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Salzburger Pfingstfestspiele 07.06.2019 - 10.06.2019
Polifemo in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Aufführungsdauer: ca. 3 h 25' (zwei Pausen) Halbszenische Aufführung in der Felsenreitschule am 8. Juni 2019 |
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Vermischte Mythen zu hochkarätiger Barockmusik Von Thomas Molke / Fotos: © SF / Marco Borrelli Wenn die diesjährigen Salzburger Pfingstfestspiele unter dem Motto "Voci celesti" den Starkastraten des 17. und 18. Jahrhunderts gewidmet sind, darf bei der Auswahl der Opern ein Komponist nicht fehlen: Nicola Antonio Porpora. Auch wenn seine über 50 Opern heute ein Schattendasein führen, war er es, der einem der größten Stars des 18. Jahrhunderts stupende Arien in die Kehle komponiert hat: Carlo Broschi genannt Farinelli. Durch den Kinofilm Farinelli von 1994 erlangte auch eine Arie aus Porporas Oper Polifemo großen Bekanntheitsgrad: "Alto Giove". König Philipp V. von Spanien, der an chronischen Depressionen litt, soll diese Arie immer wieder von Farinelli eingefordert haben, um sich seiner Melancholie hinzugeben. Ob Farinelli wirklich in einem Moment der Sonnenfinsternis am spanischen Hof diese Arie angestimmt hat, um "die Sonne herbeizusingen", und sie währenddessen allmählich wieder zum Vorschein gekommen ist, mag dichterische Freiheit des Films sein, die man jedoch allzu gerne glauben möchte. Bei den Pfingstfestspielen wird nun Porporas Polifemo Händels Alcina gegenübergestellt. Aci (Yuriy Mynenko, rechts) warnt den gerade angekommenen Ulisse (Max Emanuel Cencic, links) vor dem Riesen Polifemo. In London wurde der zum Musikdirektor der Opera of the Nobility berufene Porpora zum direkten Konkurrenten des fast gleichaltrigen Händels und leistete mit seinen großen Erfolgen auch einen Beitrag zum Untergang von Händels Opernunternehmen, da die großen Starsänger auch seinetwegen der Opera of the Nobility den Vorzug gaben. Porporas 1735 uraufgeführte Oper Polifemo stellte gewissermaßen eine Reaktion auf Händels Masque Acis and Galatea dar, die dieser 1732 in erweiterter Form als dreiaktige Serenata im Haymarket Theatre in London auf die Bühne gebracht hatte. Porpora macht aber nicht nur den einäugigen Zyklopen, der an der unerwiderten Liebe zu der göttlichen Nympe Galatea leidet, die dem Schäfer Aci den Vorzug gibt, zur Titelfigur, sondern erweitert den in Ovids Metamorphosen überlieferten Mythos noch um eine Episode aus Homers Odyssee. So landet in der Oper auch noch Odysseus (Ulisse) auf der Insel und gerät mit seinen Männern in die Gefangenschaft des Riesen. Calipso, der Odysseus bei Homer eigentlich erst viel später auf der Insel Ogygia begegnet, unterstützt ihn bei seinem Versuch, seine Männer aus der Gefangenschaft des Zyklopen zu befreien. Als Polifemo aus Eifersucht den Schäfer Aci erschlagen hat und triumphiert, macht Ulisse ihn mit thrakischem Wein betrunken und stößt einen glühenden Pfahl in Polifemos Auge. Als der folglich blinde Polifemo Ulisse anschließend über die Insel jagt, begegnet er Aci, der auf Bitten Galateas von Zeus (Giove) zu einem Flussgott erhoben worden ist. Aci lässt den Zyklopen erstarren und besingt gemeinsam mit Galatea und Ulisse das Glück der Liebe. Ulisse (Max Emanuel Cencic) rühmt sich vor den Nymphen Nerea (Dilyara Idrisova, links), Calipso (Sonja Runje, Mitte) und Galatea (Julia Lezhneva, rechts), Polifemo (Pavel Kudinov, auf dem Boden liegend) besiegt zu haben. Max Emanuel Cencic interpretiert nicht nur die Partie des Ulisse, sondern übernimmt auch die szenische Einrichtung. Dabei ist die Bezeichnung "halbszenisch" schon beinahe tiefgestapelt. Sieht man nämlich davon ab, dass der Bachchor Salzburg im Orchestergraben sitzt und vom Blatt absingt, agieren die Solisten auf der Bühne in einem kompletten Bühnenbild und Kostümen. Margit Ann Berger hat auf der riesigen Bühne der Felsenreitschule eine kleine Insel mit mehreren hohen Felsen errichtet, die den Eindruck eines isolierten Eilandes vermittelt. Videoprojektionen des Meeres im Hintergrund machen die Illusion nahezu perfekt. Die Schatzkiste, die auf der Insel steht, und die zwei Skelette erinnern wie Cencics Kostüm ein wenig an einen Piratenfilm. Unklar bleibt, wieso die Nymphen Galatea, Calipso und Nerea bisweilen weiße Masken tragen, so dass sie teilweise schwer auseinanderzuhalten sind. Polifemo tritt mit einer Augenklappe auf, da er als Zyklop nur ein Auge hat. Das schwarze Kostüm unterstreicht seinen finsteren Charakter. Aci trägt ein weißes Oberteil, um seine Unschuld als Schäfer zu betonen. In diesem Ambiente erzählt Cencic in einer ausgefeilten Personenregie mit leichtem Augenzwinkern die beiden verknüpften mythologischen Geschichten. Galatea (Julia Lezhneva) beweint den Tod ihres Geliebten Aci (Yuriy Mynenko). Musikalisch erlebt man ein Fest der Stimmen, so dass die Frage berechtigt erscheint, wieso dieses Werk so gut wie nie auf den Spielplänen steht. Da ist zunächst Julia Lezhneva als Nymphe Galatea zu nennen, die mit rundem Sopran und glockenklaren Koloraturen beim Publikum Begeisterungsstürme auslöst. Einen Höhepunkt des Abends markiert ihre Arie "Ascoltar no, non ti voglio" am Ende des ersten Aktes, in der sie beschließt, dem Schäfer Aci ihr Herz zu schenken, auch wenn er "nur" ein Sterblicher ist. Wie flexibel und scheinbar federleicht sich ihr Sopran dabei durch die schnellen Läufe bewegt, reißt die Zuschauer beinahe von den Sitzen. Dabei verbreitet sie in den Höhen eine enorme Strahlkraft. Wieso ihre Arie im zweiten Akt, in der sie sich Mut macht, bei einer kurzen Trennung vom Geliebten nicht zu verzweifeln, gegen eine sogenannte Gleichnis-Arie aus Porporas Siface ausgetauscht wird, in der die Sorgen mit einem Schiff verglichen werden, das im Sturm auf einen guten Steuermann vertrauen soll, erschließt sich inhaltlich nicht. Musikalisch gibt diese Arie Lezhneva aber erneut die Gelegenheit, mit beweglichen Koloraturen zu glänzen. Mit Yuriy Mynenkos strahlendem Countertenor findet sie in den Duetten zu einer bewegenden Innigkeit. Der in einen Flussgott verwandelte Aci (Yuriy Mynenko, links) nimmt mit den Nymphen Nerea (Dilyara Idrisova, Mitte), Calipso (Sonja Runje, 2. von rechts) und Galatea (Julia Lezhneva, rechts) Rache an Polifemo (Pavel Kudinov, Mitte). Mynenko gestaltet die Partie des Schäfers mit klaren Koloraturen, die er mit großartiger Flexibilität aussingt. Zu einem weiteren Glanzpunkt der Aufführung avanciert seine Interpretation der berühmten Arie "Alto Giove" im dritten Akt, wenn er Zeus dafür dankt, die Gabe der Unsterblichkeit erhalten zu haben und nun als Flussgott seine geliebte Galatea umgeben zu können. Mit weicher Stimmführung arbeitet Mynenko die Melancholie der Arie heraus. Szenisch wird auch auf die Sonnenfinsternis aus dem Film Farinelli angespielt, da in einer Videoprojektion eine Sonne angedeutet wird, die hinter einer schwarzen Scheibe verschwunden ist und erst während der Arie allmählich wieder hervorkommt. Einen weiteren Höhepunkt markiert seine letzte Arie "Senti il fato", in der er schließlich Rache an Polifemo nimmt. Hier begeistert Mynenko mit atemberaubenden Koloraturen, die eine unglaubliche Leichtigkeit versprühen. Galatea bestreicht währenddessen Polifemo mit heller Farbe und lässt ihn somit zu Stein werden. Max Emanuel Cencic stattet die Partie des Ulisse mit einem dunkel eingefärbten Countertenor aus, der trotz der Höhen recht viril klingt und damit dem Helden absolut gerecht wird. Szenisch setzt er bisweilen ein wenig auf Komik, wenn er sich beispielsweise bei der ersten Begegnung mit Polifemo vor dem Riesen so erschreckt, dass er auf Acis Arm springt oder am Ende vor dem Zyklopen Reißaus nimmt, nachdem er ihm den brennenden Pfahl ins Auge gestoßen hat. Dies schließt direkt an die große Arie im dritten Akt "Quel vasto, quel fiero" an, in der er mit flexiblen Läufen seine Heldentat rühmt. Sonja Runje verfügt als Calipso über einen satten Mezzosopran, der mit Cencics Countertenor im Zusammenspiel genauso gut harmoniert wie die Stimmen von Lezhneva und Mynenko. Pavel Kudinov und Dilyara Idrisova runden als Polifemo und Nerea mit beweglichem und markantem Bass bzw. frischem Sopran mit leuchtender Kraft in den Höhen wunderbar ab. George Petrou zeigt sich am Pult des Ensembles Armonia Atenea als ausgewiesener Barockspezialist und arbeitet die Feinheiten der Partitur vielschichtig heraus. So gibt es für alle Beteiligten nicht nur am Ende verdienten Jubel. FAZIT Diese Produktion weckt den Wunsch, mehr von Porpora auf den Bühnen zu erleben, vor allem in so hochkarätiger Besetzung. Weitere Rezensionen zu den Salzburger Pfingstfestspielen 2019 |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Szenische Einrichtung Bühne Kostüme Video Licht Choreinstudierung
Armonia Atenea Bachchor Salzburg
Solisten
Aci Galatea Ulisse Polifemo Calipso Nerea
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