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Der gebändigte Titan
Von Stefan Schmöe
Beethoven reloaded? Die aus Georgien stammende, in Deutschland aufgewachsene Pianistin Inga Fiolia und der marokkanische Schlagzeuger Rhani Krija haben sich, wir zitieren das Programmheft, die Frage gestellt, "was Beethoven wohl mit seiner eigenen Musik gemacht hätte, wenn ihm die Klangvielfalt heutiger Schlaginstrumente zur Verfügung gestanden hätte." Dementsprechend wird ihr Konzert unter eben dem Titel "Beethoven reloaded" angekündigt. Das klingt nach einem spannenden Akzent im Beethoven-Jahr, in dem das Klavierfestival Ruhr ja eigentlich das gesamte Klavierwerk des Jubilars hatte aufführen wollen (wozu es durch etliche Konztertabsagen nun nicht mehr kommt). Gelegentliche Grenzüberschreitungen können da durchaus belebend sein, warum also kein cross over wagen? Nein, Beethoven hätte natürlich niemals so geklungen, das weiß man vom ersten Ton an (da verstärkt das Schlagzeug den Anfangsakkord der Pathétique, der dadurch eine arg melodramatische Farbe bekommt), aber das ist nicht das eigentliche Problem. haben Fiolia und Krija viel zu viel Respekt vor Beethoven und deutlich zu wenig Mut, eigenes zu wagen.
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Das Konzept: Sie spielt im Wesentlichen originalen Beethoven, einzelne Sätze aus ziemlich populären Sonaten (Pathétique, Waldstein, Sturm, Apassionata); er unterlegt mit Schlagzeug, übernimmt an einigen wenigen Stellen auch schon mal den Klavierpart. Nun verliert die Pianistin in dem Moment, in dem das Schlagzeug den Rhythmus vorgibt, viele Freiheiten, und man merkt schnell, wie sehr eben auch Beethovens Musik von winzigen Temposchwankungen, vom Nachhören, vom Reagieren lebt, aber all' das geht verloren. Inga Fiolia spielt wie unter dem Diktat eines unbestechlichen Metronoms, und das klingt - langweilig. Sie scheint um jede Kreativität gebracht, und Beethoven wird zur Etüde. Bezeichnenderweise ist die Zugabe das gelungenste Stück des Abends: Eine Etüde von Carl Czerny, Beethoven-Schüler und bei angehenden Pianisten gefürchtet wie gehasst. Da bekommt das vom Komponisten gewollt Mechanische durch das Schlagzeug einen ironischen Subtext. Aber Beethovens denkbar frei gestalteten Sonaten legt das Schlagzeug ein rhythmisches Korsett an, in dem sie zu Etüden verkümmern.
Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr
Krija verstärkt viele Effekte, steuert aber kaum eigenes bei. Beethoven hat in den Klaviersonaten ja ganz neue Klangräume erschaffen, etwa perkussive Elemente einkomponiert. Da braucht es für den ersten fp-Akkord der Pathétique keine Unterstützung durch ein "echtes" Schlagzeug, im Gegenteil: Der Klangraum wird in dem Maße, in dem er bei Beethoven auch ein Gedankenraum ist, konkretisiert und eingeengt, auch banalisiert. Völlig absurd wird das Zusammenspiel am Beginn der Sturm- Sonate mit den arpeggierten und dem Takt- und Rhythmusschema enthobenen Akkorden: Inga Fiolla verfällt (unwillkürlich?) in ein ausbuchstabierendes Spiel, das sich an (in diesen Akkorden nicht vorhandenen) Taktzeiten orientiert. Und auch hier gilt: Das Schlagzeug unterstreicht und verstärkt, was im Klavierpart sowieso angelegt ist, und erzählt Beethoven sozusagen mit dem pädagogisch erhobenen Zeigefinger. Beethoven reloaded? Beethoven gebändigt.
Ein wenig merkwürdig ist der Rahmen dieses Konzerts. Die pandemiebedingt geringe Zahl der Zuhörer entspräche ja durchaus der im Salon des Fürsten Lichnowsky, dem adeligen Beethoven-Gönner, erwähnte Festival-Intendant Franz-Xaver Ohnesorg in seiner eloquenten Begrüßung, und ein wenig erinnert der kleine Konzertsaal im Haus Fuhr in Essen-Werden, einem Gemeindesaal der evangelischen Kirchengemeinde aus dem Jahr 1832 mit Umbauten um 1910, tatsächlich im Gestus an ein Adelspalais. Aber warum sitzt die Pianistin mit dem Rücken zum Publikum? Ein wie auch immer geartetes Abstandsgebot, das man als Erklärung heranziehen könnte, scheint es zwischen den Solisten nicht zu geben, jedenfalls nicht beim Schlussapplaus. Wie auch immer, Inga Fiolla spielt im ziemlich kurzen Kleid und hochhackigen roten Sandalen, jugendlich-mädchenhaft im Auftreten. Sie bleibt lächelnd am Flügel sitzen, wenn Rhani Krija ein kurzes Solo-Stück, wohl eine Improvisation, eher uninspiriert spielt, und sie gibt mit gewinnendem Wesen ein paar Erläuterungen. Nicht zuletzt die überraschend direkte Frage an das Publikum: "Hat es Euch gefallen?" bricht die konventionelle Konzertsituation auf und gibt dem Abend den Charme eines ungezwungenen Hochschulvorspiels, bei dem zwei Musiker mal 'was Neues ausprobieren. Ein Fall von Nachwuchsförderung? So ganz klar ist das nicht, denn über das Geburtsjahr der Pianistin ist in den Biografien nichts zu finden, es ist wohl 1983. So ganz jung, wie ihr Auftritt glauben machen möchte, ist sie also auch nicht mehr.
Solistisch spielt sie einen Walzer und eine Tarantella von Glinka, ganz hübsche Aufwärmübungen ohne nennenswerte Tiefe, und den Walzer cis-Moll op. 64/2 von Chopin. Verglichen mit dem Chopin-Programm von Jan Lisiecki ein paar Tage zuvor beim Klavier-Festival Ruhr bleibt sie da ziemlich dicht an der glatten Oberfläche. Deutlich interessanter sind drei der 24 Prélude des georgischen Komponisten Sulkhan Tsintsadze, die Fiolia mit feinem Gespür für die Farbigkeit vorträgt - eine lohnenswerte Entdeckung zwischen Schostakowitsch und Bartók mit impressionistisch influenzierten Momenten. Da findet die Pianistin (die diese Werke auch auf CD eingespielt hat) am besten einen eigenen Stil.
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Klavierfestival Ruhr 2020 Haus Fuhr, Essen, 13. Juni 2020 (17 Uhr und 20:30 Uhr) (besprochen ist das Konzert um 17 Uhr) AusführendeInga Fiolia, KlavierRhani Krija, Percussion ProgrammMichail GlinkaMazurka c-Moll Tarantella a-Moll Frédéric Chopin Walzer cis-Moll op. 64/2 Beethoven reloaded Ludwig van Beethoven aus: Sonate Nr. 8 c-Moll op.13 Pathétique Grave – Allegro molto e con brio aus: Sonate Nr. 21 C-Dur op.53 Waldsteinsonate Allegro con brio Sulkhan Tsintsadze(1925-1991) Prélude Nr. 7 in A-Dur Prélude Nr. 8 in fis-Moll Prélude Nr. 10 in cis-Moll Rhani Krija Improvisation für Schlagzeug Beethoven reloaded aus: Sonate Nr. 17 d-Moll op.31/2 Der Sturm Largo - Allegro aus: Sonate Nr. 23 f-Moll op.13 Apassionata Andante con moto Allegro ma non troppo – Presto Zugabe: Carl Czerny Etüde Nr. 3 aus Kunst der Fingerfertigkeit op. 740 (Fassung für Schlagzeug und Klavier) Klavierfestival Ruhr 2020 - unsere Rezensionen im Überblick
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