Es ist ein Meisterwerk aus der Frühzeit der Oper. Nicht nur wegen der großartigen Musik des Göttlichen Claudio. Es ist eben auch ein verblüffend moderner und für uns nachvollziehbarer Plot. In einer Mischung aus Sex and Crime, die es in sich hat. Diesem Nerone, wie ihn Monteverdi hier zeigt, traut man durchaus zu, dass er als Abgang von der Weltbühne Rom abfackelt. Und auch, dass es mit seiner Poppea auf die Dauer nicht gut gehen wird. Die überlieferte historischen Poppea ist im kollektiven Gedächtnis so präsent (respektive leicht recherchierbar), dass man das Happyend getrost so stehen lassen kann. Wenn man vorher das obsessive Agieren dieses römischen Kaisers und die berechnende Skrupellosigkeit der Aufsteigerin so schlüssig entwickelt, wie es Ted Huffman jetzt im Théâtre de Jeu de Paume in Aix-en-Provence gelungen ist, dann denkt sich die sonst gerne inszenierte Brechung eines komponierten und im Text behaupteten glücklichen Endes gleichsam von selbst.
Poppea und Nero
Dabei erschließt sich bis zum Schluss nicht wirklich, was Johannes Schütz mit der zweifarbigen Röhre eigentlich sagen wollte. Die schwebt mal weniger, mal mehr über den Häuptern der Akteure und kann dabei auch mal langsam gedreht werden. Ansonsten ist die Spiefläche bis an die sichtbaren Brandmauern leergeräumt und kommt mit ein paar wenigen Versatzstücken aus. Eine große weiße Nische findet sich im Hintergrund. Es gibt Sitzgelegenheiten an allen drei Seiten der Bühne für die Akteure, wenn sie pausieren. Tische und Stühle, die man schnell zur kaiserlichen Tafel zusammenschieben kann. Hinten eine offene Sängergarderobe mit Schminktisch, an dem vor allem der hinreißend matronenhafte Miles Mykkanen sein Äußeres so verändert, dass sich Arnalta deutlich von Nutrice unterscheidet. In beiden Rollen findet er instinktsicher genau das Maß, um die komödiantische Lust am Spiel en travestie nicht zu einer Denunziation der Rolle entgleiten zu lassen.
An diesem Abend müssen seinen Auftritte aber niemanden im Publikum aufwecken wie in manch' anderen Inszenierungen. Hier erledigt nämlich niemand dem mitunter als gleichförmig empfundenen Strom der Musik und nickt weg. Hier ist von Anfang an durchgängig Feuer und Leidenschaft in der Musik und im Spiel. Hier wird offensiv mit dem Sexappeal der Darsteller gewuchert. Mit infektionssicheren Abständen könnte man solch eine Produktion schlichtweg vergessen.
Der Philosoph spricht: Seneca und Nero
Der erste Auftritt von Jacquelyn Stucker als nur mit einem Badetuch verhüllte Poppea verfängt beim Objekt ihrer Begierde Nerone genauso wie beim Publikum. Dabei war jedem klar, dass sie das Badetuch auch deshalb so gerafft zusammenhält, um es im richtigen Moment wie nebenbei - oder ganz gezielt - fallen zu lassen. Bei dieser Poppea geht es aber nicht nur um ihr tolles Aussehen, sondern auch um deren verführerische Stimme. Zum packenden Theatervergnügen wird das Ganze, weil das männliche Pendant, der Counter Jake Arditti, nicht nur seine sichere, auch zum kraftvollen Ausbruch fähige Stimme einsetzt, sondern genauso seinen Sixpack. Als ihm Poppea seines weißen Hemdes beraubt, um es sich selbst überzuziehen und so das Badetuch zu ersetzten, bleibt Nerone bei dieser Anzugsordnung, lässt auch unterm Smokingjackett fortan das Hemd weg und trägt nur trainierten Muskel (zur Schau).
Diese beiden vertreten an vorderster Bühnenfront das Spiel zweier sehr besonderer Charaktere. Auflodernde, durch nichts und niemanden zu bremsende Leidenschaft, ja erotische Gier bei Nerone und den gezielten Einsatz aller weiblichen Verführungskünste durch Poppea andererseits. Kurz vor der Pause genehmigen sich die beiden - in gut spätrömischer Dekadenz - noch einen flotten Dreier. Lucano (Laurence Kilsby) lässt sich diese Einladung gerne gefallen, schafft nackte Tatsachen und verschwindet mit ihnen gemeinsam durch eine Tür im Hintergrund. Vor allem wenn man Nerone und Poppea und ihre gegenseitige Anziehungskraft sieht und ihnen zuhört, könnte man sich eigentlich über eine Feier der Leidenschaft freuen, wären da nicht die Kollateralschäden.
Liebe zu dritt an der Leiche des Seneca - Poppea, Nero und Lucano
Das erste Opfer ist Seneca, der mit Nachdruck zur Mäßigung mahnende alte Lehrer Nerones. Alex Rosen verleiht ihm Würde und Nachdruck. Er hält sich für unantastbar und überzieht seine offene Kritik so, dass ihm der Kaiser den Befehl zum Selbstmord zukommen lässt, um dann den Toten auch noch handgreiflich zu verhöhnen. Das zweite Opfer ist die rechtmäßige Kaiserin Ottavia. Fleur Barron bewahrt auch dann noch Haltung, als ihr Spiel schon verloren ist. Immerhin bedarf es erst des aufgeflogenen Anschlags auf Poppea, zu dem sie ihren Vertrauten Ottone (der zweite Counter in dieser Produktion: Paul-Antoine Bénos-Djian) zwingt, bis sich der Kaiser seiner Frau mit einer nach außen glaubhaften Begründung entledigen kann. Sie wird in einem kleinen Kahn aufs (man könnte auch sagen: im) Meer entsorgt. Für Barron ist das der Anlass für ihre wunderbare Abschiedsarie von ihrem Vaterland, bei deren Beginn sie effektvoll in Stocken gerät. Immerhin kommen Ottone und die in ihn verliebte Drusilla (Maya Kherani) mit dem Schrecken davon. Sie können vom Spielfeldrand das Liebesduett von Nerone und seiner neuen Kaiserin verfolgen.
Rom in Aufruhr, Poppea mittendrin
Szenisch funktioniert die alte Geschichte als Blick hinter die Fassaden der Macht, auch wenn sie nicht auf ein konkretes Politikervorbild zielt. Die Story ist so exemplarisch, dass sie dessen gar nicht bedarf. Da Monteverdis Oper nicht vollständig in der Version ihres Schöpfers überliefert ist, fordert jede Aufführung auch bei der Instrumentierung einen schöpferischen Beitrag der jeweiligen Interpreten. Hinzu kommt in diesem speziellen Fall, dass sich der historische Orchesterklang, den Leonardo García Alarcón mit der Cappella Mediterranea beisteuert, mit einem temperamentvollen Stimmeinsatz auf der Bühne verbindet. Der mag für manch einen in der seiner Dosierung über dem Maß der reinen Lehre liegen. Das vitale Zusammenspiel von Graben und Bühne zündet aber und macht aus einem langen Abend ein überraschend unterhaltsames, pures Theatervergnügen.
FAZIT
Ted Huffman gelingt mit Monteverdis Krönung der Poppea ein überraschend prickelndes Stück über die Verbindung von Obsessionen und Macht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Leonardo García Alarcón
Inszenierung
Ted Huffman
Bühne
Johannes Schütz
Kostüme
Astrid Klein
Licht
Bertrand Couderc
Dramaturgie
Antonio Cuenca Ruiz
Cappella Mediterranea
Solisten
Poppea
Jacquelyn Stucker
Nerone
Jake Arditti
Ottavia / Virtù
Fleur Barron
Ottone
Paul-Antoine Bénos-Djian
Seneca
Alex Rosen
Arnalta / Nutrice / Famigliare I
Miles Mykkanen
Fortuna / Drusilla
Maya Kherani
Amore / Valletto
Julie Roset
Lucano / Soldato I / Famigliare II
Laurence Kilsby
Liberto / Soldato II
Riccardo Romeo
Littore / Famigliare III
Yannis François
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