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Klavierfestival Ruhr 2020

Mülheim an der Ruhr, Stadthalle, 28. September 2020



Víkingur Ólafsson
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Klavierfestival Ruhr

Lichtdurchflutete Grenzüberschreitungen

Von Stefan Schmöe

Fast 200 Jahre liegen zwischen diesen Komponisten: Die drei Sammlungen der Pièces de Clavecin von Jean-Philippe Rameau wurden zwischen 1704 und etwa 1726 herausgegeben, die beiden Hefte von Claude Debussys Préludes entstanden zwischen 1910 und 1913. Dabei mag Debussy auf die Form des frühbarocken Préludes non mesuré zurückgegriffen haben, eine Präludium ohne Taktmaß, das zu Rameaus Zeiten gerade aus der Mode kam. Was Rameau und Debussy über die Jahrhunderte noch viel mehr verbindet, ist der Bezug auf außermusikalische Bilder: Zwar hat Debussy die sinnstiftenden Titel seinen Kompositionen nachgestellt - Programmmusiken sollen das nicht sein - aber die Assoziationen stellt er in den Raum. Rameau wird mitunter durchaus konkreter, raffiniert malt er in Le Rappel des Oiseaux (Das Erwachen der Vögel) das vielstimmige Vogelkonzert nach. Aber oft sind die Titel - wie bei Debussy - nicht so eindeutig auf die Musik zu beziehen.

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Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr

Der 1984 in Island geborene Víkingur Ólafsson stellt die beiden Komponisten nicht nur gegenüber, er verschachtelt sie - im ständigen Wechsel ohne Pause zwischen den Stücken. Im Frühjahr hat er dieses Programm als CD-Einspielung veröffentlicht - da darf man von einem Konzeptalbum sprechen. Das Verfahren erweist sich als ausgesprochen spannend, weil der Pianist keine Angst vor Grenzüberschreitungen hat. Sein Debussy klingt hell und klar, wie von romantischer, ja: "impressionistischer" Unschärfe befreit. So lichtdurchflutet lächelnd hat man das Mädchen mit dem flachsfarbenem Haar selten gehört, keineswegs leichtgewichtig, aber entspannt, mit leichter Hand in Töne gemalt. Ólafsson gelingt es immer wieder, kleinen Melodiepartikeln eine Art staunender Naivität zu geben. Der Steinway klingt unter seinen Fingern hell, durchaus hart (die Musik hat jederzeit rhythmische Kontur, auch da, wo der Pianist das Metrum bewusst verunklart), und Ólafsson kann schillernde Karben schaffen - in Ondine aus dem zweiten Heft der Prélude tun sich vibrierende Klang- und Wasserflächen auf, das ist einer der seltenen Momente, in denen er ein donnerndes Forte (in tiefster Lage) spielt.

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Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr

Wird Debussy (Ólafsson spielt noch Auszüge aus Estampes und Children's Corner) durch die Präzision, das Bewusstsein der rhythmischen Strukturen, die Leichtigkeit des Spiels geöffnet in Richtung der Barockmusik, so spiegelt sich das in der Konsequenz, mit der er die Musik Rameaus aus den Konventionen ihrer Zeit befreit und den Komponisten als Visionär feiert. Dazu gehört ein gewisses Maß an Exzentrik (nie klingt Rameaus Musik bei ihm nur gefällig), etwa manche extrem kurzen und harten Staccato-Töne, mitunter sehr langsam ausgespielte Triller, auch bei Rameau die Gewichtung kleiner Figuren (auch wenn Ólafsson eine Passage wie nebenbei spielt, klingt das nach einem ganz bewussten "Nebenbei"), manche überraschenden Pausen oder Tempowechsel. Die tonmalerischen Akkordbrechungen in La Poule (Die Henne) schleudert er mit großer Schärfe in den Raum, aber nie geht eine Note verloren.

Rameau war selbst ein begnadeter Virtuose am Cembalo, und entsprechend schwierig sind einige der Kompositionen. Ólafsson kostet mit stupender Technik so manche vertrackte Linie virtuos aus. Er wählt tendenziell schnelle Tempi, ohne zu überdrehen. Die Akkuratesse seines Spiels ist immer wieder verblüffend. Auf der anderen Seite kann er auch sehr poetisch werden, hier vor allem in einer eigenen Bearbeitung eines Zwischenspiels aus Rameaus letzter Oper Les Boréades, dessen absteigende Tonleitern plötzlich eine Nähe zur Musik von Philipp Glass schaffen (eine CD mit Musik des Amerikaners hat Ólafsson 2017 veröffentlicht). Das ist ein ganz eigener und eigenwilliger Blick auf den französischen Barockmeister, aber Víkingur Ólafsson, zum zweiten Mal nach 2018 beim Klavierfestival Ruhr zu Gast, setzt mit diesem ungewöhnlichen, dabei ebenso spannenden und faszinierenden Konzert sicher einen der Höhepunkte des aktuellen Festivals.




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Klavierfestival Ruhr 2020
Mülheim an der Ruhr, Stadthalle (Theatersaal)
28. September 2020


Ausführende

Víkingur Ólafsson, Klavier



Programm

Claude Debussy (1862–1918)
Vorspiel zur Kantate
La Damoiselle élue (Die Erwählte)
(Bearbeitung vom Komponisten)

Jean-Philippe Rameau (1683–1764)
Suite in e
aus: Deuxième Livre des pièces de clavecin
Le Rappel des oiseaux
Rigaudon I – Rigaudon II et Double
Musette en rondeau. Tendrement
Tambourin
La Villageoise
Gigue en Rondeau I – Gigue en Rondeau II


Claude Debussy (1862–1918)
Jardins sous la pluie
aus: Estampes

Serenade for the doll
The Snow is dancing
aus: Children's Corner


Jean-Philippe Rameau (1683–1764)
Suite in D
aus: Premier Livre des pièces de clavecin
Les tendres plaintes – Rondeau
Les Tourbillons – Rondeau
L’Entretien des Muses


Claude Debussy (1862–1918)
Des Pas sur la neige
aus: Préludes Heft 1


Jean-Philippe Rameau (1683–1764)
Suite in D
aus: Premier Livre des pièces de clavecin
La Joyeuse – Rondeau
Les Cyclopes – Rondeaus

Entrée pour les Muses, les Zéphyres,
les Saisons,les Heures et les Arts

aus der Oper Les Boréades
(Bearbeitung von Víkingur Ólafsson)


Claude Debussy (1862–1918)
La fille aux cheveux de lin
aus: Préludes Heft 1

Ondine
aus: Préludes Heft


Jean-Philippe Rameau (1683–1764)
Suite in G
aus: Premier Livre des pièces de clavecin
La Poule
L'enharmonique
Menuets I & II
Les Sauvages
L'Egyptienne


Zugaben:

Claude Debussy (1862–1918)
Brouillards
aus: Préludes Heft

Sigvaldi Kaldalóns (1881 - 1946)
Ave Maria


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