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Zwei kurzweilige Einakter eines vergessenen KomponistenVon Thomas Molke / Fotos: © Brigitte Clemens (für die Neuburger Kammeroper)
Nicolas-Marie Dalayrac oder auch d'Alayrac reiht sich in die Riege der
Komponisten ein, die in kaum einem Opernführer erwähnt werden. Schon Hector
Berlioz bedauerte in seinen 1870 veröffentlichten Memoiren, dass dieser Musiker,
dessen Melodien er als Knabe sehr geliebt habe, völlig in Vergessenheit geraten
sei. Dabei war Dalayrac mit seinen über 50 Bühnenwerken, die er ab 1782
größtenteils für das Théâtre Italien in Paris komponierte, äußerst produktiv und
zählte zu den Lieblingskomponisten Napoleons I. Zum 5. Jahrestag der
Kaiserkrönung Napoleons sollte eigentlich am 2. Dezember 1809 eine Oper von ihm
gespielt werden. Doch Dalayrac erkrankte und verstarb im November 1809. Von
diesem Zeitpunkt an verlor man das Interesse an seinen Werken. Horst und Annette
Vladar, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, für die Neuburger Kammeroper
Opern ausfindig zu machen, die sonst nirgends zu erleben sind, haben nun aus dem
umfangreichen Schaffen Dalayracs zwei Operneinakter ausgewählt und eine deutsche
Übersetzung erarbeitet. So ist mit Blick auf den Umfang des Programms wieder alles so wie vor
Corona. Allerdings gelten die gleichen Einschränkungen wie im Vorjahr, als die
Neuburger Kammeroper als eines der ganz wenigen Festivals überhaupt gespielt
hat. So dürfen weiterhin nur knapp 70 Karten vergeben werden, und die Besucher
müssen in festen Zeit-Slots ihre Plätze aufsuchen. Mit Blick auf diese
großartige Produktion stimmt es schon ein wenig traurig, dass nur insgesamt so
wenige Besucherinnen und Besucher in einen Live-Genuss kommen, aber dafür soll es
zumindest ein einmaliges Streaming am 30 Juli 2021 geben. Elise (Da-yung Cho, links) und Constance (Denise Felsecker, rechts) beraten, wie sie dem Onkel die heimliche Heirat erklären können. Den Anfang macht der am 20. März 1804 in Paris uraufgeführte Operneinakter Eine Stunde verheiratet (Une heure de mariage). Die "Stunde" in der Übersetzung und im Originaltitel ist dabei ein wenig verwirrend. Germeuil hat seine Elise nämlich bereits einen Tag zuvor geheiratet und überlegt nun mit der gemeinsamen Freundin Constance, wie er dies seinem Onkel De Marcé beibringen soll. Dieser will ihm nämlich sein Vermögen nur hinterlassen, wenn er Constance heiratet, deren Vater De Marcés bester Freund war. Constance wiederum hat ganz andere Pläne. Sie hat sich in Paris nämlich in Saint-Ange verliebt, der wiederum ein alter Regimentskamerad Germeuils ist. Als Constance Germeuil vorschlägt, sie um des lieben Friedens willen dem Onkel als seine frisch angetraute Gattin vorzustellen, damit er nicht enterbt wird, taucht Saint-Ange auf dem Landgut auf und fühlt sich von seiner ehemaligen Geliebten verraten. Sofort beginnt er, Elise den Hof zu machen, was Germeuil wiederum mit Eifersucht erfüllt. Nach kurzem Ehekrach versöhnen sich Elise und Germeuil, wobei die beiden vom Onkel überrascht werden. Sofort will er Elise aus dem Haus jagen. Als er dann Germeuils vermeintliche Ehefrau Constance in den Armen Saint-Anges vorfindet, verliert er den Glauben an die Welt. Da beichten ihm die beiden Paare die Wahrheit, und es kommt zur großen Versöhnung. De Marcé (Michael Hoffmann) hat genaue Vorstellungen, wen sein Neffe heiraten soll. Horst Vladar vertraut in seiner Inszenierung auf die Komik der Vorlage und den Spielwitz seines Ensembles und bleibt der Vorlage in jeder Hinsicht treu. Michele Lorenzini deutet das Landhaus des Onkels mit wenigen Bühnenelementen und einem Prospekt im Hintergrund an, das eine pittoreske Landidylle zeigt. Über den Torbögen prangen Geweihe, die die Jagdlust des Onkels unterstreichen. Die opulenten Kostüme passen wunderbar in die Zeit, in der die Geschichte spielt. Michael Hoffmann gestaltet den Onkel De Marcé mit viel Humor. Mit großer Komik spielt er die angeblichen Leiden des alten Mannes aus, der davon ausgeht, bald sterben zu müssen, ohne dass es irgendwelche wirklichen Anzeichen dafür gibt. Da er ständig zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort auftaucht, gefährdet er den Plan der jungen Leute. Da-yung Cho und Lawrence Halksworth geben ihr Debüt an der Neuburger Kammeroper als frisch verheiratetes Ehepaar Elise und Germeuil. Cho begeistert mit mädchenhaftem, unschuldigem Spiel und leuchtendem Sopran, der in den Höhen glasklar strahlt. Halksworth verfügt in der Mittellage über einen kräftigen Tenor und spielt den jungen Ehemann mit großer Leidenschaft. Denise Felsecker stattet Elises Freundin Constance mit einem satten Mezzosopran aus und gefällt mit kokettem Spiel. Sie zeigt sich zunächst sehr siegessicher, bis plötzlich Saint-Ange auftaucht. Goran Cah verleiht dem Schwerenöter mit sauber ausgesungenen Höhen den tenoralen Schmelz, den die Rolle braucht. Herrlich streitet er sich mit Felsecker, wenn sie sich beide für untreu halten, und mit großem spielerischen Charme versucht er sofort sein Glück bei Elise, die ihn jedoch brüsk abweist. Im Ohr bleibt vor allem das Finale, das vom Ensemble gut umgesetzt wird. Zum Ende werden drei Bilderrahmen aus dem Schnürboden herabgelassen, hinter denen sich die beiden Paare (rechts und links) und der Onkel (in der Mitte) als Portrait aufstellen. Mme. Dorval (Denise Felsecker, links) will ihr Haus verkaufen, damit ihre Nichte Jeanne (Da-yung Cho, rechts) eine ausreichende Mitgift erhält. Nach der Pause gibt es dann die vier Jahre zuvor uraufgeführte Opéra comique Haus zu verkaufen (Maison à vendre). Erzählt wird die Geschichte der Mme. Dorval, die ihr Haus auf dem Land in Bordeaux verkaufen will, um mit ihrer Nichte Jeanne nach Paris zu ziehen. Der Hausverkauf soll dabei eine angemessene Mitgift für ihre Nichte einbringen, die sich in den mittellosen Komponisten Dermont verliebt hat. Doch der Nachbar Ferville, der das Haus kaufen will, versucht den Preis zu drücken, so dass Mme. Dorval einen anderen Käufer sucht. Dieser scheint in Gestalt eines gewissen Versac aufzutauchen, den Mme. Dorval für einen einflussreichen Bankier hält. Dabei ist Versac aber nur der Neffe eines gutsituierten Bankkaufmanns und als Poet genauso mittellos wie sein Freund Dermont. Dennoch verspricht er Mme. Dorval, das Haus für 60.000 Francs zu kaufen. Während sie den Vertrag aufsetzt, überlegt sich Versac eine List. Dem Nachbarn erzählt er, welche baulichen Veränderungen er alles vornehmen werde, was den Nachbarn immer unruhiger macht, da dies den Wert seines eigenen Besitzes schmälern würde. Schließlich ist der Nachbar so verzweifelt, dass er bereit ist, Versac das Haus abzukaufen, um die baulichen Eingriffe zu verhindern. Versac fordert 80.000 Francs und erhält somit die 60.000 Francs, die er Mme. Dorval für das Haus schuldet. Gleichzeitig besänftigt er sie mit den 20.000 Francs, die er ihr als Jeannes Mitgift gibt, damit diese ihren Dermont heiraten kann. Der pfiffige Poet Versac (Goran Cah, links) überlistet den geizigen Nachbarn Ferville (Horst Vladar, rechts). Im zweiten Einakter tauschen Michael Hoffmann und Horst Vladar gewissermaßen die Rollen. Während Vladar den geizigen Nachbarn mimt, übernimmt Hoffmann die Regie und beweist ein ebenso gutes Händchen wie Vladar im ersten Einakter. Das Haus, das verkauft werden soll, wird auf der linken Bühnenseite durch ein Holzgerüst angedeutet, das mit grünem Tüll bedeckt ist. Im Hintergrund sieht man die ländliche Idylle auf einem Prospekt. Da-yung Cho und Lawrence Halksworth übernehmen erneut das Liebespaar. Wie im ersten Teil punktet Cho mit strahlendem Sopran und lieblichem Spiel. Im Ohr bleibt vor allem ein Duett zwischen dem Komponisten Dermont und dem Dichter Versac. Goran Cah stattet den geschäftstüchtigen Dichter mit höhensicherem Tenor aus und überzeugt durch humorvolles Spiel. Da schadet es auch nicht, dass er Mme. Dorval zunächst einen Brief seines Onkels übergibt, in dem dieser droht, ihn zu enterben, wenn er sich nicht einen "vernünftigen" Beruf suchen werde. Doch das Glück ist ihm hold, und so schafft er es das Haus zu kaufen und weiterzuverkaufen, ohne auch nur je einen Franc in der Tasche zu haben. Denise Felsecker stattet die Mme. Dorval mit vollem Mezzosopran aus, so dass es auch am Ende des zweiten Einakters großen Beifall für alle Beteiligten gibt, gefolgt von einem Dank der Stadt Neuburg an Horst und Annette Vladar für ihren unermüdlichen Einsatz, diese Aufführung trotz der immer noch geltenden Corona-Auflagen möglich gemacht zu haben.
FAZIT Sieht man über die Corona-bedingten Lücken im Zuschauerraum hinweg, könnte man sagen, dass in Neuburg eigentlich alles wieder genauso schön wie vor Corona ist. Die wenigen Zuschauer geben sich Mühe, mit dem Applaus einen vollen Saal zu simulieren, den die Aufführung auf jeden Fall verdient hätte.
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ProduktionsteamMusikalische LeitungAlois Rottenaicher Bühnenbild
Mitglieder des Akademischen
Eine Stunde verheiratet
Inszenierung SolistenDe Marcé, Onkel von Germeuil
Germeuil, Mann von Elise
Saint-Ange, sein Freund
Elise, Frau von Germeuil Constance,
ihre Freundin
Haus zu verkaufen
Inszenierung Solisten
Mme. Dorval Jeanne, ihre Nichte Ferville, Nachbar Versac, Dichter Dermont, Komponist
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- Fine -