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Die Farben der Moderne
Von Stefan Schmöe / Fotos: Peter Wieler
Neuere Musik hat Alfred Brendel in seiner Karriere vergleichsweise selten gespielt. "Andere können das besser", wird er in der digitalen Einführung zu diesem Konzert zitiert, um gleich seine Bewunderung für Pierre-Laurent Aimard nachzuschieben, einen ausgewiesenen Spezialisten für die Moderne. 28 Konzerte hat Brendel selbst im Rahmen des Festivals gespielt, bevor er sich vom Konzertpodium verabschiedet hat; danach war er noch mit Vorträgen und Lesungen präsent. In diesem Jahr ist er 90 Jahre alt geworden, bereits im Januar diesen Jahres, als das Kulturleben still stand. So kann das Klavier-Festival Ruhr erst jetzt den Jubilar mit fünf Konzerten ehren. Den Auftakt macht der gelobte Pierre-Laurent Aimard, der den Altmeister damit zahlenmäßig überholt, denn laut Programmheft ist es für ihn bereits der 29. Auftritt in diesem Rahmen. Und er hat ein Programm ausgewählt, das eben jene neue Musik exemplarisch vorstellt, dabei viele persönliche Bezüge zu Brendel und Aimard (der Schüler von Messiaens Ehefrau Yvonne Loriod war) aufweist.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Im ersten Teil stellt er Kompositionen von György Kurtág (*1926) und Marc André (*1964) gegenüber. Der Ungar Kurtág hat seit 1973 eine Fülle von kurzen Klavierwerken, kleine Charakterstücke, komponiert und unter dem Titel Játékok (Spiele) in bisher neun Bänden veröffentlicht. In der Tradition von Béla Bartóks Mikrokosmos hat Kurtág einen pädagogischen Zyklus entworfen, der an die moderne Klaviermusik in doppelter Hinsicht heranführt: Als eine Schule des Klavierspielens wie des Hörens. Dabei löst Kurtág sich vorsichtig von der klassischen Notation, führt neue Symbole ein, die neuen Spieltechniken entsprechen (etwa verschiedene Formen von Clustern, aber auch der Erzeugung von Obertönen. Das spielerische Element hat dabei entscheidende Bedeutung. Die Miniaturdramen haben oft viel Witz. Aimard spielt mit der erforderlichen Härte, romantisiert nichts, lotet die Klangwelten aus und bringt da, wo es erforderlich ist, ganz nebenbei das rechte Maß an Melancholie ein.
In diesem Kontext wirkt die fast vollständig auf Geräusche reduzierte, extrem ausgedünnte Komposition iv 11 von Mark André, etwa sieben Minuten lang, bei der regulär angeschlagene Töne die seltene Ausnahme sind zwischen Klopfen und dem reinen Schlaggeräusch der Tasten, wie eine extreme Zuspitzung. In der zweiten Komposition Andrés, Contrapunctus (etwa sechs Minuten lang), bleibt es zunächst bei konventionellen Spieltechniken, allerdings in allerhöchster und allertiefster Lage gleichzeitig mit gelegentlichen Zwischentönen in der Mittellage, bevor die Musik sozusagen über die äußersten Tasten und damit den gewohnten Tonraum hinausdrängt und sich letztlich im Geräuschhaften verliert. Aimard bewältigt die ungewohnten Anforderungen mit höchster Souveränität.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Olivier Messiaen hat immer wieder Vogelstimmen notiert und in seine Kompositionen einfließen lassen - im Falle des Catalogue d´Oiseaux (Katalog der Vogelstimmen) sie sogar explizit zur Hauptangelegenheit erklärt. Der unglaublich akkurat ausgearbeitete und auf das Klavier übertragene Gesang der Vögel könnte bei Andrés Contrapunctus mit ähnlich flirrenden Figuren einen Widerhall gefunden haben - so zeigt das klug zusammengestellte, gleichzeitig sehr fordernde Programm etliche Querverbindungen zwischen den aufgeführten Werken. Aus dem Catalogue hat Aimard zwei Stücke ausgewählt. Hinreißend gelingt die Zeichnung der Klangfarben, die Alouette calandrelle (Kurzzehenlerche) tiriliert in einer Weise, die das Klavier trocken und doch leuchtend wie ein Xylophon erklingen lässt. Und die Merle bleu (Blaumerle) muss sich in gefährlicher Umgebung an der Felsenküste der Côte Vermeille ziemlich selbstbewusst und kraftvoll behaupten ("Die Steilküste ist schrecklich", schrieb Messiaen über das Stück). Aimard trennt analytisch scharf die Sphären, setzt die Register hart nebeneinander, und verliert doch nichts von der magischen Sinnlichkeit dieser Musik.
Blumen für Alfred Brendel von Franz Xaver Ohnesorg, dem Intendanten des Klavier-Festival Ruhr (Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr)
Zwei Franzosen, zwei Ungarn: Nach Kurtág, André und Messiaen bilden drei Etüden von György Ligeti den Abschluss des Konzerts. Auch hier ganz eigene Klangwelten, wieder die Bewegung in die extremen Lagen, die eine Klammer für dieses Programm bildet. Auch hier besticht Aimard durch Sachlichkeit, die zu einer großen Klarheit führt, bei gleichzeitig großer Sensibilität. Der innere drive etwa bei Fém (Metall, fast ein wenig jazzig, lässt die Komposition vibrieren. Und Aimard gelingt es, mit den ersten Tönen sofort den sehr unterschiedlichen Charakter der ausgewählten vier Etüden zu verdeutlichen.
Als Zugabe hält Aimard, eine besondere Pointe, zwei Uraufführungen parat: Zwei weitere kurze Werke György Kurtágs, die hier erstmals öffentlich erklingen. Nicht nur deshalb ein in jeder Hinsicht würdiges Geburtstagskonzert.
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Klavier-Festival Ruhr 2021 Robert-Schumann-Saal im Kunstpalast, Düsseldorf 20. September 2021 AusführendePierre-Laurent Aimard, KlavierProgrammGyörgy Kurtág (*1926)aus: Játékok: Für Dóra Antals Geburtstag (1. Fassung 1990) All'ongherese (1996) Johan van der Keuken in memoriam (2001) Kedves Kett(d)ö an Márta, die Achtzigjährige (2007) Zweiter rein persönlicher Brief an den 85-jährigen András Szöllösy (2006) ... Erinnerungen, kleine Zinnsoldaten... (2000) Stilles Zwiegespräch (2000) Hommage à Georg Kröll 70 (2004) Marc Andre (*1964) iv 11 a (2011, rev. 2016) iv 11 b (2011, rev. 2016) iv 11 c (2013, rev. 2016) György Kurtág (*1926) aus Játékok: Geburtstaggruß für Georg Kröll In Memoriam Emil Petrovics Dialog ... für Heinz... Draft-sheet (unshaped-rough) for Tünde Szitha ... yet another letter to Péter Eötvös ... ... le chien ... Window to the corridor for Márta ... wie soll ich ... Passio sine nomine Ligatura für Márta Spiel mit dem Unendlichen Marc Andre (*1964) Contrapunctus (1998/99) Olivier Messiaen (1908 - 1992) aus Catalogue d’oiseaux: L'Alouette calandrelle (Die Kurzzehenlerche) Le Merle bleu (Die Blaumerle) György Ligeti (1923 - 2006) aus Études pour piano: Nr. 8: Fém Nr. 2: Cordes à vide Nr. 4: Fanfares Nr. 6: Automne à Varsovie Zugaben: György Kurtág Impromptu Johann 27 (Uraufführung) ...csak úgy ... (Uraufführung) Klavierfestival Ruhr 2021 - unsere Rezensionen im Überblick
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