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Wo der Abfuck schillertvon Stefan Schmöe / Fotos © Volker Beushausen / Ruhrtriennale 2021
2010 gab die Berliner Galerie Max Hetzer ein Büchlein heraus, 36 Seiten dünn, mit 13 abstrakten Litographien von Albert Oehler und 14 (andere Quellen nennen 17) Texten von Rainald Goetz. Der Titel: D.I.E. abstrakte Realität. Goetz bezeichnet seine gedichtartigen Aneinanderreihungen einzelner Wörter "Wenig-Wort-Texte", die eher selten konkrete Assoziationen aufkommen, oft dafür ein leicht verschobenes Metrum oder Reimschema anklingen lassen. müsste / küste / Iust / kurort heißt es da einmal mit Hingabe an den Wortklang, während sich der Vierzeiler auf auf die / in auf der / die in auf / auf die auf irgendwo zwischen Dada und mathematischer Struktur zu verlieren scheint und konstruktor verlassung / der ölbaron schwieg vielleicht doch etwas erzählen möchte, aber dann doch nicht tut. Schon der Titel lässt sich nicht wirklich deuten; bleibt in der Vielfalt möglicher Bedeutungen unbestimmt - ein Spiel mit Sprache, das Oehlen durch ein Spiel mit Formen und Linien ergänzt. Ein Kritiker sprach seinerzeit von "Pingpong mit Wort und Bild". Man möge uns nachsehen, dass uns das in winziger Auflage erschienene Werk nicht vorliegt; die Texte sind im Triennale-Programmzettel abgedruckt. Jedenfalls, so scheint´s, ein Kammerspiel. Die Ruhrtriennale macht jetzt ganz große Oper daraus. Oder versucht es zumindest.
Der Komponist: Michael Wertmüller (*1966). In guter Operntradition hat er eine Musik geschrieben, bei der man praktisch kein Wort mehr versteht, sodass man die Goetz-Sphäre eigentlich ignorieren kann oder als ominösen "Subtext" (man hat ihn vor der Aufführung schnell überflogen) mitdenkt; selbst wenn man einzelne Wörter wahrnimmt, die ja ohnehin schon wenig "Sinn" ergeben, dann sind es eben - Wörter. Die Besetzung: Drei Opernsängerinnen (zwei Soprane und ein Mezzo - Caroline Melzer, Sarah Pagin und Christina Delatska singen sich großartig durch alle Melismen und Koloraturen hindurch, die entfernt an das gewohnte Repertoire erinnern). Eine Sprecherin, die mitunter auch singt und mit akrobatischen Einlagen glänzt, dabei als "Conferencière" bezeichnet wird (in allen Bereichen beeindruckend: Sylvie Rohrer). Eine junge Frau namens Catnapp, die wie ein DJ agiert, ab und zu Klänge zwischen Sprache, Gesang und Elektronik beisteuert, was mit "Vocals" nur halb zutreffend beschrieben ist. Ein Streichquartett (das Asasello Quartett macht wohl das, was vom Komponisten verlangt wird), das manchmal unterbeschäftigt wirkt. Ein fulminant aufspielendes Trio namens Steamboat Switzerland in der eher ungewöhnlichen Besetzung Hammondorgel, Bass und Drums, erweitert um die ausgezeichnete Schlagzeugerin Camille Emaille. Eine dreiköpfige Garage-Punk-Band namens Jealous, laut Programm aus Israel, aber vielleicht auch aus Berlin, egal, deren Frontfrauen hochkonzentriert unglaublich böse und unglaublich sexy dreinschauen, während der Drummer teilnahmslos auf sein Instrument eindrischt, und das alles wirkt noch viel deplatzierter als das Streichquartett.
Wertmüllers Musik lässt letztendlich jedem das, was er stilistisch üblicherweise so spielt, wobei das Streichquartett zwar hin und wieder ein paar Anklänge an das Repertoire einmischt, ansonsten aber unbestimmt "moderne" Streichmusik streicht. Jealous gibt sich hart, Steamboat Switzerland sehr vielseitig. Und Wertmüller bekommt es hin, dass die verschiedenen Stile sich doch ganz nett verschmelzen, was jedenfalls eine gewisse Zeit ganz spannend ist, mit den einkomponierten Spannungsbögen aber so gerade eben über die 90 Minuten Spieldauer trägt - es erschöpft sich dann doch irgendwann. Die Ohrstöpsel, die man beim Einlass vorsorglich erhalten hat, benötigt man nicht, der ganz große Lautstärkeschock bleibt aus. Nach welchen Prinzipien Wertmüller die Musikpartikel verbindet oder neudeutsch "morpht" (also fließende Übergänge durch Verschmelzen gestaltet), nach welchen Regeln er die "Parameter" des Musiktheaters steuert, das erschließt sich bei dieser Uraufführung nicht.
Das Publikum sitzt auf drehbaren Hockern in der Mitte der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord, einer riesigen Industriehalle,um den umsichtigen Dirigenten Titus Engel herum. Jealous und Steamboat Switzerland sind auf den gegenüberliegenden Kopfseiten platziert, das Streichquartett und die Vocals entsprechend an den Längsseiten, Sängerinnen und Conferencière wandern außen herum. Das ist so eine Raumlösung, für die man die Ruhrtriennale lieben muss, die sich eben deutlich vom klassischen Konzert- und Theaterbetrieb unterscheidet. Man taucht ein in den Rundumklang und wird zum Teil des Geschehens. Die Atmosphäre ist ohnehin ziemlich anders, als man es aus den benachbarten Philharmonien gewohnt ist. "Im Verlauf des Abends wird die Kraftzentrale zum utopischen Nachtclub, wo der Abfuck schillert", heißt es im ob seiner Wortgewalt unbedingt lesenswerten Programmzettel. Ja, das trifft es durchaus, wenn man sich ein gewisses Maß an vielleicht gar nicht immer freiwilliger Ironie dazudenkt.
Auf dünne Vorhänge werden indes animierte Zeichnungen projiziert, die wohl aus Oehlens Litographien hervorgegangen sind. Ob und wie diese irgendwie mit der Musik interagieren, ist eigentlich egal. Uta Gruber-Ballehr hat den Sängerinnen eindrucksvolle skulpturale Kostüme entworfen. Es dominieren die Farben schwarz und rot. Irgendwann wird die Conferencière von ihrer eigenen, überdimensionalen Projektion verspeist. Handlung ist nicht zu erkennen. Vielmehr ist die Aufführung eine Art bewegte und klingende Installation, wobei der Besetzungszettel ganz konventionell von "Regie" spricht (die hat Anika Rutkofsky verantwortet).
Der Musiktheaterbegriff wird stilistisch wie technisch erweitert und doch gleichzeitig beschränkt. Das nach konventioneller Lesart zentrale theatralische Moment, nämlich auf einer Bühne einen Konflikt durchzuspielen, ist fast nicht mehr erkennbar. D.I.E. kann man auch sehen als technisch hochgerüstete Musiktheater-Show, sinnbefreit und genreüberschreitend, die man ganz hübsch auf sich wirken lassen kann, deren Nachwirkungen freilich homöopathisch gering bleiben. Das Durchdeklinieren aller denkbaren Parameter hatten wir sowieso schon längst, das Thema ist eigentlich vom Tisch, wie auch die Diskussion um das narrative Element als Bedingung für Theater. Ja, warum eigentlich nicht mal Garage Punk zum Streichquartett? Die Grenzen zwischen künstlerischer Notwendigkeit und Beliebigkeit bleiben freilich auch hier fließend.
Halb voll oder halb leer? Michael Wertmüllers Musiktheater ist neu und anders und irgendwie auch erlebenswert, aber allzu zu ernst nehmen muss man das dann auch nicht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Holografische Musikvisualisierung
Kostüme
Creative Coding
3-D-Animation
Sound Design, Elektronik
Licht
Dramaturgie
Solisten
Sopran
Mezzosopran
Conferencière
Vocals
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- Fine -