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Musikfestspiele
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
09.09.2021 - 19.09.2021

Rodelinda

Dramma per musica in drei Akten (HWV 19)
Libretto von Nicola Francesco Haym nach Pierre Corneille
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 20'  (zwei Pausen)

Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 9. September 2021
(rezensierte Aufführung: 18.09.2021)

 

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Jubiläums-Oper mit fragwürdiger Regie

Von Thomas Molke / Fotos: © Alciro Theodoro da Silva

Händels Rodelinda hat nicht nur für Göttingen eine ganz besondere Deutung. Nachdem das Opernschaffen des Hallenser Komponisten nahezu 180 Jahre von den Opernbühnen vollständig verschwunden war, begann mit der deutschsprachigen Uraufführung dieser Oper am 26. Juni 1920 im Göttinger Theater unter der Regie von Oskar Hagen, die Händel-Renaissance, die sich mittlerweile allein in Deutschland mit drei Festspielen pro Jahr dem musikalischen Schaffen des Wahl-Londoners widmet. Da ist es natürlich selbstverständlich, dass die Jubiläums-Festspiele in Göttingen 2020 ebenfalls mit diesem Meisterwerk eröffnet werden sollten. Allerdings verhinderte die Corona-Pandemie nicht nur, dass das 100-jährige Jubiläum 2020 in Göttingen gebührend gefeiert werden konnte, sondern führte auch dazu, dass die Feier 2021 nicht zum regulären Zeitpunkt nachgeholt werden konnte. Noch ein weiteres Jahr wollte man in Göttingen allerdings nicht warten, und so verlegte man die ursprünglich für Mai geplanten Festspiele in den September. Nach den derzeit geltenden Corona-Regeln kann so zumindest jeder zweite Platz im Theater besetzt werden.

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Rodelinda (Anna Dennis) trauert um ihren Gatten Bertarido (Christopher Lowrey, Mitte), den sie für tot hält (ganz links: Unulfo (Owen Willetts)).

Obwohl das Werk bei der Uraufführung am 13. Februar 1725 im Londoner King's Theatre ein riesiger Erfolg war und laut Einschätzung eines Zeitzeugen musikalisch sogar noch Giulio Cesare in Egitto übertraf, ist die Oper heute eher selten auf den Spielplänen zu finden. Die Handlung basiert auf dem gleichnamigen Libretto von Antonio Salvi, das 1710 von Giacomo Antonio Perti für den Florentiner Hof vertont wurde, und auf Pierre Corneilles Tragödie Pertharite, roi des Lombards aus dem Jahr 1652, einem französischen Theaterstück, dem im Gegensatz zu den beiden Opern kein großer Erfolg beschieden war. Erzählt wird die Geschichte über den im 7. Jahrhundert entmachteten Langobardenkönig Perctarit (Bertarido). Zu Beginn trauert die Königin Rodelinda um ihren Gatten Bertarido, den sie für tot hält. In einem Streit um den Thron von Mailand hatte er seinen Bruder Gundeberto getötet und war vor dessen Verbündetem Grimoaldo, dem Herzog von Benevento, zum Hunnenkönig geflohen. Seine Frau und seinen Sohn ließ er in Mailand zurück. Nun möchte Grimoaldo Rodelinda heiraten und damit selbst Herrscher über Mailand werden. Manipuliert wird er dabei von dem intriganten Garibaldo, dem Herzog von Turin, der sich mit Hilfe von Bertaridos Schwester Eduige selbst des Throns bemächtigen möchte. Als Bertarido aus dem Exil zurückkehrt und sich seiner Frau nach einigen Prüfungen zu erkennen gibt, lässt Grimoaldo ihn in den Kerker werfen. Eduige will ihrem Bruder helfen und gibt Unulfo den Schlüssel zum Gefängnis. Bertarido wird befreit. Mittlerweile plant Garibaldo, Grimoaldo hinterrücks zu ermorden. In letzter Minute kann Bertarido das Attentat verhindern und Garibaldo töten. Aus Dankbarkeit verzichtet Grimoaldo zugunsten Bertaridos auf Rodelinda und den Thron und willigt ein, nun doch Bertaridos Schwester Eduige zu heiraten und mit ihr nach Pavia zu gehen. Bertarido ist wieder glücklich als König mit seiner Gattin und seinem Sohn vereint.

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Grimoaldo (Thomas Cooley) mit magischen Kräften

Während Regisseur Dorian Dreher beim musikalischen Vorspiel die Figurenkonstellation in einer Art Pantomimenspiel von den Solistinnen und Solisten gut nachvollziehbar herausstellt, hat man zunächst den Eindruck, dass Dreher der Geschichte relativ librettonah folgen werde. Der Palast von Mailand ist im Bühnenbild von Hsuan Hung ein hoher Raum mit zwei riesigen doppelten Flügeltüren auf der rechten und linken Bühnenseite und einer riesigen leeren Urne, die als Grabmal auf dem Kamin in der Mitte des Raums steht. Auch dass Rodelinda wie Penelope an einem Leichentuch webt, das immer wieder aufgelöst wird, um die Heirat mit Grimoaldo hinauszuzögern, lässt sich noch irgendwie nachvollziehen. Wieso Grimoaldo allerdings mit magischen Kräften wie ein Strippenzieher fungieren soll, bleibt völlig unklar. Durch einen Lichtwechsel manipuliert er plötzlich das Handeln der anderen Figuren, obwohl es doch eigentlich Garibaldo ist, der Grimoaldo beeinflusst. Während dieser Ansatz im ersten Akt noch relativ subtil angedeutet wird - so setzt beispielsweise Grimoaldo das Leichentuch mit einer bloßen Handbewegung in Brand -, führt diese Idee ab der Mitte des zweiten Aktes zur vollständigen Verwirrung. Aus dem Palast scheint mittlerweile ein Museum mit zahlreichen Gemälden an den  Wänden geworden zu sein. Einzig der Kamin in der Mitte des Raums ist geblieben. Beim Wiedersehen zwischen Rodelinda und Bertarido durchbricht Grimoaldo die Wand mit einer riesigen grauen Figur, die an das Hinterteil eines Nilpferds erinnert, dessen Schwanz in einer Art Waffe endet, und lässt Rodelinda und Bertarido wie Marionetten agieren.

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Eduige (Franziska Gottwald) findet ihren Bruder Bertarido (Christopher Lowrey).

Im dritten Akt sind auch die Wände des Palastes verschwunden, und man sieht die Bühne mit zahlreichen aufgestapelten Requisiten im Hintergrund. Grimoaldo beobachtet das ganze Geschehen von der grauen Figur aus und lässt dabei ein überdimensionales Schwert, einen riesigen Gefängnisschlüssel und auch ein Szepter aus dem Schnürboden gewissermaßen tanzen. Hat er selbst dafür gesorgt, dass Eduige Unulfo den Schlüssel gibt, um Bertarido aus dem Gefängnis zu befreien? Wenn Bertarido anschließend auf Rodelinda trifft und die beiden sich nicht nur in die Arme schließen, sondern regelrecht übereinander herfallen, was die Musik übrigens mit keinem Takt hergibt, beobachtet Grimoaldo die Szene durch ein Fernrohr wie ein Voyeur, bevor er wieder wie ein Magier eingreift und die Bewegungen der beiden zu steuern scheint. Völlig unklar bleibt auch, wieso Rodelinda wie ein Monsterwesen aus der Muppet-Show auftritt, wenn Grimoaldo sich schlafen legt. Nachdem Bertarido den Rivalen vor dem Anschlag Garibaldos gerettet hat, scheinen die magischen Kräfte auf ihn überzugehen. So lässt er mit einem Fingerschnipsen den toten Garibaldo wieder auferstehen. Vor einem weißen Vorhang wechseln dann alle Figuren zur Feier des Tages die Kleider und tragen nun einen schwarzen Frack. Flavio bleibt beim Schlusschor zurück, während man hinter dem weißen Vorhang schon ein Feuer sieht, das nichts Gutes zu verheißen hat. In der Tat steht hier Garibaldo als Mephisto mit einer Fackel auf einem riesigen Bücherberg. Was das nun zu bedeuten hat?

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Anna Dennis als Rodelinda

Während die Regie das Publikum an diesem Abend eher ratlos zurücklässt, bleiben musikalisch keine Wünsche offen. Laurence Cummings beweist mit dem FestspielOrchester, dass Händels Musik hier in den besten Händen ist. Mit absoluter Präzision werden die unterschiedlichen Stimmungen auch mit Tempo-Variationen herausgearbeitet und lassen nachvollziehen, wieso dieses Werk bei der Uraufführung vom Publikum so gefeiert worden ist. Hinzu kommt eine großartige Solisten-Riege, allen voran Anna Dennis in der Titelpartie und Christopher Lowrey als Bertarido. Dennis' flexibler Sopran lotet die unterschiedlichen Gefühle der Königin bewegend aus. So begeistert sie im ersten Akt zunächst mit furiosen Koloraturen und großer Entschlossenheit, wenn sie sich dem Werben Grimoaldos verweigert. Am vermeintlichen Grab ihres Gatten zeigt sie sich absolut verletzlich und klagt mit weichen Bögen ihr Leid, bevor sie wieder mit halsbrecherischen Koloraturen den intriganten Garibaldo in seine Schranken weist. Besonders hervorzuheben ist auch ihre große Klage-Arie im dritten Akt, "Ahi perché, giusto ciel", die Händel erst für die Wiederaufnahme der Oper eingefügt hatte. Rodelinda findet im Kerker Blut und glaubt, dass das Todesurteil an ihrem Gatten schon vollstreckt sei. Mit großer Verletzlichkeit und weich angesetzten Höhen geht Dennis' Interpretation der Trauer unter die Haut.

Lowrey verfügt über einen virilen, kraftvollen Countertenor, der in den Höhen enorme Strahlkraft besitzt. Auch für Bertarido hat Händel in der zweiten Aufführungsserie eine Arie am Ende des dritten Aktes eingefügt, die nicht nur mit hochvirtuosen Koloraturen gespickt ist, sondern auch einen der längsten Sologesänge der Oper darstellt. Lowrey begeistert dabei mit absolut flexibler Stimmführung und singt die Koloraturen grandios aus, wenn er seinem Rivalen Grimoaldo, dem er gerade das Leben gerettet hat, an den Kopf schleudert, dass er leben solle und ihn, Bertarido, ja jetzt hinrichten könne. Die Begeisterung für diese Arie wird auch in die Inszenierung übernommen, da die anderen Protagonisten, wie das Publikum, Bertarido für diesen Heldenmut Applaus spenden. So erschließt es sich auch inhaltlich, dass Grimoaldo nun bereit ist, auf Rodelinda und den Thron zu verzichten. Als dritte Nummer wird in dieser Produktion das Schluss-Duett zwischen Rodelinda und Bertarido in die Uraufführungsfassung eingefügt, das ebenfalls erst für die Wiederaufnahme entstand. Hier feiern kurz vor dem Schluss-Chor Rodelinda und Bertarido ihr wiedergefundenes Glück, wobei Dennis' Sopran und Lowreys Counter wie schon beim Abschieds-Duett im zweiten Akt wunderbar zueinander finden.

Thomas Cooley stattet den Rivalen Grimoaldo mit kräftigem Tenor aus und überzeugt auch darstellerisch, selbst wenn man nicht versteht, wieso Dreher der Figur magische Kräfte verleiht. Franziska Gottwald punktet mit dunklem Mezzosopran und intensivem Spiel. Julien Van Mellaerts verleiht der Figur des Garibaldo etwas Diabolisches und überzeugt mit dunklem Bariton als absoluter Bösewicht des Abends. Owen Willetts verfügt als Unulfo über einen weichen und höhensicheren Countertenor und punktet mit ausdrucksstarkem Minenspiel. So gibt es für alle Beteiligten am Ende großen Jubel.

FAZIT

Musikalisch ist dieser Abend des großen Jubiläums der Festspiele absolut würdig. Szenisch bleibt einiges unklar.

Weitere Rezensionen zu den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen 2021

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Laurence Cummings

Regie
Dorian Dreher

Bühnenbild und Kostüme
Hsuan Huang

Licht
Markus Piccio



FestspielOrchester Göttingen

 

Solisten

Rodelinda
Anna Dennis

Bertarido
Christopher Lowrey

Grimoaldo
Thomas Cooley

Eduige
Franziska Gottwald

Garibaldo
Julian Van Mellaerts

Unulfo
Owen Willetts

Flavio (stumme Rolle)
Finn Geiges /
Kalle Gellert

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Händel-Festspiele Göttingen
(Homepage)



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