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Musikfestspiele
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Osterfestspiele 2022 der Berliner Philharmoniker in Baden – Baden

Die Sinfoniekonzerte
Berliner Philharmoniker
Leitung: François-Xavier Roth und Andris Nelson

Werke von Johann Sebastian Bach, Jüri Reinvere, Mieczysław  Weinberg, Igor Strawinsky und anderen

Aufführungen im Festspielhaus Baden - Baden am 10., 13. und 16. April 2022

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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

Spitzenqualität 

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus

Die Sinfoniekonzerte der diesjährigen Osterfestspiele waren Gastdirigenten anvertraut. Das erste Konzert leitete François-Xavier Roth, in den beiden folgenden stand Andris Nelsons am Pult der Berliner Philharmoniker. Die Programme waren gemäß dem diesjährigen Schwerpunkt "Russland" gruppiert um Ballettmusiken von Igor Strawinsky.
 
Außer den drei spektakulären Balletten für Sergej Diaghilews Ballets Russes gab es im ersten Konzert Le Baiser de la fée, geschrieben für eine andere Ballettkompagnie und 1928 in Paris uraufgeführt. Der Handlung liegt das Märchen Die Eisjungfrau von Hans Christian Andersen zugrunde, für die Musik verwendete Strawinsky Klavierstücke und Lieder des von ihm verehrten Peter Tschaikowsky. Der Kuss der Fee ist ein melodieseliges, im Vergleich zu seinen frühen Ballettmusiken eher konventionelles Werk. Diaghilew äußerte sich darüber nicht begeistert und spottete über die vielen Anklänge an Schweizer Folklore. Die Philharmoniker nahmen die Musik federnd leicht und durchsichtig mit genussvoll zelebrierten Walzerstellen und herrlichen Soli in zahlreichen Gruppen.
 
Den Abschluss des ersten Abends bildete das Ballett, mit dem Strawinsky zum ersten Mal in Paris Furore gemacht hatte, die Burleske Pétrouchka von 1911. Wie sicher sich Strawinsky der Wirkung seiner Musik war, bezeugt seine Aussage, dass seine Musik gar nicht interpretiert, sondern einfach nur ausgeführt zu werden brauche. Wenn ein Orchester so brillant spielt, die rhythmischen Raffinessen so präzise und die Farben so klangschön ausmodelliert, wie es die Philharmoniker können, ist das Diktum des Komponisten zu verstehen. Aber natürlich brauchte es auch das unprätentiöse, präzise Dirigat  François-Xavier Roths, um dem Jahrmarktsgewusel in diesem Stück Struktur zu geben und den krassen Stimmungswechseln von grotesk bis tragisch die nötige Ausdrucksstärke zu verleihen. In diesem Sinne gelang an diesem Abend eine maßstabsetzende Aufführung.
 
Albrecht Mayer mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von  François-Xavier Roth
 
In der Mitte zwischen beiden Werken Strawinskys stand das selten zu hörende Konzert für Oboe d'amore von Johann Sebastian Bach. Albrecht Mayer und die um eine Continuogruppe ergänzten Streicher der Berliner Philharmoniker  ließen sich in ihrer Aufführung vom höfischen Charme dieses Stücks inspirieren. Der Stilwechsel inmitten zweier Werke von Strawinsky zur historisch informierten Interpretation Bachs gelang dem Orchester mühelos. Albrecht Mayers fein phrasiertes Spiel und seine technische Souveränität begeisterten. Die Zugabe, Händels Lascia ch'io pianga widmete Mayer den Opfern des Krieges und allen, die um sie trauern.
 
Als Botschaft der Völkerverständigung und als Ausdruck der Sehnsucht nach Frieden verstand das Festspielhaus die nach der Absetzung des Konzerts mit Anna Netrebko kurzfristig ins Programm genommene Gala mit 6 Sängerinnen und Sängern mit Arien, die im engeren oder weiteren Sinne diesem Thema gewidmet waren. Beziehungsreich spielten die Philharmoniker zu Beginn Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3. Das in der Mitte erklingende Trompetensignal steht für die Befreiung aus Gefangenschaft und Tyrannei. Unter der Leitung von Andris Nelsons erhielt diese Interpretation unter den gegenwärtigen Umständen eine besonders zwingende Intensität und berührte das Publikum sichtlich.
 
Kräftige Trompetentöne erklangen auch in einer der Gesangsnummern, als Thomas Hampson und Luca Pisaroni ein Duett aus Bellinis I Puritani zum Besten gaben. Hier allerdings wurde eher mit viel Hurra-Patriotismus zum Angriff geblasen. Dass eine Perlenfischerei wie in einem derartigen Ariensampling auch fragwürdig sein kann, zeigte die von der spanischen Sopranistin Saioa Hernández gesungene Arie Pace, pace aus Verdis Macht des Schicksals, deren Pathos etwas überzogen wirkte, da der Zusammenhang zur szenischen Handlung der Oper fehlte. Die Vokalise von Rachmaninow, wunderbar von Katharina Konradi auf dem Atem gesungen, konnte dagegen überzeugen. Der russische Tenor Bogdan Volkov sang berückend schön die Arie des Lenski aus Eugen Onegin und Luca Pisaroni brillierte mit einer humorvollen Interpretation von Rossinis Verleumdungsarie aus dem Barbier von Sevilla. Ausdrucksvoll sehnsüchtig sangen Rachel Willis-Sørensen Mariettas Lied aus Korngolds Die tote Stadt und Thomas Hampson das Lied an den Abendstern aus Wagners Tannhäuser.
 
Luca Pisaroni und Thomas Hampson mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Andris Nelsons
 
Strawinskys Ballettsuite L'oiseau de feu in der Fassung von 1919 bildete den fulminanten Abschluss dieses Abends. Nelsons zauberte mit den Philharmonikern ein wahres Klangfarbenwunder in den Saal. Schwebende Klänge beim Tanz des Feuervogels, ein furioser Höllentanz, zartestes Pianissimo im Wiegenlied und eine gloriose Steigerung in der Schlusshymne: Orchestervirtuosität auf höchstem Niveau.
 
Höhepunkt dieses kleinen Strawinsky-Festivals war im letzten Konzert Le sacre du printemps, dessen Neuartigkeit bei der Uraufführung 1913 einen der größten musikalischen Skandale des beginnenden neuen Jahrhunderts auslöste. Die schockierend kompromisslose Härte und Schärfe der Musik wurde auch noch rund 90 Jahre später unter Andris Nelsons Leitung spürbar. Schon die Introduktion der Bläser ließ nervöse Anspannung erkennen, die dann in den stark markierten Rhythmus der folgenden Tänze überging und sich in stetigem Bogen bis zur Schluss-Ekstase des ersten Teils steigerte. Klänge mystischer Verfremdung im 2. Teil und die Eruption von musikalischer Kraft im Danse sacrale machten diese Aufführung zum atemberaubenden Ereignis.
 
In größtem Gegensatz dazu hatte der Abend ganz sanft und leise mit einer Komposition des 1971 geborenen estnischen Komponisten Jüri Reinvere begonnen. Der etwas rätselhafte Titel Maria Anna, wach, im Nebenzimmer deutet auf eine Art Wachtraumvision, die sich auf Mozarts Schwester Nannerl bezieht. Feines Flageolett der Streicher oder das Schaben der Saiten erzeugte Klänge als würde jemand atmen. Das Flattern der Flöte, kurze Signale der Oboe oder der gedämpften Trompete wirken wie Ohrgeräusche inmitten der ruhigen Grundstimmung des etwa 10-minütigen Stücks. Auch hier wieder entfalteten die Philharmoniker einen phänomenalen Klangfarbenreichtum, der Reinveres Impressionen zu größter Wirkung brachte. Der anwesende Komponist erntete daher entsprechend warmen Beifall.
 
Håkan Hardenberger und die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Andris Nelsons
 
Als spannende Neuentdeckung jedenfalls für das Baden-Badener Publikum erwies sich das Trompetenkonzert von Mieczysław Weinberg. In den drei Sätzen bot Håkan Hardenberger alle Virtuosität auf, die die Trompete hergibt. Weinbergs Konzert steht vollkommen quer zur Tradition. Die Trompete sendet hier weder majestätische noch militärische Botschaften, sondern liefert sich eher einen Wettstreit mit dem Orchester, im ersten Satz "Etüden" ein regelrechtes Katz-und-Maus-Rennen. Im ernsten, nachdenklichen zweiten Satz "Episoden" verbündet sich die Trompete mit der leichten Soloflöte, um sich immer wieder vom schweren Kollektiv des Orchesters abzusetzen. Nach und nach setzt sich in der Trompete als Zitat das Trauermarsch-Motiv aus dem ersten Satz der 5. Sinfonie von Gustav Mahler durch, das im dritten Satz "Fanfaren" seinen vollständigen Durchbruch feiert. Auch Strawinskys  Pétrouchka und Mendelssohns Hochzeitsmarsch klingen als ironische Zitate durch. Nachdem sich die Trompete einem von der Solobratsche angebotenen Walzermotiv verweigert, endet das Konzert abrupt mit einem abgerissenen Akkord. Eine ungeheuer wechselvolle und in den Stimmungen changierende Musik, die hier von allen Beteiligten mit größter Präzision und Spielfreude präsentiert wurde.
 
Fazit
 
Glückliches Baden-Baden, Konzerte auf solch hohem künstlerischen Standard innerhalb weniger Tage erleben zu können! Bis 2025 mindestens sind die Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker hier garantiert.
 




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Ausführende

Berliner Philharmoniker

Leitung:
François-Xavier Roth
und Andris Nelsons





Programme

10.April 2022

Igor Strawinsky
Le Baiser de la fée
Divertimento aus der Ballettmusik
nach Peter Tschaikowsky


Johann Sebastian Bach
Konzert A-Dur für Oboe d'amore,
Streicher und Basso continuo
BWV 1055 R


Igor Strawinsky
Petrouchka.
Burleske in vier Bildern
(Originalfassung 1911)

Solist: Albrecht Mayer, Oboe  d'amore


13. April 2022
Gala-Konzert

Ludwig van Beethoven
Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur
op. 72

Richard Wagner,
Giuseppe Verdi,
Vincenzo Bellini,
Gioachino Rossini,
Erich-Wolfgang Korngold,
Peter Tschaikowsky und
Sergej Rachmaninow
Arien und Vokalwerke


Igor Strawinksy
L'oiseu de feu. Ballettsuite (1919)

Solistinnen und Solisten:
Katharina Konradi, Sopran
R
Rachel Willis-Sørensen Sopran,
Bogdan Volkov, Tenor
Thomas Hampson, Bariton
Luca Pisaroni, Bassbariton



16. April 2022

Jüri Reinvere
Maria Anna, wach, im Nebenzimmer
Notturno für Orchester

Mieczysław Weinberg
Konzert für Trompete und Orchester
B-Dur op. 94



Igor Strawinsky
Le Sacre du printemps.
Bilder aus dem heidnischen Russland

Solist:
Håkan Hardenberger



Weitere Informationen
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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)




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