Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Ein Hoch auf die freie LiebeVon Thomas Molke / Fotos: © Fabio Salmeri (Aufführung von 2019) Manuel del Pópulo Vicente García zählte zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur zu den berühmtesten Tenören seiner Zeit und sang 1816 in der Uraufführung von Rossinis Il barbiere di Siviglia in Rom die Partie des Conte Almaviva mit so riesigem Erfolg, dass er sogar durchsetzen konnte, dass das Stück zunächst unter dem Titel Almaviva o sia L'inutile precauzione lief. Er ging auch als bedeutender spanischer Komponist in die Musikgeschichte ein, auch wenn sein Ruhm durch die Übermacht Rossinis schnell verblasste und in Vergessenheit geriet. Dabei soll Rossini Garcías kompositorische Fähigkeiten höher eingeschätzt haben als seine eigenen. Für den Barbiere übernahm er sogar für den Auftritt der Soldaten in Bartolos Haus eine Melodie, die aus Garcías wohl bedeutendster Opera buffa Il Califfo di Bagdad stammt, die drei Jahre zuvor in Neapel ihre Uraufführung erlebt hatte. Als Garcías Sänger-Karriere sich dem Ende neigte, betätigte er sich überwiegend als Gesangspädagoge in Paris. In diesem Rahmen entstanden mehrere Salonopern, die als Übung für seine Gesangsschüler gedacht waren und in privatem Rahmen aufgeführt wurden. Da bei Rossini in Wildbad mit der Akademie BelCanto vor allem auch der musikalische Nachwuchs gepflegt und gefördert wird, scheinen diese Salonopern für in der Regel vier Solisten und eine Klavierbegleitung für das Festival prädestiniert. Vor zwei Jahren hat Festspiel-Intendant Jochen Schönleber mit dem neuen Kooperationspartner in Krakau, dem Verein Passionart, eine Produktion der 1831 in Paris uraufgeführten Salonoper I tre gobbi erarbeitet, die als Gastspiel auch im Königlichen Kurtheater in Bad Wildbad zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). Nun hat er sie mit teilweise neuer Besetzung für das Luft- und Sonnenbad wieder aufgenommen. García ließ für die private Aufführung seiner Tre gobbi kein eigenes Libretto verfassen, sondern verwendete einen Text, den Carlo Goldoni 1749 für das Intermezzo La favola de' tre gobbi von Vincenzo Legrenzio Ciampi schrieb. Dieses Zwischenspiel erfreute sich am Teatro San Moisè in Venedig so großer Beliebtheit, dass es durch Antonio Groppo in eine Anthologie der besten venezianischen Luststücke aufgenommen wurde und einen regelrechten Siegeszug durch Europa antrat. Auch andere Komponisten vertonten das Libretto neu, unter anderem Georg Anton Benda. Erzählt wird die Geschichte der schönen, aber verschlagenen Bürgersfrau Madama Vezzosa, die von drei adeligen Herren umworben wird. Da ist zunächst der sehr reiche Marchese Parpagnacco, über dessen Buckel Madama Vezzosa wegen seines Reichtums gerne hinwegsieht. Auch der Barone Macacco macht der Dame den Hof. Wegen seines Stotterns und seines Äußeren kann Vezzosa aber auch ihn nur belächeln. Dritter im Bunde ist der Conte Bellavita, der trotz seines Buckels ein wahrer Kavalier zu sein scheint, im Gegenzug zu den anderen beiden allerdings die Großzügigkeit vermissen lässt. Nacheinander erscheinen die drei Herren bei Vezzosa und werden bei der Ankunft des nächsten in unterschiedlichen Zimmern versteckt, da Madama jeweils mit ihrem hitzköpfigen Bruder droht, der den Verehrer nicht in ihrer Nähe akzeptieren würde. Als sie schließlich die traute Zweisamkeit mit Bellavita genießt, kommen Parpagnacco und Macacco aus ihren Verstecken hervor, und der Betrug fliegt auf. Nach diversen Streitereien tritt Madama als verkleidete Dienerin Betta auf und verkündet im Namen ihrer Herrin die freie Liebe. So kann sie die drei Herren überzeugen, die Eifersucht zu verbannen und Madama gemeinsam zu lieben. Das Luft- und Sonnenbad, das seit vielen Jahren gemeinsam mit der 1870 erbauten Villa Rosa als denkmalgeschütztes Ensemble leersteht und ursprünglich als Ruheoase mit Liegewiese diente, bietet mit den zahlreichen Umkleidekabinen im Hintergrund und der runden offenen Kuppel auf der rechten Seite, eine wesentlich größere Spielfläche, als es vor zwei Jahren im Königlichen Kurtheater der Fall war, und hat Schönleber zu einigen Veränderungen seiner damaligen Inszenierung inspiriert. So gibt es mehr Möglichkeiten zum Versteckspiel für die einzelnen Verehrer der Madama, und die offene Kuppel kann als ganz neuer Raum für Entdeckungen des falschen Spiels der Bürgersfrau genutzt werden. Dass die Wege dabei auch wesentlich länger sind, fällt durch das frische und lebendige Spiel der vier Solisten nicht auf. In diesem Jahr begleitet Paolo Raffo die Aufführung am Klavier und übernimmt auch noch die stumme Rolle des Dieners der Madama, der zunächst mit einem Staubwedel zur Musik aus einem Kassettenrekorder die Bühne mehr schlecht als recht säubert. Dabei bietet er auch dem Publikum an, es abzustauben. Wenn er sich dann an den Flügel setzt, um die Ouvertüre zu beginnen, tritt Regisseur Jochen Schönleber mit einer großen Plastiktüte auf und verteilt unterschiedliche Requisiten auf der Bühne. Conte Bellavita (Patrick Kabongo) macht Madama Vezzosa (hier: Eleonora Bellocci) den Hof. (Foto von der Aufführung 2019 im Königlichen Kurtheater) Auf die titelgebenden Buckel (gobbi) wird größtenteils verzichtet. Dafür verleiht Schönleber den Figuren tierische Züge. Lorenzo Barbieri tritt als Marches Parpagnacco als alter Mann auf, der die Anzugsjacke zunächst verkehrt herum trägt, und behäbig wie ein Elefant oder Walross daherkommt. Der Reichtum ist zwar in Form von Ketten und Geldscheinen in den Anzugstaschen verborgen, quillt aber nicht wie vor zwei Jahren aus den Taschen heraus. Schönleber verleiht ihm als weiteren Makel einen sehr strengen Geruch, den die Madama bei seinen Annäherungsversuchen mit einer Dose Duftspray verzweifelt zu übertünchen versucht. Adina Vilichi agiert dabei mit großartiger Komik. Ihr verleiht Schönleber die Züge einer Schlange, die sie als Kette um den Hals trägt. Während diese beiden Partien in diesem Jahr neu besetzt sind, haben Emmanuel Franco und Patrick Kabongo den Barone Macocco und Conte Bellavita bereits vor zwei Jahren interpretiert. Franco hat sein Spiel als Affe noch perfektioniert und imitiert die Bewegungen mit großartiger Mimik. Kabongo unterstreicht die pantherhaften Züge seiner Figur und gestaltet den Conte als eitlen Gecken, der sich in schönen Posen gefällt. Die beiden Buckel, von denen im ersten Akt die Rede ist, beziehen sich weiterhin auf seine Bizeps. Als Makel ist er im Gegensatz zu den anderen beiden Verehrern nicht nur wenig spendabel, sondern zeigt auch noch kleptomane Züge, wenn er beispielsweise die Uhr, die er Madama schenkt, zuvor vom Klavier entwendet hat und selbst großes Gefallen an der Kette entwickelt, die Madama von Parpagnacco erhalten hat. Während vor zwei Jahren bei der Inszenierung nach der Pause, die es zumindest bei der besprochenen Aufführung im Luft- und Sonnenbad nicht gibt, körperlich einiges verändert hat und sowohl die Verehrer als auch Madama einen Buckel haben, wird in diesem Jahr darauf verzichtet. Auch gemahnen die Männer, nachdem sie sich miteinander verbündet haben, Madama nicht an ihre Aufgabe als devote Hausfrau, indem sie ihr ein Kehrblech und einen Handbesen überreichen, sondern begnügen sich damit, gebannt vor einem imaginären Fernseher zu sitzen und ein Fußballspiel oder vergleichbares "Männerprogramm" zu verfolgen, während Madama zunächst ein wenig frustriert das Treiben beobachtet, sich dann aber ihren Diener vom Klavier schnappt und mit ihm in den Umkleidekabinen verschwindet. Barone Macacco (Emmanuel Franco, rechts) mit Marchese Parpagnacco (hier Javier Povedano) (Foto von der Aufführung 2019 im Königlichen Kurtheater) Musikalisch lässt vor allem das Finale im ersten Akt aufhorchen. Hier meint man, Rossinis Genie in den schnellen Läufen heraushören zu können. Wie die zunächst ruhige Melodie im Finale des ersten Aktes "aus dem Ruder läuft", wenn die drei Verehrer erkennen, dass Madama sie an der Nase herumgeführt hat, und sie ihren Emotionen freien Lauf lassen, könnte in der Art auch von Rossini stammen. Wie schon vor zwei Jahren begeistern Emmanuel Franco und Patrick Kabongo nicht nur darstellerisch sondern auch musikalisch auf ganzer Linie. Franco punktet als Barone Macacco mit kräftigem Volumen in den Tiefen und in der Mittellage und baut das Stottern mit Perfektion in den Gesang ein. Kabongo stattet den Conte Bellavita mit einem geschmeidigen Tenor aus. Adina Vilichi besticht als listige Madama Vezzosa nicht nur durch überbordende Spielfreude sondern auch durch leuchtenden Sopran und flexible Läufe in den Koloraturen. Großartig gestaltet sie die Verwandlung in die angebliche Dienerin Betta, wenn sie als alte Hexe mit einem schwarzen Cape und einer roten Maske auftritt, um die Herren zu bewegen, ihre Eifersucht zu vergessen. In dieser Szene kann man wirklich nicht erkennen, dass es sich um Madama handelt. Lorenzo Barbieri verfügt als Marchese Parpagnacco über großes Buffo-Talent, legt die Partie aber viel älter und behäbiger an, als sie vor zwei Jahren zu erleben war. Musikalisch verfügt er über einen kräftigen Bassbariton. Paolo Raffo begeistert bei der Begleitung am Klavier und beweist auch in der Rolle des stummen Dieners großes komisches Talent. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten.
FAZIT Wie vor zwei Jahren bietet I tre gobbi bietet Unterhaltung pur und lässt am neuen Spielort die Geschichte noch einmal in einem etwas anderen Licht erscheinen.
Weitere Informationen zum
Festival Rossini in
Wildbad 2021 |
ProduktionsteamMusikalische Leitung / KlavierPaolo Raffo Regie, Bühnenbild Kostüme Licht
SolistenMadama Vezzosa Il conte Bellavita Il barone
Macacco Il marchese Parpagnacco
|
- Fine -