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Nachtschwarze Katastrophen
Von Stefan Schmöe
Das Grauen und das Göttliche liegen nahe beieinander: Inmitten der Schrecken des 2. Weltkriegs hat Olivier Messiaen den Gesang der Vögel als unmittelbar physisch präsenten Ausdruck und Stimme der Schöpfung wahrgenommen. Als Kriegsgefangener hatte er Abime de Oiseaux ("Abgrund der Vögel") für Solo-Klarinette komponiert und darin Vogelstimmen verarbeitet (das Werk ging kurz darauf als dritter Satz in das Quator de la fin de Temps, ein Schlüsselwerk des 1908 geborenen ein). Später hat er 13 Kompositionen, die sich jeweils ganz konkret und mit penibler ornithologischer Genauigkeit einer Vogelart zuwenden, im Catalogue d'Oiseaux zusammengefasst, darunter die Heidelerche, die er zu mitternächtlicher Stunde gehört hat, wie er später beschrieb. Die Komposition ist ein Nachtstück geworden, mit einer absteigenden Tonfolge in tiefer Lage, die man als Ausdruck der Dunkelheit (auch im metaphysischen Sinn) deuten kann und den hellen Rufen des Vogels im Diskant darüber. Messiaens Genauigkeit im Nachzeichnen des Gesangs ist in diesem Kontext auch Ausdruck der Demut vor der Schöpfung und vor Gott. Beim Waldkauz kommt die kulturelle Konnotation dazu, die den nächtlichen Rufen des Eulenvogels die Bedeutung des Unglücksboten beimisst. Es geht also um existenzielle Fragen in diesen Werken von jeweils einigen Minuten Dauer.
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Jean-Laurent Aimard war Schüler von Yvonne Loriod, Ehefrau und zu Lebzeiten wichtigste Interpretin Messiaens, insofern ist er ein befugter Sachwalter des Komponisten. Er trifft grandios einen sinnlichen Ton, ohne die Klarheit der Komposition auch nur ansatzweise infrage zu stellen. In der registerhaften Schichtung der Klänge hört man den Organisten Messiaen heraus, und auch darin liegt natürlich eine theologische Dimension. Aimard verbindet die Klangereignisse schlüssig miteinander, lotet - wie in allen Werken des Abends - die Extreme aus, wenn erforderlich auch mit donnerndem Fortissimo.
Zwischen den beiden Vogelstücken steht Beethovens Mondscheinsonate, schon Kraft ihres Titels ein weiteres Nachtstück. Parallel zu den Schichtungen bei Messiaen spaltet Aimard den Klang in drei Ebenen auf, die Bassmelodie nimmt Bezug auf die nachtschwarzen Bässe der Heidelerche und des Waldkauzes, in der Oberstimme nimmt man in diesem Kontext und nach den Hörerfahrungen zuvor wie einen Vogelruf wahr. Beethovens Sonate verliert jede Gefälligkeit, gewinnt dafür an Schroffheit - würde man die Interpretation in anderem Zusammenhang hören, verlöre sie vermutlich erheblich an Stringenz. Der Mittelsatz bleibt spröde, das Finale rast auf den Abgrund zu. Es ist ungemein spannend, diese Musik im Kontext von Messiaens Kompositionen neu zu hören.
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Aimard macht zwischen den Stücken keine Pause, und auf den Waldkauz folgt mit der Apassionata ein schicksalsschweres düsteres Werk, das Aimard in schwärzesten Farben zeichnet, eine Interpretation, die in ihrer fatalistischen Haltung im Grunde eher konventionell ist - da pocht das Schicksal mächtig an die Pforten. Aimard (der zwischendurch sogar die Zeit findet, einen Zuhörer per Zuruf zu bitten, doch das Filmen zu unterlassen) stürzt sich atemlos und mit letzter konsequenter in das Untergangs-Furioso dieser Sonate, die in dieser Gestalt kaum Hoffnung lässt.
Wer freilich nach den letzten Tönen glaubt, bitterer könne es nicht mehr kommen, wird eines anderen belehrt - die hämmernden Akkorde von Stockhausens Klavierstück IX verdichten die düstere Atmosphäre noch einmal, wie überhaupt das Programm einer Dramaturgie der permanenten Steigerung folgt. Aimard gelingt es auch bei der scheinbar spröden Musik Stockhausens, ein faszinierendes Klangpanorama zu entwickeln, Klangpartikel aufeinander zu beziehen und die Musik über Pausen hinweg im Fluss zu halten. Und wenn dann am Ende glasklare Klänge in hoher Lage stehen, dann schwingt darin dann doch ein starkes ein Moment der Hoffnung mit und schlägt den Bogen zum gläubigen Katholiken Messiaen.
Auch bei den Zugaben bleibt Aimard sich und seinem Konzept treu - jede der insgesamt drei Zugaben ist eine Kopplung einer Bagatelle Beethovens mit einem kurzen Klavierstück von György Ligeti (aus Musica Ricercata, komponiert zwischen 1951 und 1953), nach der tragischen Ausrichtung zuvor jetzt aber mit einer humoristischen Note. Aimard spielt Ligetis Musik mit viel Witz und hinreißender Leichtigkeit - und spiegelt darin Beethoven als bärbeißigen Exzentriker, dessen Bagatellen die vermeintlich harmlose Form sprengen und unter der Oberfläche jede Menge Zündstoff bereithalten. So gelingt Aimard einer der originellsten und aufregensten Beiträge zum Beethoven-Jahr.
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Klavier-Festival Ruhr 2020 Mülheim an der Ruhr, Stadthalle (Theatersaal) 5. Oktober 2020 AusführendePierre-Laurent Aimard, KlavierProgrammOlivier Messiaen:aus: Catalogue d’oiseaux L’Alouette Lulu (Die Heidelerche) Ludwig van Beethoven: Sonate Nr. 14 cis-Moll op.27/2 Mondscheinsonate Olivier Messiaen: aus: Catalogue d’oiseaux La Choulette Hulotte (Der Waldkauz) Ludwig van Beethoven: Sonate Nr. 23 f-Moll op.57 Apassionata Karlheinz Stockhausen: Klavierstück IX Zugaben: Ludwig van Beethoven: Bagatelle B-Dur op.119/11 György Ligeti: Nr. 7 aus Musica Ricercata Ludwig van Beethoven: Bagatelle As-Dur op.33/7 György Ligeti: Nr. 10 aus Musica Ricercata György Ligeti: Nr. 4 aus Musica Ricercata Ludwig van Beethoven: Bagatelle D-Dur op.119/3 Klavierfestival Ruhr 2020 - unsere Rezensionen im Überblick
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