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Todtrauriges MärchenVon Thomas Molke / Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse) Engelbert Humperdinck wird in erster Linie immer mit seiner erfolgreichen Märchenoper Hänsel und Gretel assoziiert, die sich seit der Uraufführung ständig im Repertoire des Musiktheaters gehalten hat und auch heute noch zu den am meisten gespielten Werken in Deutschland, vor allem in der Vorweihnachtszeit, zählt. Den 13 weiteren Bühnenwerken, denen zu seinen Lebzeiten ebenfalls ein großer Erfolg beschieden war, wird keine allzu große Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Vielleicht ist die musikalische Nähe zu Richard Wagner zu groß, den er 1880 in Neapel kennenlernte und an dessen Seite er für die Uraufführung des Parsifal in Bayreuth gearbeitet hatte. Auch Humperdincks Königskinder, die in den letzten Jahren wieder etwas mehr in den Fokus der deutschen Opernbühnen rücken, lassen mit den gewaltigen Naturbeschreibungen und Klangfarben erkennen, dass Humperdinck stark von Wagners Musikstil beeinflusst worden ist. Das Märchendrama der jüdischen Schriftstellerin Elsa Bernstein-Porges, das sie unter dem Pseudonym Ernst Rosmer veröffentlichte, inspirierte Humperdinck schon vier Jahre nach seinem großen Erfolg mit Hänsel und Gretel zu einem musikalischen Bühnendrama, das 1897 in München zur Uraufführung gelangte. Der Versuch der musikalischen Deklamation, bei der die Darsteller auf Tonhöhe sprachen, konnte sich allerdings nicht durchsetzen. So gestaltete Humperdinck es ab 1907 zu einer durchkomponierten Oper um, die am 28.12.1910 an der Metropolitan Opera eine umjubelte Premiere feierte und nicht nur Puccinis wenige Wochen zuvor uraufgeführte La fanciulla del West in der Publikumsgunst übertraf, sondern auch als "wichtigste Oper nach Parsifal" gepriesen wurde. Die Hexe (Katharina Magiera, hinten) will die Gänsemagd (Karen Vuong, vorne) von den Menschen und der Zivilisation fernhalten. Im Gegensatz zu Hänsel und Gretel ist Humperdincks Märchenoper Königskinder eher ein todtrauriges Märchen für Erwachsene, da hier auf das glückliche Ende verzichtet wird. Erzählt wird die Geschichte der Gänsemagd, die von der Hexe als Ziehmutter im Wald von den Menschen ferngehalten wird. Als ein junger Königssohn, der den Königshof verlassen hat, um die Welt kennen zu lernen, der Gänsemagd im Wald begegnet, verlieben sie sich sofort ineinander, und er schenkt ihr seine Königskrone. Da die Gänsemagd den Wald jedoch aufgrund eines Zaubers der Hexe nicht verlassen kann, begibt sich der Königssohn enttäuscht nach Hellastadt, um dort als Schweinehirt bei einem Wirt zu arbeiten. Erst der Spielmann kann der Gänsemagd das Selbstvertrauen geben, den Zauber der Hexe zu durchbrechen und dem Königssohn in die Stadt zu folgen. Die Hexe hat mittlerweile den Bürgern von Hellastadt, die sich nach einem neuen König für den verwaisten Thron sehnen, prophezeit, dass beim zwölften Glockenschlag der neue König durch das Stadttor erscheinen werde. Als um 12 Uhr die Gänsemagd mit der Krone die Stadt betritt, fühlen sich die Bürger hintergangen, vertreiben die Gänsemagd und den als Schweinehirten getarnten Königssohn und verbrennen die Hexe. Nur der Spielmann und die Kinder erkennen in der Gänsemagd und dem Schweinehirten die Königskinder und machen sich auf die Suche nach ihnen. Von Hunger und Kälte getrieben tauschen der Königssohn und die Gänsemagd die Krone gegen ein Stück vergiftetes Brot ein, das die Gänsemagd einst auf Anweisung der Hexe gebacken hatte, und sterben, bevor der Spielmann und die Kinder sie finden. Der Holzhacker (Magnús Baldvinsson, rechts) berichtet den Bürgern von Hellastadt (von links: Wirtstochter (Kelsey Lauritano), Stallmagd (Valerie Eickhoff), Wirt (Oscar Hillebrandt), daneben der als Schweinehirt getarnte Königssohn (Gerard Schneider)) vom prophezeiten Einzug eines Königs in die Stadt.
Das Regie-Team um Matthew Wild betont in der Inszenierung die Gegensätze
zwischen Natur und Zivilisation
Die Gänsemagd (Karen Vuong, Mitte) zieht mit
Krone gefolgt vom Spielmann (Iain MacNeill) in Hellastadt ein (an den Seiten:
Chor und Kinderchor, vorne rechts: der als Schweinehirt getarnte Königssohn
(Gerard Schneider)).
Musikalisch lassen sich Parallelen zu Hänsel und Gretel höchstens im
volksliedhaft eingesetzten Kinderchor finden. Hier verwendet Humperdinck
geschmeidige, weiche Melodienbögen, die recht naiv und kindlich klingen. Der
Kinderchor der Schule für Chorkunst München unter der Leitung von Maxim
Matiuschenkov setzt diese Szenen warmherzig mit klaren Stimmen um und spendet in
diesem ansonsten todtraurigen Stück ein kleines bisschen Trost. Hervorzuheben
ist auch Alena Sys, die als Tochter des Besenbinders mit zartem Sopran glänzt
und zunächst als einzige die wahre Identität des Schweinehirten und der
Gänsemagd erkennt. Ansonsten wählt Humperdinck für jeden Aufzug eine ganz eigene
Klangsprache. Während man im ersten Aufzug im tiefen dunklen Wald zahlreiche
Anklänge an Wagners Siegfried ausmachen kann und im Vorspiel zum dritten
Aufzug Wagners Tristan als großes Vorbild durchschimmert, wird die
verlogene Gesellschaft Hellastadts mit einer Klangsprache eingeführt, die später
von Alban Berg und Arnold Schönberg fortgesetzt worden wird. Karsten Januschke
arbeitet mit dem Orchester der Tiroler Festspiele Erl die unterschiedlichen
Stimmungen und Farben eindrucksvoll heraus und lässt das Publikum tief in diese
gespaltene Welt eintauchen. Der von Olga Yanum einstudierte Chor der Tiroler
Festspiele, der nur im zweiten Aufzug als Bürger der Stadt auftritt, überzeugt
durch homogenen Klang und stellt die Verlogenheit der Gesellschaft erschreckend
glaubhaft dar.
Die Königskinder (Karen Vuong und Gerard
Schneider) sterben gemeinsam am vergifteten Brot.
Die größtenteils sehr anspruchsvollen Solistenpartien sind allesamt hochkarätig
besetzt. Da ist zunächst Karen Vuong als Gänsemagd zu nennen. Mit strahlendem
Sopran unterstreicht sie die Reinheit dieser Figur, die zwar mit ihrem Leben im
Wald bei der Hexe unglücklich ist, ihr Leid aber tapfer erträgt und sich ihrem
Schicksal ergibt. Liebevoll kümmert sie sich um ihre Gänse und folgt den
Weisungen der strengen Hexe stets ohne Widerworte. In einem kleinen Versteck hütet
sie ein Buch, in dem sie wahrscheinlich Geschichten von einem Leben außerhalb
ihres Waldes sammelt. Die Hexe reißt dieses Buch irgendwann in Stücke, um der
Gänsemagd den Traum eines anderen, freien Lebens zu rauben. Katharina Magiera
gestaltet die Hexe mit kräftigem Alt und intensivem Spiel. Welchen Zweck sie mit
der Gänsemagd verfolgt, bleibt in der Geschichte recht offen. Wahrscheinlich
möchte sie sie zu einer Hexe erziehen, weil sie selbst von den Menschen immer
wieder enttäuscht worden ist. Dass ihr das nicht gelingt, macht sie sehr zornig
und der Gänsemagd gegenüber ungerecht. Dem Spielmann ist es zu verdanken, dass
sich die Gänsemagd aus den Klauen der Hexe befreien kann. Iain MacNeill
interpretiert diese, wohl neben den Königskindern einzige positive Figur mit
grandiosem Bariton und großartiger Textverständlichkeit.
FAZIT
Es muss nicht immer Hänsel und Gretel sein. Auch in Humperdincks
Königskindern ist musikalisch einiges zu entdecken. Die Inszenierung
verdient das Prädikat "empfehlenswert".
Weitere Rezensionen zu den Tiroler
Festspielen Sommer 2021 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungKarsten Januschke Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Licht Chor Kinderchor
Orchester und Chor der Tiroler Festspiele Erl Kinderchor der Schule für Chorkunst München
SolistenKönigssohn
Gänsemagd Spielmann
Hexe Holzhacker
Besenbinder
Ratältester
Wirt
Wirtstochter Schneider Stallmagd Torwächter 1 Torwächter 2 Kind Statist
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