Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Spuk im MuseumVon Thomas Molke, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico NawrathNachdem 2020 die Bayreuther Festspiele pandemiebedingt abgesagt werden mussten, können sie in diesem Jahr, wenn auch unter strengen Auflagen und in eingeschränktem Umfang, wieder stattfinden. So können pro Vorstellung nur 911 Plätze angeboten werden. Sieht man allerdings davon ab, dass jeweils der Platz rechts und links und in der Regel auch direkt vor oder hinter einem frei bleibt und man weniger beengt sitzt, als man es sonst aus Bayreuth gewohnt ist, wirkt der im Schachbrettmuster gefüllte Saal dennoch relativ voll. Der Chor kann nicht auf der Bühne singen, sondern wird aus Plexiglasboxen aus dem Chorsaal eingespielt, während ein Teil der Choristen auf der Bühne agiert, ohne zu singen. Das Programm ist ein bisschen ausgedünnt worden, da der für 2020 geplante neue Ring aus organisatorischen Gründen auf 2022 verschoben werden musste. So gibt es neben der Premiere des fliegenden Holländers und der Wiederaufnahme des Tannhäuser in diesem Jahr zum letzten Mal Barry Koskys Inszenierung der Meistersinger von Nürnberg zu erleben, die 2017 ihre Premiere feierte. Wagners "komische Oper" Die Meistersinger von Nürnberg gilt wohl als eines der problematischsten Stücke des deutschen Komponisten, was unter anderem auch in der Rezeptionsgeschichte begründet sein dürfte. Kein anderes Werk ist von den Nationalsozialisten mehr für Propagandazwecke missbraucht worden als eben diese Meistersinger. So wurde darin das "Heil der deutschen Kunst" bei den damaligen "Kriegsfestspielen 1943 und 1944" zur "Erbauung der deutschen Soldaten" mit einem idealisierten Nürnberg gefeiert, das den deutschen Geist gegen die Anfeindungen von außen bewahren sollte. Nicht von ungefähr wählten die Nationalsozialisten für ihre Reichsparteitage eben diese Stadt aus, die für die Utopie eines deutschen Ideals bzw. Paradieses stand. Auch die Rassengesetze wurden hier verabschiedet, und es wird immer noch diskutiert, welchen Einfluss der bekennende Antisemit Wagner wohl auf diese Entwicklung gehabt haben mag, auch wenn die Oper weit vor dem Erstarken der Nationalsozialisten entstand. Barry Kosky hält es in seiner Inszenierung mit Hans Sachs ("Verachtet mir die Meister nicht!") und durchleuchtet die Rezeptionsgeschichte des Werkes einerseits und Wagners Selbstinszenierung in dieser Oper andererseits. Aufführung der Meistersinger in der Villa Wahnfried: von links: Hermann Levi / Sixtus Beckmesser (hier Johannes Martin Kränzle, mit "kleinem Wagner" auf dem Schoß) Richard Wagner / Walther von Stolzing (Klaus Florian Vogt), Richard Wagner / David (Daniel Behle), Dienstmädchen / Magdalene (Christa Mayer), Cosima / Eva (Camilla Nylund) und Franz Liszt / Veit Pogner (Georg Zeppenfeld mit "kleinem Wagner" auf dem Schoß) So beginnt der erste Aufzug in Wagners Villa Wahnfried an einem August-Nachmittag im Jahr 1875. Richard Wagner hat seinen Schwiegervater Franz Liszt und den Dirigenten Hermann Levi zu einer Lesung der Meistersinger eingeladen. Während Liszt die Rolle des Veit Pogner übernimmt und Levi die unliebsame Partie des Sixtus Beckmesser zugedacht ist, was auf Wagners Verachtung des jüdischen Dirigenten anspielt, den er für das Dirigat des Parsifal dazu zwang, zum christlichen Glauben zu konvertieren, schlüpft Wagner selbst in die Rollen von Hans Sachs, Walther von Stolzing und David, die wohl alle einen Teil seines Lebens widerspiegeln. Der Lehrbube David steht für den jungen Komponisten, der mit seinen Frühwerken Die Feen und Das Liebesverbot noch nicht zu seiner späteren Größe gefunden hat, der ungestüme Stolzing stellt den Revolutionär Wagner da, der gegen verkrustete Strukturen aufbegehrte, und Sachs schließlich markiert den reifen Wagner, der sich in Wahnfried sein paradiesisches Ideal geschaffen hat, in dem er sich selbst als Künstler inszenieren kann. Deswegen ist er es auch, der hier zur Lesung empfängt, während Stolzing und David im Wagner-Kostüm dem Klavier, also gewissermaßen der Musik, entsteigen. Außerdem treten auch noch zwei kleine Wagnerfiguren in Kindergröße auf, die auf Levis und Liszts Schoß Platz nehmen und vielleicht für Wagners Kinder stehen, die er nicht nur nach seinen Bühnenfiguren benannt hat, sondern die auch häufig in seine Rollen schlüpfen mussten. Hans Sachs (Michael Volle, vorne Mitte links) und Sixtus Beckmesser (hier: Johannes Martin Kränzle, vorne Mitte rechts) streiten über den Vortrag von Walther von Stolzing (Klaus Florian Vogt, hinten links) (vorne rechts: Veit Pogner (Georg Zeppenfeld), hinten die Meistersinger). Kosky arbeitet in einer ausgefeilten Personenregie die Beziehungen der Personen zueinander sorgfältig heraus. Besonders deutlich wird Wagners respektlose Umgang mit Levi, den er für völlig ignorant hält. So kann Levi beispielsweise die in dem Vorspiel eintreffenden Parfums gar nicht riechen. Die Szene in der Katharinenkirche findet dann als Gottesdienst in der Villa Wahnfried statt. Auch hier wird Levi von Wagner drangsaliert, da er mit den christlichen Bräuchen nicht vertraut ist. Die übrigen Meister treten in historischen Kostümen auf und karikieren in ihren slapstickartigen Bewegungen die jahrelange konventionelle Aufführungspraxis, die besonders in den Meistersingern bis über den 2. Weltkrieg hinaus zelebriert worden ist. Dass Stolzings Vortrag nicht nur von Beckmesser getadelt sondern auch von den übrigen Meistern abgelehnt wird, spielt darauf an, dass auch Wagner zu Beginn seiner Karriere nicht überall auf Gegenliebe gestoßen ist. Nur Hans Sachs erkennt bereits zu Beginn das Talent, was in diesem jungen Mann schlummert, was kein Wunder ist, da ja beide Teil einer Person zu sein scheinen. So passt es auch, dass beide Männer Eva lieben, die auch aus biographischer Sicht mit Cosima gleichzusetzen ist. Wagner hat in ihr unter anderem seine "Eva", das Urweib, gesehen. Am Ende des ersten Aufzugs wird die Bühne nach hinten gefahren und ein US-amerikanischer GI tritt auf. Jetzt wirkt der Salon der Villa Wahnfried wie ein Raum in einem Museum, das von einem Museumswärter bewacht wird, ohne dass dieser merkt, dass die Figuren in dem Raum zum Leben erwacht sind. Hans Sachs (Michael Volle) und Eva (Camilla Nylund) oder Richard Wagner und Cosima? Im zweiten Akt verwandelt sich die Bühne dann in einen Sitzungssaal, in dem nach dem Krieg die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse stattfanden. Zunächst ist der Saal nicht direkt als solcher zu erkennen. Aufgetürmt befinden sich hier die Möbel, die man im ersten Aufzug in der Villa Wahnfried gesehen hat. Wir befinden uns scheinbar mitten im 2. Weltkrieg, als das Mobiliar aus dem Haus Wahnfried geschafft worden ist. Die Prügelszene mündet nun in eine Art Reichspogromnacht, an deren Ende Beckmesser nicht nur heftige Schläge bezieht und unter dem Bildnis Wagners begraben wird, sondern auch zu einem sogenannten Stürmerjuden degradiert wird, indem ihm eine riesige Fratze als Kopf aufgesetzt wird. Das Spiel wird noch weiter getrieben, indem aus dem Zeugenstand des späteren Gerichtssaals eine riesige aufblasbare Fratze entsteht, die erst beim zweiten Ruf des Nachtwächters in sich zusammenfällt. Nur der riesige Judenstern auf dem Kopf der Fratze bleibt in seiner Größe erhalten. Es ist konsequent, dass der dritte Aufzug dann während der Nürnberger Prozesse spielt, bei denen die nationalsozialistischen Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden sollten und den Opfern zu ihrem Recht verholfen werden sollte. Hier lässt Kosky sechs kleine Juden mit großen Köpfen auftreten und Beckmesser im Zeugenstand vereinnahmen. Damit spielt er wohl auf ein antisemitisches Gesellschaftsspiel aus den 1930er Jahren an, bei dem man eine Stadt von den dort ansässigen Juden befreien musste. Bitter ist, dass Beckmesser nicht zu seinem Recht kommen wird, sondern aus dem Saal getrieben wird, was wohl andeutet, dass auch zahlreichen Opfern keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Was allerdings die Harfenistin Helga Beckmesser (Manuela Randlinger-Bilz mit komödiantischem Spiel bei Beckmessers missglücktem Vortrag) auf der Bühne soll, erschließt sich nicht. Walther von Stolzing (Klaus Florian Vogt, Mitte mit Eva (Camilla Nylund)) wird von den Meistern für seinen Vortrag gefeiert. Auch während des ganzen Prozesses steht der US-amerikanische GI regungslos im Geschehen und scheint das Treiben um ihn herum gar nicht zu bemerken. Hans Sachs verwandelt sich nun wieder in Richard Wagner, der sich mit den Worten von Sachs "Ich bin verklagt und muss besteh'n: drum lasst mich meinen Zeugen auserseh'n!" scheinbar ebenfalls dem Prozess stellen muss. Stolzing, also Wagner selbst, rehabilitiert Sachs dann mit der perfekt vorgetragenen Melodie, die die übrigen Meister und den Gerichtssaal ins Staunen versetzt. Doch die Ehrung dafür lehnt er ab und verlässt mit Eva und den übrigen Meistern die Bühne. Sachs bleibt allein auf der Bühne zurück und hält im Zeugenstand mit "Verachtet mir die Meister nicht!" eine Art Verteidigungsrede. Am Ende werden die Wände im Hintergrund hochgefahren, und ein Orchester wird auf die Bühne geschoben, dass Sachs als Wagner am Schluss dirigiert. So schließt sich der Kreis, und Koskys Lesart bleibt der vollständigen Selbstinszenierung Wagners behaftet. Musikalisch gibt es im letzten Jahr nicht viel Neues. Michael Volle begeistert erneut als Hans Sachs mit wohltönendem Bass, guter Textverständlichkeit und wunderbarem Spiel. Klaus Florian Vogt legt den Walther von Stolzing wieder strahlend und lyrisch an. "Morgenlich leuchtend im rosigen Schein" wird in seiner Interpretation erneut zu einem musikalischen Höhepunkt der Oper. Georg Zeppenfeld und Günther Groissböck haben in diesem Jahr die Rollen getauscht. Während Zeppenfeld 2017 noch alternierend als Nachtwächter aufgetreten ist, übernimmt er nun die Partie des Veit Pogner von Groisböck, der in diesem Jahr als Nachtwächter zu hören ist. Zeppenfeld punktet mit sonorem, dunklem Bass und ebenfalls großer Textverständlichkeit. Johannes Martin Kränzle kann krankheitsbedingt die Partie des Beckmesser nicht singen. Während er bei der ersten Aufführung in diesem Jahr noch szenisch agiert und Bo Skovhus die Partie von der Seite eingesungen hat, hat Skovhus bei dieser Aufführung auch die szenische Interpretation übernommen. Dass er dabei nicht immer textverständlich ist, mag man ihm nachsehen. Immerhin ist es ihm in kürzester Zeit gelungen, die Rolle mit bitterem Spielwitz anzulegen. Camilla Nylund überzeugt als Eva mit leuchtenden Höhen, könnte aber auch an der Textverständlichkeit noch etwas feilen. Christa Mayer und Daniel Behle lassen als Magdalene und David ebenfalls keine Wünsche offen. Bei dem von Eberhard Friedrich einstudierten Chor fällt nicht auf, dass der singende Teil nicht auf der Bühne steht, sondern nur eingespielt wird. Die Abstimmung mit dem Orchester darf also als perfekt bezeichnet werden. Philippe Jordan verzichtet mit dem Orchester der Bayreuther Festspiele auf ein - wie Ernst Bloch es einst formulierte - "Stahlbad in C-Dur" und findet einen geschmeidigen Zugang zu dem Werk, der die musikalischen Finessen der Partitur differenziert herausarbeitet. So gibt es am Ende tosenden Applaus für alle Beteiligten, bei dem nicht auffällt, dass das Festspielhaus nur zur Hälfte besetzt ist.
Auch im letzten Jahr überzeugt Koskys Regie-Ansatz bei den
Meistersingern, |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chorleitung
Dramaturgie
Orchester der Bayreuther Festspiele Solisten*rezensierte Aufführung
Hans Sachs, Schuster
Veit Pogner, Schmied
Kunz Vogelgesang, Kürschner
Konrad Nachtigal, Spengler
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber
Fritz Kothner, Bäcker
Balthasar Zorn, Zinngießer
Ulrich Eisslinger, Würzkrämer
Augustin Moser, Schneider
Hermann Ortel, Seifensieder
Hans Schwarz, Strumpfwirker
Hans Voltz, Kupferschmied
Walther von Stolzing
David, Sachsens Lehrbube
Eva, Pogners Tochter
Magdalene, Evas Amme
Ein Nachtwächter Lehrbuben Helga Beckmesser (Harfenistin)
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