Cherubino und Susanna bei der Hausarbeit
In Aix-en-Provence hat de Beer das heuer wieder live stattfindende südfranzösische Festival eröffnet, das sich gerne als kleine Schwester von Salzburg geriert. Auch hier gilt Mozart als einer der Hausheiligen. Besonders fürs nächtliche Freiluftvergnügen im Théâtre de l'Archevêché. Einer der wenigen Lichtblicke in dieser ziemlich klamaukig geratenen Figaro-Inszenierung war der Moment, in dem einmal die Fassade des erzbischöflichen Palastes als Bühnenhintergrund pur aufschien. Ansonsten lassen Rae Smith (Bühne) und Jorine van Beek (Kostüme) vor allem ihrer Phantasie freien Lauf. Für einen Abend, der in der Ouvertüre vor einem imitierten Luxusvorhang wie ein Commedia dell'arte-Tiger losspringt, um dann als Slapstick-Bettvorleger zu landen. Links ein Guckkasten mit gräflichem Schlafzimmer, rechts ein zweiter mit Sitcomsofa. Dazwischen der Haushaltstrakt mit Riesenwaschmaschinen. Natürlich versteckt sich Cherubino in dem Frontlader und wird unfreiwillig ein paar Runden gewaschen oder getrocknet. Natürlich brennt sich das Bügeleisen sichtbar in die Grafenwäsche. Dass oben ein Leuchtkasten mit dem Signal zum Applaus und einer mit dem zum Lacher hängt, schafft kaum Distanz zum Klamauk, sondern gehört selbst dazu.
Die Gräfin sieht dem Treiben mit ihrem Mann im Zentrum resigniert zu
Dass Cherubino beim Anblick der Gräfin vielsagend an sich herunterschaut, wäre ja noch okay. Hier aber hebt nicht nur ein Riesenständer sein Hemd, Susanna muss dieses übertriebene Phänomen auch noch als Bügelbrett benutzten, damit es auf der Bühne keiner merkt! Und für die, die es im Zuschauerraum immer noch nicht mitbekommen haben, kommen gleich mehrere Phalli in Lebensgröße aus dem Schrank und spielen von nun an mit.
Wenn die Gräfin aus Frust Pillen schluckt und Susanna es gerade noch schafft, sie zu retten, mag das angehen. Doch dann füllt die Lebensmüde eine Schüssel mit Wasser und holt sich einen Föhn. Auch diesen Klassiker kann Susanna verhindern. Sie wird aber selbst zum Opfer eines Stromschlags und ihr stehen danach die Haare wie Struwwelpeter zu Berge. Dass beim Versuch der Gräfin, eine Flinte gegen sich zu richten, ein Schuss losgeht und die Wände einstürzen, hat da schon wieder eine gewisse Logik. Auf die Dauer wirkt das wie eine Studie zum Theater von Herbert Fritsch. Aber ohne dessen Energie.
Gestrickte Männlichkeit für die Frauen
Nach der Pause gibt es nur noch das Doppelbett in einem Neorahmenkubus. Und man hofft schon auf die Fallhöhe ins Ernsthafte, die diese Komödie ja immer auch hat. Aber dann stricken sie sich nacheinander opulent putzige Kostüme. Bei den Frauen (von Barbarina bis Marcellina) mit deutlich baumelndem männlichem Geschlecht und mit weiblichen Aufnähern für die Männer. Dass der Graf am Ende fast nackt dasteht, macht noch Sinn. In der Mitte der Bühne ist derweil ein phantasievoller Baum (mit Aststümpfen in Hundertwasserfarben) aufgeblasen worden. Und wirkt so opulent wie unverbindlich mittsommernächtlich vor sich hin.
Leider schaffen es auch Thomas Hengelbrock und sein Balthasar Neumann Ensemble nicht wirklich, den Abend in Richtung Mozartglück zu wenden. Was aus dem Graben kam, hätte zu einer feinsinnig eleganten Lesart auf der Bühne gut gepasst. So aber zündete weder der Versuch, den Bühnenklamauk zu bremsen, noch ihn einfach laufen zu lassen richtig. André Schuen als Figaro und Julia Fuchs als Susanna sind ein vokal ebenso solides Paar wie Gyula Orendt als pathologisch übergriffiger Graf und Jacqueline Wagner als Contessa. Dass die Barbarina von Elisabeth Boudreault als Klasse für sich heraussticht, spricht für sich.
Aix-en-Provence wirkt in diesem zweiten Coronasommer zwar deutlich weniger überfüllt als sonst, und es wird brav auf Gesundheitspass und Mund-Nasenmaske geachtet, aber statt im bewährten Schachbrettprinzip wie in Salzburg sitzt man hier so eng, als wär´ nichts.
FAZIT
Lotte de Beer macht aus Le nozze de Figaro in Aix-en-Provence ziemlich albernen Klamauk. Alles in Allem eine Inszenierung aus der Rubrik Vorhang-zu-und-viele-Fragen-offen.
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