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Klangvokal 2021 Musikfestival Dortmund
Il pirata in italienischer Sprache Aufführungsdauer: ca. 2' (keine Pause) Kooperation mit der Neuen Philharmonie Westfalen und dem Theater Dortmund Video-Stream aus dem Konzerthaus Dortmund (Aufnahme am 13. Juni 2021) |
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Digitaler Belcanto-Genuss aus dem Konzerthaus Von Thomas Molke / Fotos: © Sandra Spitzner Fester Bestandteil des Klangvokal Musikfestivals in Dortmund ist in jedem Jahr eine konzertante Oper mit hochkarätigen Stars der Szene. Für 2020 waren der US-amerikanische Startenor Lawrence Brownlee und die lettische Sopranistin Marina Rebeka mit Bellinis Belcanto-Drama Il pirata angekündigt worden. Wegen der Corona-Pandemie musste die Produktion nicht nur verschoben werden, sondern konnte auch nur digital ohne Publikum im Konzerthaus aufgezeichnet werden. Brownlee stand aus terminlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung, und Rebeka entschied sich, ihr Debüt als Imogene auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, wahrscheinlich wenn wieder ein Live-Auftritt vor Publikum möglich ist. Mit dem russischen Tenor Dmitry Korchak und der italienischen Sopranistin Maria Pia Piscitelli konnten zwei Künstler gefunden werden, die bereits auf anderen Bühnen in diesen Partien Erfolge gefeiert haben. Am 13. Juni 2021 wurde die konzertante Aufführung im Konzerthaus Dortmund aufgenommen und steht seit dem 25. Juni 2021 als kostenloser Videostream unter folgenden Plattformen für mindestens sechs Monate zur Verfügung:
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https://www.facebook.com/klangvokaldortmund Bellinis Frühwerk Il pirata markierte bei der umjubelten Uraufführung am 27. Oktober 1827 an der Mailänder Scala den Startschuss seiner Karriere und leitete die erste große Phase der Schauerromantik in der Oper ein, die mit Donizettis Lucia di Lammermoor einen weiteren Höhepunkt erreichen sollte. So schuf Bellini auch in seiner Oper die erste große Wahnsinnsszene, die für Donizettis Lucia als Vorbild gedient haben dürfte. Dass das Stück mittlerweile sehr selten auf den Spielplänen zu finden ist, dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass die Gesangspartien extrem anspruchsvoll sind. So komponierte Bellini die Titelpartie für den Star-Tenor Giovanni Battista Rubini, dessen Stimme einen Umfang von mehr als drei Oktaven umfasste, so dass er problemlos von höchsten Höhen in gewaltige Tiefen wechseln konnte. Auch die erste Interpretin der Imogene, die französische Sopranistin Henriette Méric-Lalande, erlangte mit dieser Rolle Weltruhm, da sie auf atemberaubende Weise die Koloraturen mit Lyrik und Dramatik verband. Dmitry Korchak als Gualtiero Die Oper spielt im 13. Jahrhundert auf Sizilien. Gualtiero, der Graf von Montalto und Anhänger des Staufer Königs Manfred, wurde nach der Niederlage gegen Ernesto, den Herzog von Caldora, und Karl I. von Anjou aus Sizilien verbannt und zog fortan auf Rache sinnend als Anführer einer Gruppe aragonischer Piraten über die Meere. Zehn Jahre später sind die Piraten so mächtig geworden, dass Karl seine Flotte unter Leitung Ernestos in den Kampf gegen die Piraten geschickt hat und sie schließlich schlägt. Nach einem schweren Sturm stranden einige wenige Überlebende, unter ihnen Gualtiero, an der Küste Siziliens in der Nähe der Burg Caldora. Hier setzt die Handlung der Oper ein. Imogene, Ernestos Ehefrau, nimmt die schiffbrüchigen Piraten in der Burg auf und trifft so auf ihren ehemaligen Geliebten Gualtiero. Dieser ist entsetzt darüber, dass sie seinen Erzfeind geheiratet hat, und macht ihr schwere Vorwürfe. Imogene erklärt ihm die Umstände dieser Zwangsehe. Auch ihr Vater war ein Verbündeter des Staufer Königs und wurde nur unter der Bedingung aus der Gefangenschaft entlassen, dass Imogene Ernestos Frau wurde. Gualtiero bittet Imogene, mit ihm zu fliehen. Da überrascht Ernesto die beiden, und es kommt zum Zweikampf, bei dem Gualtiero den Rivalen tötet. Da Imogene nicht bereit ist, ihren Sohn im Stich zu lassen und mit Gualtiero zu fliehen, stellt dieser sich der Justiz und wird zum Tode verurteilt. Daraufhin verfällt Imogene dem Wahnsinn und bricht zusammen. Friedrich Haider und die Neue Philharmonie Westfalen Wie schon beim Eröffnungsabend mit dem Tenor Joseph Calleja steht nicht das ursprünglich geplante WDR Funkhausorchester aus Köln für die Einspielung zur Verfügung, sondern die Kooperation erfolgt mit der ansässigen Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Friedrich Haider. Als Chor fungiert der Chor des Theaters Dortmund, der mit Abstand über den kompletten Zuschauerraum verteilt ist. Haider führt die Neue Philharmonie Westfalen mit sicherer Hand durch die gefühlsgeladene Partitur, die melodisch zwischen ruhigen, melancholischen Passagen und großen dramatischen Ausbrüchen changiert. Der von Fabio Mancini einstudierte Chor gefällt sowohl in den leisen Szenen als Dienerinnen Imogenes, die um ihre Herrin besorgt sind, als auch in den kämpferischen Szenen als Krieger, die sich rühmen, die Piraten besiegt zu haben. Untertitelt ist dieser Stream zwar nicht, aber man kann sich von der Homepage das Libretto herunterladen und so der Handlung folgen. Maria Pia Piscitelli als Imogene Dmitry Korchak stellt sich den Herausforderungen der anspruchsvollen Titelpartie und lässt kaum Wünsche offen. In seiner Auftrittskavatine im ersten Akt, wenn er als Schiffbrüchiger an der Küste gestrandet ist und seine Erinnerungen um seine Geliebte Imogene kreisen, muss er zwar in den Höhen ein wenig forcieren, trifft die Töne aber sauber. Tenoralen Glanz versprüht er vor allem im zweiten Akt, wenn er sich nach dem Duell mit Ernesto der Justiz stellt und lieber sterben, als ohne Imogene die Insel verlassen möchte. Hier begeistert Korchak mit lyrischen Momenten. Auch Maria Pia Piscitelli meistert die Partie der Imogene mit großem, farbenreichem Sopran, der sowohl in den Koloraturen zu glänzen vermag als auch in der Mittellage über dramatisches Volumen verfügt. Bereits in ihrer Auftrittskavatine, wenn sie sich um das Schicksal des Geliebten Gualtiero sorgt, stellt Piscitelli unter Beweis, dass sie den Vergleich mit anderen großen Sopranistinnen in dieser Partie nicht zu scheuen braucht. Eindringlich gestaltet sie mit Korchak das Duett im ersten Akt, in dem Gualtiero Imogene zunächst Vorwürfe macht, dann sich aber beide erneut ihre Liebe gestehen. Einen weiteren Höhepunkt markiert dann Piscitellis Interpretation der großen Wahnsinnsszene am Ende der Oper. Hier zieht sie wirklich alle Register ihres Könnens und macht Imogenes Verzweiflung auch ohne szenische Umsetzung mehr als spürbar. Franco Vassallo als Ernesto Franco Vassallo gestaltet die undankbare Partie des Ernesto mit profundem Bariton und punktet direkt in seiner Auftrittsarie mit beweglichen Läufen, wenn er seinen Triumph über die Piraten feiert. Im Zusammenspiel mit Piscitelli zeigt er sich zunächst sehr schroff und misstrauisch, was nachvollziehbar macht, dass Imogene immer noch Gualtiero liebt und für Ernesto nichts empfindet. Zu einer gewissen Innigkeit finden die beiden dann aber im Duett am Anfang des zweiten Aktes. Auch die übrigen Partien sind mit Baurzhan Anderzhanov als Gualtieros ehemaligem Erzieher Goffredo, Liliana De Sousa als Imogenes Vertraute Adele und Sungho Kim als Gualtieros Freund Itulbo gut besetzt, so dass der Stream puren Belcanto-Genuss bietet, wenn auch nur digital und auf zwei Stunden gekürzt. FAZIT Der Stream bietet, wenn auch nur digital, Belcanto-Genuss mit einer Opernrarität, die man äußerst selten auf der Bühne live erleben kann. Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2021
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Neue Philharmonie Westfalen Chor des Theater Dortmund
SolistenImogene Gualtiero Ernesto Goffredo Adele Itulbo
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