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Riesenhafte Miniaturen
Von Stefan Schmöe
Sie mögen Bagatellen heißen, die insgesamt elf Miniaturen, die Beethoven 1823 herausgeben ließ (obwohl sie keineswegs als Zyklus entstanden sind); Belanglosigkeiten sind es keineswegs. Und Grigory Sokolov wiegt den Zuhörer immer wieder in falscher Sicherheit, wenn er einen vordergründig naiven Ton anschlägt, denn schon mit dem nächsten Takt kann alles ganz anders sein. Sokolov spielt kraftvoll, der Anschlag ist klar, keine Note wird überspielt. Der Steinway klingt strahlend, fast hart, und alles bleibt transparent. Jeder Ton hat seine Bedeutung, ohne dass die Musik deshalb überfrachtet wird. Aber natürlich beherrscht der Altmeister auch die zarten, ganz verhaltenen Momente, eingesetzt wie als Ausblick: So könnte es auch sein, aber noch sind wir bei Beethoven. Sokolov durchwandert in den elf Stücken einen ganzen Kosmos.
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Begonnen hatte er mit Beethovens früher C-Dur-Sonate op.2 Nr. 3. Schon die Eleganz, mit der er das letzte Viertel des Hauptmotivs zurücknimmt, lässt aufhorchen. Aber es entwickelt sich, auch wenn er die Tempobezeichnung "Allegro con brio" verhalten, fast eine Spur nachdenklich, umsetzt, kein "empfindsamer" Beethoven, sondern ein streng kalkulierter, kraftvoller, mit fast trockenen, sehr diszipliniert gespielten Läufen. Die Nähe zu Haydn (dem das Werk gewidmet ist) bleibt unverkennbar, wird aber durch Sokolovs immense Energie aufgeweitet. Scharf dagegen setzt er immer wieder den "romantischen" Beethoven, und in diesem Spannungsfeld wird die Komposition größer und größer, von Beethovens (und Sokolovs) geradezu unheimlicher musikalischer Logik geprägt.
Nach der Pause dann Brahms, die späten Klavierstücke op. 118 und 119. Sokolov spielt mit großem Ton, in der Grundierung auch hier trocken und klar, als wolle er der vergleichsweise halligen Akustik der Historischen Stadthalle Wuppertal wuchtig und prägnant etwas entgegensetzen. Er interpretiert die kleine Form mit großer Geste. Das verträumte A-Dur-Intermezzo op. 118/2 klingt bei Sokolov weniger liedhaft als romantisch drängend, und immer wieder muss sich die Melodie gegen die sich auftürmende Begleitung behaupten. Sokolov hat ein fabelhaftes Gespür für den jedem Stück innewohnenden Rhythmus, und damit erzeugt er eine pulsierende Energie, mit der die Kompositionen auch dann weiterschwingen, wenn er mit betörend zartem Anschlag die Poesie auskostet, ohne sich darin zu verlieren. Die Rhapsodie Es-Dur, das vierte und letzte Werk aus op. 119, etwa hat immense Wucht (das muss dem 69-Jährigen erst einmal jemand nachmachen), bleibt aber immer federnd, nie massig.
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Den dritten Teil des Konzertes bilden, typisch für Sokolov, die Zugaben, diesmal sechs an der Zahl. Schuberts As-Dur-Impromptu D935 schwingt ohne jede Biedermeierlichkeit mit vorwärts drängendem Rhythmus, und im wundersamen Trio-Mittelteil verschmelzen die Achtel-Triolen der rechten Hand bei aller Klarheit zur Klangfarbe und Sokolov hebt bei überlegener Disposition der verschiedenen Schichten die wehmütige Melodie heraus, die durch diese Musik vagabundiert. Ganz anders dann Les Sauvages und Le rappel des oiseaux), zwei kurze, brillante Werk von Jean-Philippe Rameau, mit trockenem Witz und höchster Präzision und Klarheit gespielt. In Debussys De pas sur la neige, einer impressionistischen Miniatur, die sich radikal von jeder romantischen Gefälligkeit abwendet, zaubert Sokolov mit fahlen Klangfarben. In Brahms' Intermezzo Es-Dur op. 117 Nr. 2 spielt Sokolov dann tatsächlich mit an Schumann gemahnender Innerlichkeit, in Rachmaninovs Prélude in gis-Moll op. 32/12 lässt er die flirrenden Klangflächen leuchten, ohne sich in Ungefähren zu verlieren; die Akkordbrechungen der rechten Hand behalten große Klarheit. Und wie bei allen dieser sehr unterschiedlichen Werke fängt er sofort die Stimmung ein, nie geht es um die stupende Technik als Selbstzweck. Konzerte von Grigory Sokolov sind eine Welt für sich.
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Klavierfestival Ruhr 2019 Wuppertal, Historische Stadthalle 15. Juni 2019 AusführendeGrigory Sokolov, KlavierProgrammLudwig van Beethoven:Sonate Nr. 3 C-Dur op. 2/3 Elf neue Bagatellen op. 119 - Pause - Johannes Brahms: Sechs Klavierstücke op. 118 Vier Klavierstücke op. 119 Zugaben: Franz Schubert: Impromptu As-Dur op. 142/2 (D935) Jean-Philippe Rameau: Les Sauvages Johannes Brahms: Intermezzo Es-Dur op. 117/2 Jean-Philippe Rameau: Le rappel des oiseaux Sergej Rachmaninow: Prélude gis-Moll op. 32/12 Claude Debussy: De pas sur la neige (aus Préludes, Heft I) Klavierfestival Ruhr 2019 - unsere Rezensionen im Überblick
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