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Beethoven aus streng kontrapunktischer Perspektive
Von Stefan Schmöe
Selbst hören konnte Beethoven seine letzten Klaviersonaten nicht mehr, die Taubheit war bereits zu stark fortgeschritten. Auch mit einem Spezialinstrument konnte er den Klang bestenfalls erahnen. Insofern bleibt spekulativ, welche Klangvorstellungen der Komponist im Kopf hatte, ob die sich überhaupt an realen Instrumenten orientierten - die Aufführung mit Instrumenten der Beethoven-Zeit, die sich das Klavier-Festival Ruhr zum Ziel gesetzt hat (leider können nicht alle geplanten Konzerte stattfinden), kann daher bestenfalls widerspiegeln, wie Zeitgenossen diese Musik wahrgenommen haben. Immerhin entspricht der Flügel, den Roland Brautigam an diesem Abend spielt, ein Hammerflügel von Conrad Graf aus dem Jahr 1826, vermutlich ziemlich genau dem Typus von Instrument, den Beethoven für die Aufführungen seiner Klavierwerke erwarten durfte.
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Der 1954 geborene niederländische Pianist Ronald Brautigam hat sämtliche Klavierwerke Beethovens auf dem Hammerklavier aufgenommen (die eindrucksvolle Diskographie ist noch weitaus umfangreicher) und ist ein international gefragter Spezialist, der regelmäßig in den großen Konzertsälen auftritt - in Deutschland ist er allerdings vergleichsweise wenig präsent und zum ersten Mal beim Klavier-Festival zu Gast. Entsprechend dem intimeren Klang des Instruments spielt er im Mendelssohn-Saal im Haus Fuhr, einem ehemaligen Kirchenraum, de 1910 zum Gemeindesaal mit Bühne umgebaut wurde. Der Hammerflügel klingt voll und ausgewogen, im Piano ein wenig heiser und nicht allzu tragfähig - vielleicht ein Grund, warum Brautigam die ganz leisen Lautstärken weitgehend meidet (die ganz lauten auch).
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Brautigam neigt zu einer "barocken" Herangehensweise, oft sehr streng im Tempo. Rubati und Verzögerungen setzt er sehr bewusst und an vergleichsweise wenigen Stellen ein. Dadurch läuft die Musik oft in sehr geordneten Bahnen ab, gerade in den virtuosen Passagen. Die erhalten durch das geradezu sture Tempo, auf dem Brautigam besteht, oft etwas Mechanisches. Dabei mangelt es ihm keineswegs an Musikalität; immer wieder 'mal zeigt er mit delikatem Anschlag, welche Feinheiten, Nachdenklichkeiten möglich sind. Aber der empfindsame oder gar entrückte Beethoven ist seine Sache nicht, selbst wenn er hin und wieder anklingen darf. Aber einmal angeworfen, stürmt die Musik mit unheimlicher Logik voran.
So bleiben die Eindrücke ambivalent. Es gibt hinreißende Passagen, nicht ganz zufällig die Fugen in der Sonate op.110. Der Schlussatz aus der Sonate op. 81 Les Adieux entwickelt gespenstische Sogwirkung - ein Freudentaumel zum Fürchten. Aber die sachlich klar ausgespielten Trillerketten in op. 111 verraten weniger vom Jenseits als von der neuartigen Mechanik des Hammerklaviers. Brautigam hat immer einen Plan, die Musik klingt durchstrukturiert und konsequent auf ihr Ziel hin ausgerichtet. Ein paar mehr Freiheiten wären indes auch ganz schön.
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Klavier-Festival Ruhr 2020 Essen-Werden, Haus Fuhr 17. September 2020 AusführendeRonald Brautigam, HammerflügelHammerflügel von Conrad Graf, Wien 1826 (aus der Sammlung Edwin Beunk) ProgrammLudwig van Beethoven (1770 – 1827)Sonate Nr.22 F-Dur op.54 Sonate Nr.26 Es-Dur op.81a "Les Adieux" Sonate Nr.31 As-Dur op.110 Sonate Nr.32 c-Moll op.111 Klavierfestival Ruhr 2020 - unsere Rezensionen im Überblick
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