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Verdis Alterswerk als Daily SoapVon Thomas Molke
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Verdi hatte sich eigentlich schon in den wohlverdienten Ruhestand auf sein
Landgut Sant'Agata zurückziehen wollen, als Arrigo Boito ihn aufgrund eines
erstklassigen Librettos doch noch einmal überreden konnte, eine Oper auf einen
Shakespeare-Stoff zu vertonen. Dabei greift die Oper eigentlich direkt auf drei
Shakespeare-Dramen zurück, aus denen 10 Charaktere herausgeschält und zu einer
Geschichte um den alternden Ritter Sir John Falstaff zusammengefasst werden: die
beiden Königsdramen Henry IV. und Henry V. und natürlich The
Merry Wives of Windsor. Falstaff, der mit seinen Dienern Bardolfo und
Pistola ein ausschweifenderes Leben führt, als es seine Finanzen zulassen,
plant, durch eine lukrative Liaison mit den beiden verheirateten Damen, Alice
Ford und Meg Page, zum einen seine Libido zu befriedigen und zum anderen seine
finanziellen Probleme zu lösen. Doch Alice und Meg sind nicht darüber
begeistert, von Falstaff einen identischen Liebesbrief zu bekommen, und
beabsichtigen dem eitlen Geck eine Lektion zu erteilen. Folglich lässt sich
Alice scheinbar auf ein Rendezvous ein, versteckt aber, als ihr Gatte unerwartet
nach Hause kommt, den vermeintlichen Liebhaber in einer Wäschekiste mit
schmutziger Wäsche, die die Diener in die Themse kippen. Doch damit haben die
beiden Frauen noch nicht genug. Unter dem Vorwand der Reue locken sie den Ritter
des Nachts in den Park von Windsor zu Hernes Eiche, wo sie ihm nahezu unter
Beteiligung des ganzen Dorfes einen Mummenschanz mit Elfen und Kobolden
vorspielen, an dessen Ende Falstaff von der maskierten Schar gepiesackt und
verprügelt wird. Falstaff ist allerdings nicht der einzige, dessen Pläne
durchkreuzt werden. Auch Fords Idee, seine Tochter Nannetta mit dem etwas
älteren Dr. Cajus zu verheiraten, wird bei der Maskerad verhindert, indem Nannetta in ein anderes Kostüm schlüpft und somit mit ihrem Geliebten Fenton
vermählt wird. So bleibt am Ende für alle die Erkenntnis: "Tutto nel mondo è
burla, l'uom è nato burlone" (Alles auf der Welt ist Spaß, der Mensch ist als
Narr geboren).
Bühnenbildnerin Serena Treppiedi arbeitet mit einem Fadenvorhang, auf den
jeweils das Bühnenbild projiziert wird. Kleinere Requisiten wie ein Tisch oder
eine Telefonzelle deuten neben dem projizierten Hintergrund an, wo man sich
gerade befindet. Die Partien des Falstaff, der Alice Ford und der Nannetta sind
jeweils doppelt besetzt. Während sich Rory Dunne und David Howes als Falstaff,
Francesca Federico und Jade Phoenix als Alice und Kathleen Norchi und Sarah
Shine als Nannetta in den ersten fünf Episoden in den Partien jeweils
abwechseln, kommen im letzten Teil beim Mummenschanz alle zum Einsatz, was
Falstaffs Verwirrung noch vergrößert. Die Kostüme, für die ebenfalls Treppiedi
verantwortlich zeichnet, sind recht modern gehalten. Beim Mummenschanz im
letzten Bild wird mit zahlreichen Tiermasken und Umhängen gearbeitet, die die
Figuren gut verbergen. Weiße Luftballons, die in grünende Zweige gesetzt sind,
verleihen der Szene einen märchenhaften Anstrich. Die berühmte Eiche, an der
Falstaff zur Rechenschaft gezogen wird, ist ein roter Hydrant.
Besonders witzig gelingt auch die vierte Episode, in der Falstaff mit der
schmutzigen Wäsche in der Themse landet. Hier befindet sich zwar ein Wäschekorb
auf der Bühne, in den Rory Dunne als Falstaff aber nicht vollständig hineinpasst
und der somit als Versteck vor dem eifersüchtigen Ford nicht geeignet ist.
Daneben liegt eine riesige weiße Kompost-Tüte, in die Falstaff nun
steigt und dabei nicht von Kleidung, sondern von diversen Kompostsäcken bedeckt
wird. Wenn diese Tüte "entsorgt" werden soll, reichen die drei gerufenen
Dienstboten nicht aus. Da müssen schon Alice, Meg, Nannetta und Mrs.
Quickly höchstpersönlich mit anfassen, um die Tüte mit dem wohlbeleibten
Falstaff über einem geöffneten Gully-Deckel im Bühnenboden zu entleeren. Nach
diesem Erlebnis wundert man sich schon, dass sich der gebeutelte Falstaff in der
fünften Episode von Mrs. Quickly erneut zu einem Rendezvous mit Alice
überreden lässt.
Die jungen Sänger*innen der Wexford Factory begeistern nicht nur durch
überbordende Spielfreude sondern auch durch guten Gesang. Da sind zunächst Rory
Dunne und David Howes in der Titelpartie zu nennen. Beide verleihen dem
selbstgefälligen Ritter mit dunklem Bariton und humoristischem Spiel eine
gewisse Portion Selbstironie, die ihn am Ende, nachdem er eigentlich von allen
zum Teufel gejagt worden ist, doch wieder in gewisser Weise die Oberhand gewinnen
lassen,
wenn er über Ford triumphiert, der seine Tochter mit dem Mann verheiratet hat,
den er nicht für sie geplant hatte. Gianni Giuga begeistert als Ford mit
kräftigem Bariton und witzigem Spiel, wenn er zwar meint, die Fäden in der
Hand zu halten, dabei seiner Frau jedoch an Cleverness unterlegen ist. Jade
Phoenix und Francesca Federico statten die Partie der begehrten Alice Ford mit
dunklem Sopran und großem Spielwitz aus. Im letzten Bild, wenn sie beide
maskiert um Falstaff herumschwirren, ergänzen sie einander hervorragend.
Kathleen Norchi und Sarah Shine gestalten die Partie der Nannetta mit
mädchenhaft leuchtendem Sopran und strahlenden Höhen. Mit Andrew Gavin steht den
beiden ein jugendlicher Fenton zur Seite, der mit hellem Tenor überzeugt. Großes
komisches Talent beweist auch Anna Brady als Mrs. Quickly, die mit viel
Geschick die Fäden zieht und es auch im dritten Akt noch schafft, Falstaff zu einem
Rendezvous mit Alice zu überreden. Dabei punktet sie mit warmem Mezzosopran.
Auch Sarah Richmond überzeugt als Meg Page mit großem Spielwitz. Conor
Prendiville gestaltet die undankbare Partie des Dr. Cajus mit beweglichem Tenor
und großer Komik. Erst wird ihm von Falstaff und dessen Gefährten
übel mitgespielt. Dann verliert er auch noch die ihm versprochene Nannetta an
seinen Rivalen Fenton. Vladimir-Mihai Sima und Conall William O'Neill runden als
leicht einfältige Gefährten Bardolfo und Pistola das Ensemble mit viel Spielwitz
ab.
FAZIT
Es bleibt zu hoffen, dass diese kurzweilige Inszenierung auch im nächsten Jahr mit
der Wexford Factory für das Festival einstudiert wird und dass dann ein genauso
spielfreudiges Ensemble zur Verfügung steht.
Weitere Rezensionen zum
Wexford Festival Opera 2020 |
ProduktionsteamMusikalische Leitung und KlavierCarmen Santoro Regie Bühne und Kostüme Licht
BesetzungSir John Falstaff
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- Fine -