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Liebevoll ironischer Blick auf das TheaterVon Thomas Molke / Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse) Adolphe Adam ist heutzutage vor allem noch als Komponist großer Handlungsballette wie Giselle und Le Corsaire in Erinnerung. Dass er neben seinen rund 16 Ballettmusiken auch insgesamt 45 Opern komponiert hat, mit denen er in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts große Erfolge feierte, ist nahezu genauso in Vergessenheit geraten wie die Tatsache, dass er als Kodirektor in den späten 1840er Jahren ein drittes lyrisches Theater in Paris eröffnete, dessen Schließung 1848 aufgrund der Wirren der Revolution aber gleichzeitig seinen finanziellen Ruin bedeutete. Am bekanntesten dürfte aus seinem Opernschaffen wahrscheinlich die Opéra-comique Le postillon de Lonjumeau sein, die sich nach der Uraufführung am 13. Oktober 1836 in ganz Europa zu einem regelrechten Kassenschlager entwickelte. Einen großen Anteil daran hat die berühmte Tenorarie des Postillons, "Mes amis, écoutez l'histoire". Es heißt, dass selbst Richard Wagner dieses Lied hin und wieder vor sich hin sang, wenn er des Nachts nicht schlafen konnte. Nun hat man dieses Stück, das den Tenor bis zum hohen D führt, bei den Winterfestspielen in Erl in einer sehr pittoresken Inszenierung auf die Bühne gestellt. Chapelou (Francesco Demuro mit dem Chor) singt das berühmte Lied des Postillons. Erzählt wird die Geschichte des Postillons Chapelou, der am Tag seiner Hochzeit mit der Wirtin Madeleine das Angebot bekommt, an der Pariser Oper Karriere zu machen. Nach kurzem Zögern entschließt er sich, seine Braut und Lonjumeau vor der Hochzeitsnacht zu verlassen, und bricht mit seinem Freund Bijou und dem Marquis de Corcy nach Paris auf. Zehn Jahre später ist er unter dem Namen St. Phar der gefeierte Star an der Oper. Sein Freund Bijou hat es immerhin bis zum 1. Choristen gebracht und nennt sich nun Alcindor. Was die beiden nicht wissen, ist, dass auch Madeleine nach Paris gekommen ist, ein großes Vermögen von ihrer Tante geerbt hat und nun als Madame de Latour in den vornehmen Kreisen verkehrt. Da der Marquis de Corcy in sie verliebt ist, organisiert er eine Aufführung in ihrem Haus. Chapelou erkennt in ihr zwar nicht seine Braut Madeleine, fühlt sich aber zu ihr hingezogen und lässt sich zu einer Heirat überreden. Während er die Trauung allerdings von einem falschen Priester vollziehen lassen will, um sich nicht der Bigamie schuldig zu machen, organisiert Madeleine einen echten Kaplan und heiratet Chapelou aufs Neue. Der Marquis de Corcy, der weiß, dass Chapelou in Lonjumeau bereits verheiratet ist, will Chapelou als Bigamisten der Justiz übergeben und hinrichten lassen. Da löst Madeleine die Verwirrung auf und gibt sich zu erkennen. Reumütig kehrt Chapelou zu ihr zurück und nimmt vom Theaterleben Abschied. Allüren am Theater: St. Phar (Francesco Demuro, Mitte oben) streitet mit Marquis de Corcy (Steven LaBrie, Mitte unten) (links: Bourdon (Oskar Hillebrandt), rechts: Alcindor (Joel Allison), im Hintergrund: Chor). Das Regie-Team um Hans Walter Richter interessiert sich vor allem für den Blick, den das Stück auf die Theaterwelt wirft, und siedelt es aus diesem Grund in der Zeit an, in der es spielt, im Spätbarock. Das spiegelt sich vor allem in den opulenten Kostümen von Kaspar Glarner wider, die die ländliche Idylle von Lonjumeau somit in einen starken Kontrast zu der gekünstelten Welt des Theaters und des Adels in der Metropole Paris stellen. Als Bühnenraum fungiert eine große Guckkastenbühne, die durch Drehung Einblicke in die verschiedenen Bereiche der Spielfläche, der Seitenbühne und der Hinterbühne gewährt. Bei der Hochzeit im ersten Akt in Lonjumeau sieht man diese Bühne von hinten. Hier ist also noch alles "real". Mit dem Gang nach Paris wird dann auch die Vorderbühne sichtbar, und das Publikum taucht mit Chapelou in eine andere Welt ein. Dabei wird diese Welt allerdings ironisch gebrochen. Das opulente Kostüm, das Chapelou als St. Phar bei seinem Auftritt an der Oper trägt, ist mit den großen weißen Schwanenflügeln und dem ausladenden Hut derart überzogen, dass man weit davon entfernt ist, der Inszenierung einen musealen Charakter vorwerfen zu wollen. St. Phar (Francesco Demuro) umwirbt Madame de Latour (Monika Buczkowska) (im Hintergrund rechts: Rose (Gabriel Wanka)). Mit einer durchdachten Personenregie werden auch kleine Spitzen gegen den Theateralltag abgeschossen. Wenn Chapelou plötzlich Probleme mit seiner Stimme hat und scheinbar die Töne nicht mehr richtig trifft, weil er eigentlich keine Lust hat zu singen, und sich das schlagartig ändert, als er erfährt, dass diese Aufführung für die von ihm verehrte Madame de Latour stattfindet, mag das manchem Theaterschaffenden genauso bekannt vorkommen wie die übertriebenen Bewegungen der Choristen, die als Tauben über die Bühne flattern sollen und damit aber mitnichten darstellerisch umsetzen, was sich ein Regie-Team wünscht. Der Chor der Tiroler Festspiele hat hier genauso wie die Solistinnen und Solisten die Möglichkeit, diese kleinen Szenen mit großem Spielwitz umzusetzen. Für den gesprochenen Text hat Richter gemeinsam mit Mareike Wink eine Dialogfassung erstellt. Dass sie auf Französisch gelassen wird, ist vielleicht nicht ganz so glücklich, da man hier sehr viel übertiteln muss und dabei das Geschehen auf der Bühne ein wenig aus den Augen verliert. Nicht jeder im Publikum dürfte des Französischen so mächtig sein, dass er bei den gesprochenen Texten auf die Übertitel verzichten kann. Als weitere Person wird der König Louis XV eingeführt. Wolfgang Gerold poltert in königlicher Robe vor der Ouvertüre in den Zuschauersaal und empört sich darüber, dass die angesetzte Opernaufführung von Rameaus Castor et Pollux ausfallen soll, nur weil der Tenor ausgefallen ist. Sofort befiehlt er dem Intendanten der Oper, Marquis de Corcy, sich auf die Suche nach einem Ersatz zu machen. Die Suche beginnt dann mit der Ouvertüre. Steven LaBrie spielt den Marquis mit herrlich effeminierter Attitüde und stattet ihn stimmlich mit kräftigem Bariton aus. Großartige Komik entfaltet auch die Szene zwischen ihm und dem Dienstmädchen Rose (Gabriel Wanka) in der Introduktion zum dritten Akt nach der Pause. Die Kammerzofe macht ihm Avancen, die er zunächst brüsk zurückweist, selbst als Wanka schließlich im Spagat vor ihm landet. Am Ende finden die beiden dann doch noch zueinander. Wenn Rose das Gewand der Madame trägt, scheint sie ihm schon viel besser zu gefallen. Chapelou (Francesco Demuro) in der Zwickmühle zwischen Madeleine (Monika Buczkowska, links) und Madame de Latour (Gabriel Wanka als Rose in der Verkleidung der Madame). Musikalisch ist der Abend großartig besetzt. Francesco Demuro verfügt in der Titelpartie über einen leuchtend hellen Tenor, der sich scheinbar mühelos in die Höhen emporschwingt und dabei nie angestrengt klingt. Dabei stellt nicht nur die oben erwähnte berühmte Arie einen musikalischen Höhepunkt dar. Demuro punktet auch mit großartiger Komik, wenn er beschreibt, wie man immer nur die Sehnsucht nach einer Frau einen Ton höher anlegen muss, um ihr Herz zu erobern. Dass der Postillon seiner Madeleine am Ende wirklich treu bleiben wird, bezweifelt das Regie-Team und lässt Demuro in seiner Arie, in der er vom unsteten Leben als Opernsänger Abschied nehmen will, noch einmal mit drei reizenden Soubretten anbändeln. Monika Buczkowska glänzt als Madeleine mit glasklaren Koloraturen, zeigt aber in ihrem zupackenden Spiel, dass sie alles andere als eine schwache Frau ist. Schon im Duett im ersten Akt, wenn Chapelou und Madeleine sich gegenseitig erzählen, dass sie beide von einem älteren Menschen vor der Hochzeit gewarnt worden seien, zeigt Buczkowska, dass Madeleine ihrem Chapelou durchaus ebenbürtig ist. Hervorzuheben ist auch ihr Spiel im dritten Akt, wenn sie als Madeleine und Madame auftritt. Ihre Kammerzofe Rose ist dabei in das Kostüm der Madame geschlüpft, während Buczkowska immer vor die Guckkastenbühne tritt, wenn sie Chapelou als Madame de Latour erscheint.
Joel Allison gestaltet die Partie des Bijou mit großem Spielwitz und profundem
Bariton. Besonderen Witz entfaltet seine Arie im zweiten Akt, in der er die
Bedeutung der Choristen hervorhebt und dabei eine enorme Theatermaschinerie in
Gang setzt. Das Orchester der Festspiele Erl, das bei der Derniere von Beomseok
Yi geleitet wird, arbeitet die Frische und den Esprit der Musik wunderbar
heraus, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Beifall gibt.
FAZIT
Das Regie-Team um Hans Werner Richter stellt mit einem spielfreudigen Ensemble
unter Beweis, dass eine Inszenierung in klassischem Ambiente nicht museal sein
muss, sondern durchaus sehr ironische Züge haben kann und damit bestens
unterhält.
Weitere Rezensionen zu den
Tiroler Festspielen Winter 2021/2022 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungErik Nielsen / *Beomseok Yi Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Choreographie Lichtdesign Chor
Orchester und Chor der Tiroler Festspiele Erl
SolistenChapelou, Postillon
/ St. Phar, Opernsänger
Madeleine, Wirtin / Madame de Latour Bijou,
Schmied / Alcindor, Chorist
Marquis de Corcy Bourdon
Rose Louis XV
|
- Fine -