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Durch Liebe sehend gewordenVon Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus Kirill
Peterenko hat momentan einen regelrechten Tschaikowsky-Lauf. Binnen
eines halben Jahres stellte er nach Mazeppa
und Pique Dame
(siehe unsere Rezensionen) mit Jolanthe nun zum
dritten Mal eine Oper des
Komponisten vor. Der Einakter Jolanthe
ist Tschaikowskys letzte Oper,
uraufgeführt zusammen mit dem Ballett Der
Nussknacker im Dezember 1892
in St. Petersburg, weniger als ein Jahr vor seinem Geheimnis umwobenen
Tod. Danach komponierte er nur mehr seine 6. Sinfonie Pathétique.
In dem Libretto von Tschaikowskys Bruder Modest
nach dem romantischen Drama des dänischen Autors Henrik Hertz wird
Jolanthe von ihrem Vater in Abgeschiedenheit gehalten, damit ihr ihre
Blindheit nicht bewusst wird. Dennoch wird sie von unerklärlicher
Wehmut geplagt. Eines Tages dringt in diesen goldenen Käfig der
draufgängerische Graf Vaudémont ein und sie entdeckt durch ihn ihren Mangel.
Seine Liebe zu ihr weckt in ihr den Wusch geheilt zu werden, und mit
Hilfe eines arabischen Arztes gelangt sie zum Licht. Der ursprünglich
versprochene Verlobte verzichtet und die Oper endet mit einem hymnischen
Lob Gottes in einem großen Hosianna.
Interessant ist ein Detail, das den Verlauf des Schicksals der
Hauptfigur dieser Oper von jenem der Protagonisten in Pique Dame unterscheidet. Hermann
und Lisa leiden heftig unter ihren Obsessionen. Obwohl sie sich dessen
bewusst sind, finden sie aber keinen Weg, sich daraus zu befreien.
Jolanthe dagegen leidet unbewusst unter ihrer Blindheit, von der sie
nichts weiß. Für sie gibt es aber ein Gegenmittel: Sie müsse ihr Leiden
erkennen, annehmen und den Willen haben, geheilt zu werden - so der
überraschend moderne Therapieansatz des vom Vater hinzugezogenen
"maurischen" Arztes. Unentrinnbarkeit dort, glückliches Ende hier. Eine
szenische Produktion, z.B. aus psychologischem Blickwinkel, könnte
spannend sei. Die Oper wurde in Baden-Baden aber lediglich konzertant
geboten. Hierzulande taucht sie nur selten auf Bühnen auf, was wegen
ihrer musikalischen Qualitäten verwundert. Die lyrische Grundhaltung
von Tschaikowskys Opernmusik kommt in Jolanthe
aufs Schönste zum Vorschein, die Partitur ist voller Perlen seiner
Kompostions- vor allem auch Instrumentationskunst. Viel Gelegenheit für
Sängerinnen und Sänger zu glänzen und für das Orchester, die reichen
Klangfarben strahlen zu lassen. Kein Geringerer als Gustav Mahler hatte
das erkannt und leitete 1893 in Hamburg die deutsche Erstaufführung.
Schon in der Introduktion und zu Beginn des 1. Bildes malen Holzbläser
und Hörner abgelöst von zarten Harfenklängen eine wundersame Atmosphäre
von banger Erwartung und reiner Idylle, was die Ambivalenz von
Jolanthes Situation klangmalerisch schildert. In feinsten
Orchesterfarben gelang den Philharmonikern hier ein bezaubernder
Einstieg in eine Aufführung, die in ihrer Klangschönheit und äußersten
Durchhörbarkeit beispielhaft war. Petrenko sorgte für einen dynamisch
abgestuften musikalischen Fluss, formte an den vielfältigen
Pianostellen alle Nuancen subtil aus, baute aber auch die Steigerung zu
größerer Emphase ebenso klug dosiert auf. Das große Operntableau war den
jubelnden Solisten, Chor und Orchester am Schluss vorbehalten.
Die Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko und das
Gesangsensemble in Baden-Baden
Dass die empfindsame Jolanthe und der feinfühlige Ritter Vaudémont
unmittelbar bei ihrer ersten Begegnung zu völligem Einklang finden,
gestaltet Tschaikowsky in einer langen schwärmerischen Melodielinie,
die leitmotivartig auch später wieder erklingt; eine Melodie mit
Ohrwurmcharakter, die man selbst auch lange noch im Gedächtnis behält.
Die Stimmen von Sonya Yontcheva und Liparit Avetisyan verschmolzen in
diesem Duett in berückend schöner Harmonie. Nicht ganz zurücknehmen
dagegen wollte sich der Tenor in seiner Romanze, in der er die Wonnen
zarter Liebeserfahrungen besingt. Hier legte er ein wenig zuviel
Gefühligkeit in die Stimme. Yontcheva dagegen sang stets in lyrischem Wohllaut
und fein dosiertem Ausdruck.
Auch den anderen Rollen dieses Einakters hat Tschaikowsky bemerkenswert
individuelle Musik zugedacht. So dem milden Vater, König René, der hier
von Mika Kares mit rundem, sonorem Bass gesungen wurde, ebenso dem
Arzt, den der Bariton Michael Kraus stimmlich mit angemessener
Eindringlichkeit versah. Der ursprünglich Jolanthe zugedachte Herzog
Robert von Burgund, wie Graf Vaudémont auch enthusiasmiert, aber für
eine andere Frau, wurde von Andrey Zhilikhovsky mit edlem
Baritonton gesungen. Auch die kleinerer Rollen, Jolanthes
Freundinnen Brigitta und Laura (Anna Denisova und Victoria Karkacheva)
sowie das Schlossverwalterpaar (Margarita Nekrasova als Martha und
Nikolay Didenko als Bertran) füllten ihre Partien eindrucksvoll aus.
Fazit
Berechtigter Jubel des Publikums bedachte diese musikalisch überragende
Aufführung.
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Ausführende
Musikalische Leitung
Bertran, Pförtner des Schlosses
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- Fine -