhalten ist, hat Alessandro De Marchi drei Tanzmusiken herausgesucht und arrangiert, die inhaltlich die umzusetzenden Szenen gut beschreiben. Die Ballettmusik nach dem ersten Akt stammt von dem Franzosen Jean-Marie Leclair, der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Turin aufgehalten hat. Mit mehreren Zweigen feiern drei Tänzerinnen und drei Tänzer den in der Oper noch bevorstehenden Sieg Epitides über den wilden Eber. Die Pantomime nach dem zweiten Akt komponierte Carlo Alessio Rasetti zwar für eine andere Oper, die Musik passt allerdings inhaltlich ebenfalls sehr gut zur Szene. Mit grauen Schweinsköpfen feiert eine "Commedia dell'arte"-Truppe weiterhin den Sieg über den Eber, der mittlerweile zu einer riesigen Keule und einer ganzen Reihe Würste verarbeitet worden ist. Arlecchino, der stets Hunger hat, versucht, den anderen dabei das Essen abzuluchsen. Am Ende des dritten Aktes wird dann wieder Musik von Leclair verwendet, um - dieses Mal gemeinsam mit den Solisten - das glückliche Ende und den neuen Bund zwischen Messenien und Ätolien zu feiern. Der Tanz ist zwar ästhetisch schön anzusehen und vermittelt sicherlich auch einen guten Eindruck des barocken Ausdrucks. Bei einer Spieldauer von circa fünfeinhalb Stunden ist es allerdings fraglich, ob man auf diese retardierenden Momente nicht hätte verzichten sollen. Epitide (David Hansen) ist aus Ätolien zurückgekehrt. Musikalisch bietet der Abend ein Barock-Spektakel vom Feinsten. Da ist zunächst David Hansen zu nennen, der mit Epitide in eine Paraderolle Farinellis schlüpft, die dieser auch bei der Wiederaufnahme in London verkörpert hat. Wenn Hansen direkt zu Beginn des ersten Aktes die Bühne betritt, fühlt man sich an die berühmte Farinelli-Verfilmung erinnert. Kostüm und Bühnenbild wirken eins zu eins aus der Filmsequenz kopiert. Was Hansen stimmlich leistet, lässt beinahe den Eindruck erwecken, Farinelli sei - zumindest soweit man es mit Blick auf den Film beurteilen kann - wieder zum Leben erweckt worden. Mit welcher Eleganz Hansen in die hohen Koloraturen entschwebt und dabei auch in der Mittellage über enormes Volumen verfügt, ist unbeschreiblich. Ein musikalischer Glanzpunkt ist seine große Arie am Ende des ersten Aktes, mit der er in den Kampf gegen den wilden Eber zieht. Mit strahlenden Koloraturen und schwindelerregenden Höhen macht Hansen hier deutlich, dass er der strahlende Held der Oper ist. Einen weiteren Höhepunkt stellt seine große Arie im zweiten Akt dar, in der er darunter leidet, dass er sich seiner Mutter nicht zu erkennen geben kann und sie ihn für den Mörder ihres Sohnes hält. Im Dialog mit der Oboe findet Hansen hier sehr weiche Töne, die unter die Haut gehen. Absolut bewegend gelingt ihm auch die große Arie im dritten Akt, in der er daran verzweifelt, dass weder seine Mutter noch seine Braut ihn erkennen. Auch hier begeistert Hansen mit stupenden Koloraturen und großartigen Höhen. Glückliches Ende: von links: Merope (Anna Bonitatibus), Trasimede (Vivica Genaux), Argia (Arianna Vendittelli), Epitide (David Hansen), Licisco (Hagen Matzeit), Anassandro (Filippo Mineccia), dahinter Corpo Barocco und Statisterie Doch auch die anderen Solisten stehen Hansen in nichts nach. Anna Bonitatibus gestaltet die Titelpartie mit einem warmen Mezzosopran, der die Leiden der Mutter jederzeit nachvollziehbar macht. Beeindruckend gelingt ihr vor allem das Zusammenspiel mit Vivica Genaux als Trasimede, der heimlich in die Königin verliebt ist, seine Gefühle aber nur in kleinen Andeutungen äußern kann. Wie Genaux und Bonitatibus die Chemie zwischen diesen beiden Figuren ausspielen, ist großartig umgesetzt. Dabei begeistert Genaux stimmlich mit ihrem Mezzosopran mit großartigen Bögen und sauber ausgesungenen Koloraturen. Besonders fantasievoll gestaltet sie in ihren Arien jeweils die Wiederholung der A-Teile, in denen Genaux die Variationen mit neuen Verzierungen zelebriert und beim Publikum Begeisterungsstürme auslöst. Arianna Vendittelli glänzt als ätolische Prinzessin Argia mit strahlendem Sopran und glasklaren Koloraturen. Einen weiteren Höhepunkt markiert ihr großes Duett mit Hansen im zweiten Akt, in dem die beiden sich ihre Liebe versichern und die Stimmen zu einer wunderbaren Einheit zueinander finden. Countertenor Filippo Mineccia gestaltet den zwielichtigen Anassandro, der zwar den Mord am König und dessen Kindern ausgeführt hat, am Ende aber für die Rettung Epitides mitverantwortlich ist und deshalb mit Exil begnadigt wird, mit großer Durchschlagskraft in den Höhen und sattem Volumen in der Mittellage. Auch Hagen Matzeit lässt als Botschafter Licisco mit seinem Countertenor keine Wünsche offen. Jeffrey Francis, der eigentlich die Partie des Bösewichts Polifonte übernehmen sollte, musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Zum Glück hat sich Carlo Vincenzo Allemano bereit erklärt, die Partie aus dem Orchestergraben zu singen. Die Darstellung auf der Bühne übernimmt der italienische Schauspieler Daniele Berardi, so dass man auch hier in einen szenischen Genuss kommt. Allemano punktet mit sauberem Tenor. Das 2018 von Alessandro De Marchi gegründete Innsbrucker Festwochenorchester begeistert mit luzidem Klang und differenzierten Farben, so dass es neben zahlreichem Zwischenapplaus auch am Ende für alle Beteiligten großen Jubel gibt, der ebenfalls dazu beitragen dürfte, dass die ursprünglich für viereinhalb Stunden angesetzte Vorstellung insgesamt eine Stunde länger dauert. FAZIT
Mit einigen Kürzungen verdient es dieses Werk es musikalisch, auch
außerhalb der Festwochen wiederentdeckt zu werden. Auf die Balletteinlagen hätte
man vielleicht bei aller Schönheit
auch bei den Festwochen mit Blick auf die Länge des Abends verzichten sollen
Weitere Rezensionen zu den
Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2019 |
ProduktionsteamMusikalische Leitung und CembaloAlessandro De Marchi Regie und Choreographie Bühnenbild und Kostüme Licht Maskenbild und Perücken Dramaturgie
Corpo Barocco Statisterie der Innsbrucker Festwochen Solisten
Merope, Königin von Messenien
Polifonte, Tyrann von Messenien Epitide, Sohn Meropes
Trasimede, Vorsitzender des Rates von
Messenien Anassandro,
Vertrauter Polifontes Argia, Prinzessin von Ätolien Licisco, Botschafter von Ätolien
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