Glanzvoll ging er zu Ende, der 99. Salzburger Festspielsommer, und zwar mit einer hochkarätig besetzten konzertanten Aufführung von Verdis Luisa Miller. Und mit einer schönen Idee: Vor der Sinfonia präsentierte sich nach Orchester und Chor auch das Solistenoktett dem gespannten Publikum. Und so wiederholte sich, wenn auch etwas zögerlich, die Solidaritätsdemonstration für Plácido Domingo in Form lang anhaltender standing ovations, die er sichtlich genoss - es kann nicht leicht für ihn gewesen sein, angesichts der Vorwürfe der sexuellen Belästigung den ganzen Abend über von Verführung und Ehre zu singen. Weder Vorverurteilungen noch ein pauschales Beharren auf seiner Unschuld wegen seiner unumstrittenen künstlerischen Verdienste (was hat das eine denn mit dem anderen zu tun?) erscheinen indes angemessen.
Die Stimme selber ist tadellos und immer noch von bemerkenswertem klanglichen Reichtum, die Legatokultur, die Phrasierung und das Timing exzellent, die Identifikation mit der Vaterrolle hoch und berührend, und so sind die immer wieder gehörten Forderungen, der Künstler solle sich nun endlich zurückziehen, kein bisschen gerechtfertigt.
Plácido Domingo als Luisas Vater, Piotr Beczala als Luisas Geliebter
Nino Machaidze, die ich bereits im November 2014 in Hamburg in einer Inszenierung dieser Verdioper erleben durfte, hat sich die Titelpartie inzwischen vollends zu eigen gemacht und bleibt ihr in vokaler wie interpretatorischer Sicht wenig schuldig: Ihr Sopran besitzt die nötige Agilität für die virtuosen Passagen, die Durchschlagskraft für dramatischere Passagen und vieles mehr, nur wirklich mädchenhaft-fragil klingt die mitunter zu weitem Ausschwingen und Schärfe neigende Stimme selten.
Publikumsliebling Piotr Beczala war eine Idealbesetzung für den Rodolfo, die Stimme ist noch flexibel und leicht genug, hat auch genügend Schmelz und Squillo und ein angenehm jugendliches Timbre, das gut zum Überschwang und der Leidenschaftlichkeit des Grafensohnes passen. Mir fiel indes - anders als beim Anhören seiner Aufnahmen - einmal mehr auf, dass er in der Vollhöhe Töne sehr vorsichtig attackiert und erst nach ihrem Erreichen intensiviert, ein kleiner Manierismus, der aber den guten Gesamteindruck nicht schmälert.
Nino Machaidze in der Titelpartie von Verdis Luisa Miller
Yulia Matochkina ist ein Star am Marinsky-Theater in St. Petersburg und im dramatischen Mezzofach eine feste Größe - zu schade, dass die Federica eine vergleichsweise kleine Partie ist, ich hätte gern mehr von dieser runden, saftigen, sinnlichen Stimme ohne Begrenzungen gehört. Hervorragend fand ich auch Roberto Tagliavini als elegant phrasierenden und dank muttersprachlicher Kompetenz auch am meisten aus Cammaranos Text machenden Conte (die etwas gleichförmig gesetzten vokalen Akzente fand ich da eher überflüssig, die Grenzen in der Extremtiefe nicht allzu gravierend). Weniger überzeugte mich John Relyea, der als Wurm eher auf die überrumpelnde Wucht seiner üppigen, etwas mauligen Stimme als auf Zwischentöne und Charakterisierung setzte. Attraktive Kurzbeiträge lieferte Cecilia Molinari als Laura, während Oleg Zalytsliy nicht die erste Wahl für den Contadino war. Glänzend vorbereitet war die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor von Huw Rhys James, was für eine Freude, ein so großes, hoch motiviertes Kollektiv zu hören, sicher auch für Dominique Meyer, der im Publikum saß.
James Conlon (den Domingo aus Los Angeles kennt) war der zweifellos erfahrene musikalische Leiter des Abends, der viele schöne Momente des seit einigen Jahren wieder durchaus populären Werks zutage förderte, aber das ganz große Verdiglück kam nicht auf, dazu war seine Lesart der Partitur doch zu akademisch-kühl, zu kopflastig, zu kalkuliert, dazu fehlte ihm auch das Händchen für eine noch intensivere Kommunikation mit den Sängerinnen und Sängern, die er eher artig als wirklich inspirierend begleitete.
FAZIT
Ein großer Verdiabend, nicht nur, aber auch wegen der Mitwirkung Plácido Domingos, der in Salzburg wie ein Heiliger verehrt wird.
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