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Nachlassende Risikobereitschaft
Von Stefan Schmöe / Fotos: Peter Wieler
es-Moll: Franz Schubert komponierte 1828 kurz vor seinem Tod drei Klavierstücke in der Nachfolge der erfolgreichen Impromptus und Moments Musicaux, die aber erst 40 Jahre später veröffentlicht wurden, als sich Johannes Brahms ihrer annahm. Bei dem ersten davon, ursprünglich als fünfteiliges Rondo konzipiert, strich Schubert kurzentschlossen den zweiten Mittelteil, sodass das etwa 10-minütige Werk nun in dreiteiliger A-B-A-Form daherkommt. Igor Levit beginnt das Allegro Assai wie aus dem Nichts, als würde jemand den Lautstärkeregler hochdrehen. Dadurch geht freilich das auftaktige, markante punktierte Hauptmotiv ein wenig unter. Das ist vielleicht so gewollt, da Levit die Begleitstimme hervorhebt: Ein hypernervöses, fiebriges Raunen. Oder war der Beginn auch einfach ein wenig missglückt, allzu verhuscht geraten? Levit wählt ein sehr drängendes Tempo, legt dafür den langsamen Mittelteil recht statisch an. Für meinen Geschmack war der Kontrast allzu demonstrativ, zu wenig organisch, aber auch das kann natürlich Plan sein. Wie er allerdings die Klangfarben ausspielt, die Binnenspannung hält, die Arpeggien und Vorschläge vor biedermeierlicher Gediegenheit bewahrt, das ist superb.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Es-Dur: Beethovens 3. Symphonie, die Eroica, beginnt mit zwei Akkorden, die wie Peitschenhiebe klarmachen, dass es sich hier um eine ernste Angelegenheit handelt. Levit setzt sie durch eine Zäsur vom nachfolgenden Hauptthema ab, die - sicher auch Geschmackssache - eine Spur zu lang gerät, so dass es klingt, als wolle er um Ruhe bitten: Aufpassen, jetzt geht es los. Kleinigkeiten vielleicht, aber der Eindruck aus anderen Konzerten Levits, dass sich jede Phrase mit zwingender Logik aus der vorangegangen ergibt, stellte sich bei mir an diesem Abend nicht immer ein. Wobei Levit den Kopfsatz der Symphonie dann doch sehr überzeugend entwickelt, und die Klavierfassung von Franz Liszt ganz eigenen Charme beweist und in vielen Momenten nicht nur das Orchester vergessen lässt, sondern nach einem originären Klavierwerk klingt (na ja, für die plötzlichen Attacken in der Coda wünscht man sich doch das Blech).
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Ein paar Fehler waren Levit schon zuvor unterlaufen, aber in den ersten Takten des Scherzo griff er so kräftig daneben, dass er abbrach und den Satz noch einmal neu begann. Kann passieren, das ist live, und auch solche Momente haben wir im Lockdown schmerzlich vermisst - lebendige Musik, die aus dem Moment heraus entsteht, nicht immer perfekt, aber auf die Situation reagierend. So recht in die Spur zurück fand Levit aber nicht mehr, auch die Wiederholung geriet ein wenig heikel, und fortan schaltete Levit in eine Art Sicherheitsmodus - alles ein wenig unschärfer, viel Akkorddonner, eben so, dass es auf den einen oder anderen Ton nicht so ankam. Die "romantische" Akustik der Wuppertaler Stadthalle mit recht langem Nachhall tut da ihr Übriges, hüllt den Pianisten gnädig ein. Man kann mit Klarheit dagegen anspielen. Levit mochte nicht. Sicher, er brachte den Satz souverän zum Ende, aber die Transparenz war dahin. Die fand er auch im Finale nicht vollständig wieder. Immerhin: Den Bruch, den ich sonst fast immer empfinde, der ist in der Klavierfassung nicht da. Levit baut den Satz raffiniert auf, als werde da ein Geheimnis nach und nach enthüllt. Aber die virtuosen Passagen geraten auch hier breiig, unklar, verlieren sich im virtuosen Irgendwie. Beethoven, der nach Liszt klingt (und damit Liszt Unrecht tut).
Der Patzer hing Levit nach, soweit seine (leider an meinem Platz nur bruchstückhaft zu verstehende) Worte vor der Zugabe: Offenbar war er drauf und dran, das Scherzo nochmal zu spielen. Er entschied sich dann doch für einen Walzer aus Tänze der Puppen von Dmitri Schostakowitsch, einem Zyklus für Kinder und Jugendliche - gemessen an Levits Repertoire technisch aufreizend schlicht. Bloß kein weiteres Risiko bei schwülwarmem Wetter? Aufreizend freilich auch die lässige, pointierte, ja: hinreißende Art, wie Levit diese Kinderszene interpretiert.
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Klavier-Festival Ruhr 2021 Historische Stadthalle, Wuppertal 28. Juni 2021 AusführendeIgor Levit, KlavierProgrammFranz SchubertKlavierstück es-Moll D 946 Nr. 1 Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 3 Es-Dur op.55 "Eroica" (Transkkription für Klavier: Franz Liszt) Zugabe: Dmitri Schostakowitsch: Walzer-Scherzo aus: Tänze der Puppen Klavierfestival Ruhr 2021 - unsere Rezensionen im Überblick
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