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Turbulentes VersteckspielVon Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer für Rossini in Wildbad Das Wetter meint es wirklich nicht gut mit dem Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad. Um das Festival in Zeiten der Corona-Pandemie mit einigem Planungsvorlauf überhaupt möglich zu machen, hatte Festspiel-Intendant Jochen Schönleber für alle Veranstaltungen Open-Air-Spielstätten gesucht. Für Rossinis Farsa La scala di seta hatte man das Luft- und Sonnenbad im Kurpark für geeignet gehalten. Während man beim Auftaktkonzert auf dem Aussichtsturm Baumwipfelpfad auf dem Sommerberg einen Tag zuvor zumindest noch gute drei Stunden Zeit hatte, um die Veranstaltung in die Offene Halle Marienruhe zu verlegen, wurde man im Luft- und Sonnenbad mitten beim Aufbau knapp eineinhalb Stunden vor Vorstellungsbeginn von einem Regenguss überrascht, der eine Aufführung im Freien unmöglich machte. Andernorts hätte man die Veranstaltung nun wahrscheinlich abgesagt, nicht aber in Bad Wildbad. Mit einem unglaublichen logistischen Aufwand wurde auch diese Aufführung noch in die Ausweichspielstätte Offene Halle Marienruhe verlegt und konnte dort mit 15 Minuten Verspätung eine umjubelte Premiere feiern. Schönleber bot dem Publikum sogar noch an, es in Fahrgemeinschaften nach der Veranstaltung zurück zum Kurpark zu bringen. Wenn das kein Service ist. La scala di seta ist Rossinis dritte von fünf einaktigen Farse, mit denen er als junger Komponist im Teatro San Moisè in Venedig seine Karriere begann. Mit seiner zweiten Farsa L'inganno felice hatte er 1811 einen so großen Erfolg verbuchen können, dass der Impresario Antonio Cera ihn sofort für drei weitere Farse verpflichtete. Bei der Zusage hatte Rossini allerdings nicht bedacht, dass zeitgleich von anderen Bühnen finanziell wesentlich lukrativere Angebote kamen. Um auch die anderen Angebote annehmen zu können, komponierte er die restlichen drei Farse quasi nebenbei, was dem damaligen Erfolg nicht gerade zuträglich war. Beim ersten dieser drei Aufträge kam noch hinzu, dass ihm von Giuseppe Foppa zunächst ein Libretto vorgelegt wurde, dass Rossini mit der damaligen Besetzung als nicht umsetzbar erachtete. Es wird gemutmaßt, dass es sich dabei um Il signor Bruschino handelte, ein Werk, das Rossini als fünfte Farsa ein Jahr später doch noch vertonte und das ein absoluter Flop wurde. Eigentlich hatte Rossini mit der Ablehnung das Ziel verfolgt, Gaetano Rossi als Librettisten an die Seite gestellt zu bekommen, doch dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt. Stattdessen suchte Foppa wahrscheinlich einen anderen Stoff, und seine Wahl fiel auf die 1808 in Paris uraufgeführte Opéra comique L'échelle de soie von Pierre Gaveau. Der französische Text von Eugène Planard wurde mit einigen Abänderungen ins Italienische übersetzt. Kritiker der Uraufführung warfen dem Werk vor, dass es sich um eine fantasielose Kopie der damals noch viel gespielten Oper Cimarosas Il matrimonio segreto handle, die ebenfalls auf der englischen Komödie The clandestine marriage von Coleman und Garrick basierte. Blansac (Eugenio Di Lieto) wirbt um Giulia (Claudia Urru). Erzählt wird die Geschichte der jungen Waisen Giulia, die bei ihrem Onkel und Vormund Dormont gemeinsam mit seiner Tochter Lucilla lebt. Giulia hat heimlich ihren Geliebten Dorvil geheiratet und empfängt ihn jede Nacht in ihrer Kammer über eine seidene Leiter, die sie zu diesem Zweck aus dem Fenster herabhängen lässt. Doch ihr Onkel plant, sie mit dem vermögenden Blansac zu verheiraten, in den wiederum Lucilla verliebt ist. Giulia will Blansac mit ihrer Cousine verkuppeln und spannt Germano, den etwas einfältigen Diener ihres Onkels, als Komplizen ein. Dieser wiederum weiß nicht, dass Giulia bereits mit Dorvil verheiratet ist, und bildet sich ein, dass Giulia Gefühle für ihn habe und deshalb Blansac nicht heiraten wolle. Blansac hingegen betrachtet Giulias Ablehnung als Herausforderung und beabsichtigt sehr zum Missfallen Lucillas, Giulia jetzt erst recht zu erobern. Beim nächtlichen Rendezvous steigen dann sowohl Dorvil als auch Blansac über die seidene Leiter ein und stiften einige Verwirrungen, die zu einem Tumult führen, der dann auch noch Dormont auf den Plan ruft. Giulia gesteht, dass sie und Dorvil bereits ein Ehepaar sind, und Blansac macht das Angebot, statt Giulia Dormonts Tochter Lucilla zur Frau zu nehmen. So gibt es am Ende zwei glückliche Paare und einen völlig verwirrten Diener, der nicht begreift, was eigentlich genau passiert ist. Germano (Emmanuel Franco, Mitte vorne) als Prügelknabe für alle: links: Blansac (Eugenio Di Lieto), Mitte hinten: Dorvil (Michele Angelini) und rechts: Giulia (Claudia Urru) Stefania Bonfadelli nutzt für ihr Regie-Konzept den eigentlich geplanten Aufführungsort, das Luft- und Sonnenbad im Kurpark, das seit vielen Jahren gemeinsam mit der 1870 erbauten Villa Rosa als denkmalgeschütztes Ensemble leersteht. Ursprünglich diente es als Ruheoase mit Liegewiese. Bonfadelli verwandelt den Ort nun in eine Baustelle, auf der die Geschichte spielt. Dorvil und Germano sind zwei Bauarbeiter, die sich unter dem harten Regiment Dormonts bemühen, den Ort in seinen ehemaligen Zustand zu versetzen. Für die Aufführung in der Offenen Halle Marienruhe wird der überdachte Gang im Luft- und Sonnenbad auf die Rückwand der Bühne projiziert, so dass man zumindest die Illusion hat, sich am ursprünglichen Spielort zu befinden. Die Solist*innen agieren zwischen Farbeimern, Pinseln und Pappkartons, die auf der Bühne verteilt stehen. Als "seidene Leiter" fungiert eine weiße Holzleiter, die vom vor der Bühne platzierten Orchester hoch auf die Bühne führt. Giulias Haarband, das daran befestigt ist, mag in diesem Zusammenhang das Attribut "seiden" rechtfertigen. Wieso Dormont (Remy Burnens) als grantelnder alter Mann in einem Rollstuhl sitzt und mit Trillerpfeife auch lautstark Anweisungen gibt, wenn er nicht auf der Bühne ist und damit teilweise den musikalischen Ablauf ein wenig stört, erklärt sich genauso wenig wie die Idee, ihn am Ende mit einer Pistole auftreten zu lassen und alle zu bedrohen. Wenn Germano im Finale den Stecker zieht, löst sich dann auch noch etwas unmotiviert ein Schuss. Lucilla (Meagan Sill) verführt Blansac (Eugenio Di Lieto). Sieht man von diesen fragwürdigen Kleinigkeiten ab, setzt Bonfadelli auf eine ausgeklügelte Personenregie, die keinen Moment Langeweile aufkommen lässt und die musikalischen Nummern mit großartiger Komik untermalt. Dies wird von dem jungen Ensemble darstellerisch und musikalisch großartig umgesetzt. Claudia Urru glänzt als keckes Mündel Giulia mit strahlendem Sopran und leuchtenden Koloraturen. Geschickt wickelt sie den tölpelhaften Diener Germano um ihren Finger und überlegt, wie sie den ihr zugedachten Bräutigam an ihre Cousine weitergeben kann. Mit großartiger Komik stellt sie Giulias inneren Kampf dar, wenn Blansac sie mit einem teuren Ring zu bezirzen versucht. Dass da der eifersüchtige Dorvil an ihrer Treue zweifelt, lässt sich gut nachvollziehen. Sehr nachdenklich präsentiert sie sich in ihrer großen Arie kurz vor dem nächtlichen Rendezvous. Bonfadelli deutet in der Personenregie an, dass Giulia bereits von ihrem heimlichen Gatten schwanger ist. Urru punktet hier mit einer eindringlichen Interpretation und weich ausgesungenen Spitzentönen. Meagan Sill bietet als ihre Cousine Lucilla darstellerisch einen absoluten Kontrast. Mit verführerischem Spiel bezaubert sie Blansac in ihrer Arie, so dass man gut nachvollziehen kann, dass Blansac die Entscheidung nicht schwerfällt, statt Giulia Lucilla zu heiraten. Auch Sill punktet mit strahlenden Höhen. Michele Angelini begeistert als Dorvil mit leuchtendem Tenor, der in den Höhen enorme Strahlkraft besitzt. Wenn er in seiner großen Arie die Treue seiner heimlichen Gattin testen will, punktet er mit stupenden Spitzentönen, die zu keinem Zeitpunkt forciert klingen. Zu Recht wird er dafür vom Publikum mit großem Jubel bedacht. Eugenio Di Lieto stellt als Schönling Blansac, der hier im feinen Anzug mit Hut auf der Baustelle auftritt, einen passenden Gegensatz dar. Eigentlich ist der Figur in diesem Stück keine eigene Arie zugedacht, aber Bonfadelli hat für ihn die Arie "Alle voci dell'amore" eingefügt, in der er seine Zuversicht besingt, dass ihn alle Frauen lieben. Rossini hatte dieses Stück eigentlich als Konzertarie unter dem Titel "Alle voci della gloria" 1813 für den adeligen Bassisten Filippo Grimani geschrieben. Di Lieto punktet mit kräftigem Bass und komödiantischem Spiel. Auch wenn er sich von Lucilla verführen lässt, setzt er darstellerisch witzige Akzente. Die Paraderolle des Stückes ist dem Diener Germano zugedacht. Emmanuel Franco begeistert mit großartiger Situationskomik und beweglichem Buffo-Bariton. Ein Höhepunkt ist sein Duett mit Giulia, in dem er ihre Bitten als vermeintliche Liebeserklärung missversteht. Franco spielt dieses Fehlinterpretation mit übertriebenem Macho-Gehabe aus. Auch das Quartett mit Urru, Angelini und Di Lieto, in dem er für die ganze Verwirrung verantwortlich gemacht wird, stellt musikalisch einen weiteren Höhepunkt dar. José Miguel Pérez-Sierra bringt mit dem Philharmonischen Orchester Krakau Rossinis spritzige Musik zum Strahlen und rundet den Abend glanzvoll ab, so dass es für alle Beteiligten großen Jubel gibt, den sich alle auch mit Blick auf die kurzfristige Umverlegung doppelt verdient haben.
FAZIT Stefania Bonfadelli arbeitet mit einer ausgeklügelten Personenregie und einem absolut spielfreudigen Ensemble die Meriten dieser frühen Rossini-Farsa wunderbar heraus. Das Konzept geht auch in der Ausweichspielstätte auf.
Weitere Informationen zum
Festival Rossini in
Wildbad 2021 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJosé Miguel Pérez-Sierra Regie, Kostüme und Bühne Regieassistenz Licht
Philharmonisches Orchester Krakau Tafelklavier
SolistenDormont, Vormund Giulia, sein Mündel Lucilla,
Giulias Cousine Dorvil Blansac Germano, Diener von Dormont
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