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Gipfelsturm mit Hindernissen
Von Stefan Schmöe
Zu den ambitionierten Vorhaben des Klavier-Festival Ruhr im Beethoven-Jahr gehörte auch, alle 32 Sonaten auf historischen Instrumenten spielen zu lassen. Ein Teil dieser Konzerte, nicht zuletzt des intimeren Klanges wegen in kleineren Räumen geplant, fiel der Pandemie und den Hygienevorschriften zum Opfer - ein zu geringes Raumvolumen erhöht eben auch die Ansteckungsgefahr. Im idyllischen Wasserschloss Herten, dessen heutige Gestalt im Wesentlichen auf das 16. Und 17. Jahrhundert zurück geht, sind die Vorschriften offensichtlich bis an die Grenzen des Möglichen ausgereizt, und dazu gehören auch die während der Konzerte geöffneten Fenster, durch die so manches Umgebungsgeräusch in den Saal dringt, und der Luftaustausch macht offenkundig auch den Instrumenten zu schaffen. Was mindestens dem Hammerflügel des Wiener Klavierbauers Michael Rosenberger aus dem Jahr 1800, der am ersten der beiden hier besprochenen Abende zum Einsatz kam, deutlich anzuhören war.
Großer Respekt gebührt Kit Armstrong, dem 28-jährigen Wunderkind aus Los Angeles, der trotz der schwierigen Umstände an zwei aufeinander folgenden Tagen mit unterschiedlichen Programmen jeweils zwei Konzerte spielt. In jeder Hinsicht brillant der Einstieg mit der Sonate C-Dur op.2 Nr.3, entstanden 1795 und für den jungen Beethoven kompositorisch wie pianistisch die Eintrittskarte für das Wiener Parkett. Armstrong wies in ein paar einleitenden Worten auf den Witz hin, der in dieser Musik liegt, und er bleibt bei seinem atemberaubenden Parforceritt nichts davon schuldig. Die hochvirtuosen Passagen gelingen mit verblüffender Klarheit und schelmischem Selbstbewusstsein: Da spielt jemand, hier sicher ganz im Geiste Beethovens, mit seiner verblüfften Hörerschaft. Im Kontrast dazu sind die melancholischen Momente wie das Seitenthema des Kopfsatzes "romantisch" abgesetzt, nicht nur im Stil, sondern hier auch durch eine ziemlich lange Generalpause: In solchen Momenten stellt Armstrong das Überraschende und Gegensätzliche heraus und damit die Möglichkeiten, die das neuartige Instrument mit sich bringt. Nach 20 atemlosen Minuten entlud sich die Spannung tatsächlich in einem kollektiven Lachen, wie es eben nur in Live-Konzerten möglich ist.
Es mag auch an den Umständen gelegen haben, dass Armstrong dieses außerordentlich hohe Niveau in den beiden folgenden Sonaten nicht ganz halten konnte. Zunächst bat er die Klavierstimmerin auf das Podium, um die offenkundigsten Verstimmungen des Flügels zu beheben; er brauchet dann einige Zeit, um die Konzentration wiederzufinden: Die ersten vier Takte Adagio cantabile der Fis-Dur -Sonate op.78 An Therese fanden keine Verbindung zum etwas zu markig genommenen Allegro ma non troppo, und der Wechsel zwischen empfindsamen Passagen und Bravourelementen, der freilich in heiklerer Balance steht als bei op.2/3, gelang nicht so organisch wie zuvor. Und vor der abschließenden Mondscheinsonate op.27/2 musste eine Besucherin medizinisch versorgt und aus dem Saal geführt werden, während Armstrong startklar am Flügel saß - das trug sicher dazu bei, dass sich im Finalsatz bei außerordentlich ambitioniertem Tempo der eine oder andere falsche Ton einschlich, der die Sogwirkung dieses düster dahinstürmenden Satzes eben doch beeinträchtigte. Im Kopfsatz grenzt Armstrong die verschiedenen Stimmen sehr schön gegeneinander ab, die abgründigen Bässe (die ihm faszinierend gelingen), den singenden Diskant (hier ging der Zusammenhang ein wenig verloren), die triolischen Akkordbrechungen der Mittellage.
Am zweiten Tag dann der Griff nach den pianistischen Sternen: Die B-Dur-Sonate op.106 Große Sonate für das Hammerklavier, die längste aller Klaviersonaten Beethovens, meist auch als die schwierigste gehandelt, Vollendung und Überwindung der Sonatenform - nicht einmal Beethoven selbst mochte in den drei Sonaten danach zu diesem Schema zurückkehren. Armstrong spielt ein anderes Instrument, einen Hammerflügel von Conrad Graf von 1826, voller im Klang, dabei dumpfer und unausgewogener, weniger elegant als der Rosenberger-Flügel am Vortag, und möglicherweise schwieriger zu spielen. Jedenfalls hatte man den Eindruck, dass Armstrong zwar die raumöffnende Weite des Klangs, nicht aber ein kontrolliertes Pianissimo gestalten konnte - nachdem die leisen Töne nicht richtig "ansprangen", schien er auf Sicherheit zu setzen und vermied das ganz leise Register. Bei schnellen Tempi klingt das Instrument mechanisch eintönig - und Armstrong wählt, wo immer es geht, sehr hohe Geschwindigkeit, nicht unbedingt zum Vorteil.
Was daran liegen könnte, dass dieses Werk vielleicht doch zu früh für ihn kommt. Konnte man bei Igor Levit die Kunst des kleinen Übergangs bestaunen (oder bei Olli Mustonen die bewusste Verweigerung desselben), so bleibt bei Armstrong der Eindruck, dass hier Phrase an Phrase gereiht wird, ohne dass daraus tieferer Sinn erwächst. Die brillante Virtuosität, in die er sich immer wieder retten möchte, hat bei den frühen Sonaten wie am Vortag in op.2 Nr.3 eine andere Funktion als in den späten Sonaten, wo sie schnell oberflächlich wirkt. Zudem gab es in diesem Konzert doch viele falsche Töne auch an prominenten Stellen - vier Konzerte an zwei aufeinander folgenden Tagen mit Wahnsinnsprogrammen an ungewohnten historischen Instrumenten, das schien am Ende dann doch seinen Preis einzufordern.
Es mag eine Nebensächlichkeit sein, ist aber durchaus bezeichnend: Nach der Hammerklavier-Sonate und dem durchaus enthusiastischen Applaus begann Armstrong viel zu schnell mit der Sonate op. 109 - dabei braucht es nach den Zumutungen von op.106 auch für das Publikum einen Moment des Durchatmens. Die drei letzten Sonaten haben andere Schwierigkeiten, hier ist es vor allem die Abgeklärtheit. Armstrongs Interpretation bleibt an der gefälligen Oberfläche, nimmt den Presto-Mittelteil überzogen schnell, die arpeggierten Akkorde im Thema des letzten Satzes zu wichtig und bleibt letztendlich manches schuldig von dem, was hinter den Noten steht. Die vergleichsweise banale Zugabe, selbst wenn sie von J.S. Bach stammt (der sie bei Alessandro Marcello geklaut hat), wäre nach den Gipfelwerken zuvor verzichtbar gewesen.
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Klavier-Festival Ruhr 2020 Schloss Herten 28. Juni 2020, 17 Uhr und 20:30 Uhr 29. Juni 2020, 17 Uhr und 20:30 Uhr (besprochen ist jeweils das Konzert um 20:30 Uhr) AusführendeKit Armstrong, KlavierProgramm28. Juni 2020:Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Sonate Nr.3 C-Dur op.2 Nr.3 Sonate Nr.24 Fis-Dur op.78 Für Therese Sonate Nr.14 cis-Moll op.27 Nr.2 Mondscheinsonate Zugabe: Carl Philipp Emanuel Bach (1770 – 1827) Württembergische Sonate Nr.5 Es-Dur Wq49/5: Adagio 29. Juni 2020: Ludwig van Beethoven Sonate Nr.29 B-Dur op.106 Hammerklavier-Sonate Sonate Nr.30 E-Dur op.109 Zugabe: Johann Sebastian Bach/ Alessandro Marcello/: Adagio aus dem Cembalokonzert d-Moll (BWV974) (Bearbeitung des Oboenkonzert d-Moll von A. Marcello Klavierfestival Ruhr 2020 - unsere Rezensionen im Überblick
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