Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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SpitzenqualitätVon Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus Die
Sinfoniekonzerte der diesjährigen Osterfestspiele waren Gastdirigenten
anvertraut. Das erste Konzert leitete François-Xavier Roth, in den
beiden folgenden stand Andris Nelsons am Pult der Berliner Philharmoniker. Die
Programme waren gemäß dem diesjährigen Schwerpunkt "Russland" gruppiert
um Ballettmusiken von Igor Strawinsky.
Außer den drei
spektakulären Balletten für Sergej Diaghilews Ballets Russes gab es im ersten Konzert Le Baiser de la fée, geschrieben
für eine andere Ballettkompagnie und 1928 in Paris uraufgeführt. Der
Handlung liegt das Märchen Die
Eisjungfrau von Hans Christian Andersen zugrunde, für die Musik
verwendete Strawinsky Klavierstücke und Lieder des von ihm verehrten
Peter Tschaikowsky. Der Kuss der Fee
ist ein melodieseliges, im Vergleich zu seinen frühen Ballettmusiken
eher konventionelles Werk. Diaghilew äußerte sich darüber nicht
begeistert und spottete über die vielen Anklänge an Schweizer Folklore.
Die Philharmoniker nahmen die Musik federnd leicht und durchsichtig mit
genussvoll zelebrierten Walzerstellen und herrlichen Soli in
zahlreichen Gruppen.
Den Abschluss
des ersten Abends bildete das Ballett, mit dem Strawinsky zum ersten
Mal in Paris Furore gemacht hatte, die Burleske Pétrouchka von 1911. Wie sicher
sich Strawinsky der Wirkung seiner Musik war, bezeugt seine Aussage,
dass seine Musik gar nicht interpretiert, sondern einfach nur
ausgeführt zu werden brauche. Wenn ein Orchester so brillant spielt,
die rhythmischen Raffinessen so präzise und die Farben so klangschön
ausmodelliert, wie es die Philharmoniker können, ist das Diktum des
Komponisten zu verstehen. Aber natürlich brauchte es auch das
unprätentiöse, präzise Dirigat François-Xavier Roths, um dem
Jahrmarktsgewusel in diesem Stück Struktur zu geben und den krassen
Stimmungswechseln von grotesk bis tragisch die nötige Ausdrucksstärke
zu verleihen. In diesem Sinne gelang an diesem Abend eine
maßstabsetzende Aufführung.
Albrecht Mayer mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung
von François-Xavier Roth
In der Mitte
zwischen beiden Werken Strawinskys stand das selten zu hörende Konzert für Oboe d'amore von Johann
Sebastian Bach. Albrecht Mayer und die um eine Continuogruppe ergänzten
Streicher der Berliner Philharmoniker ließen sich in ihrer
Aufführung vom höfischen Charme dieses Stücks inspirieren. Der
Stilwechsel inmitten zweier Werke von Strawinsky zur historisch
informierten Interpretation Bachs gelang dem Orchester mühelos.
Albrecht Mayers fein phrasiertes Spiel und seine technische
Souveränität begeisterten. Die Zugabe, Händels Lascia ch'io pianga widmete Mayer den Opfern des
Krieges und allen, die um sie trauern.
Als Botschaft der Völkerverständigung und als Ausdruck der Sehnsucht
nach Frieden verstand das Festspielhaus die nach der Absetzung des
Konzerts mit Anna Netrebko kurzfristig ins Programm genommene Gala mit 6 Sängerinnen und Sängern
mit Arien, die im engeren oder weiteren Sinne diesem Thema gewidmet
waren. Beziehungsreich spielten die Philharmoniker zu Beginn Beethovens
Leonoren-Ouvertüre Nr. 3.
Das in der Mitte erklingende Trompetensignal steht für die Befreiung
aus Gefangenschaft und Tyrannei. Unter der Leitung von Andris Nelsons erhielt
diese Interpretation unter den gegenwärtigen Umständen eine besonders
zwingende Intensität und berührte das Publikum sichtlich.
Kräftige
Trompetentöne erklangen auch in einer der Gesangsnummern, als Thomas
Hampson und Luca Pisaroni ein Duett aus Bellinis I Puritani zum Besten gaben. Hier
allerdings wurde eher mit viel Hurra-Patriotismus zum Angriff geblasen.
Dass eine Perlenfischerei wie in einem derartigen Ariensampling auch
fragwürdig sein kann, zeigte die von der spanischen Sopranistin Saioa
Hernández gesungene Arie Pace, pace
aus Verdis Macht des Schicksals,
deren Pathos etwas überzogen wirkte, da der Zusammenhang zur szenischen
Handlung der Oper fehlte. Die Vokalise
von Rachmaninow, wunderbar von Katharina Konradi auf dem Atem gesungen,
konnte dagegen überzeugen. Der russische Tenor Bogdan Volkov sang
berückend schön die Arie des Lenski aus Eugen Onegin und Luca Pisaroni
brillierte mit einer humorvollen Interpretation von Rossinis
Verleumdungsarie aus dem Barbier von
Sevilla. Ausdrucksvoll sehnsüchtig sangen Rachel Willis-Sørensen
Mariettas Lied aus
Korngolds Die tote Stadt und
Thomas Hampson das Lied an den
Abendstern aus Wagners Tannhäuser.
Luca Pisaroni und Thomas Hampson mit den Berliner Philharmonikern unter
der Leitung von Andris Nelsons
Strawinskys
Ballettsuite L'oiseau de feu in
der Fassung von 1919 bildete den fulminanten Abschluss dieses Abends.
Nelsons zauberte mit den Philharmonikern ein wahres Klangfarbenwunder
in den Saal. Schwebende Klänge beim Tanz des Feuervogels, ein furioser
Höllentanz, zartestes Pianissimo im Wiegenlied und eine gloriose
Steigerung in der Schlusshymne: Orchestervirtuosität auf höchstem
Niveau.
Höhepunkt
dieses kleinen Strawinsky-Festivals war im letzten Konzert Le sacre du printemps, dessen
Neuartigkeit bei der Uraufführung 1913 einen der größten musikalischen
Skandale des beginnenden neuen Jahrhunderts auslöste. Die schockierend
kompromisslose Härte und Schärfe der Musik wurde auch noch rund 90 Jahre
später unter Andris Nelsons Leitung spürbar. Schon die Introduktion der
Bläser ließ nervöse Anspannung erkennen, die dann in den stark
markierten Rhythmus der folgenden Tänze überging und sich in stetigem
Bogen bis zur Schluss-Ekstase des ersten Teils steigerte. Klänge
mystischer Verfremdung im 2. Teil und die Eruption von musikalischer
Kraft im Danse sacrale machten diese Aufführung zum atemberaubenden
Ereignis.
In größtem
Gegensatz dazu hatte der Abend ganz sanft und leise mit einer
Komposition des 1971 geborenen estnischen Komponisten Jüri Reinvere
begonnen. Der etwas rätselhafte Titel Maria
Anna, wach, im Nebenzimmer
deutet auf eine Art Wachtraumvision, die sich auf Mozarts Schwester
Nannerl bezieht. Feines Flageolett der Streicher oder das Schaben der
Saiten erzeugte Klänge als würde jemand atmen. Das Flattern der Flöte,
kurze Signale der Oboe oder der gedämpften Trompete wirken wie
Ohrgeräusche inmitten der ruhigen Grundstimmung des etwa 10-minütigen
Stücks. Auch hier wieder entfalteten die Philharmoniker einen
phänomenalen Klangfarbenreichtum, der Reinveres Impressionen zu größter
Wirkung brachte. Der anwesende Komponist erntete daher entsprechend
warmen Beifall.
Håkan Hardenberger und die Berliner Philharmoniker unter der Leitung
von Andris Nelsons
Als spannende
Neuentdeckung jedenfalls für das Baden-Badener Publikum erwies sich das
Trompetenkonzert von
Mieczysław Weinberg. In den drei Sätzen bot Håkan Hardenberger alle
Virtuosität auf, die die Trompete hergibt. Weinbergs Konzert steht
vollkommen quer zur Tradition. Die Trompete sendet hier weder
majestätische noch militärische Botschaften, sondern liefert sich eher
einen Wettstreit mit dem Orchester, im ersten Satz "Etüden" ein
regelrechtes Katz-und-Maus-Rennen. Im ernsten, nachdenklichen zweiten
Satz "Episoden" verbündet sich die Trompete mit der leichten Soloflöte,
um sich immer wieder vom schweren Kollektiv des Orchesters abzusetzen.
Nach und nach setzt sich in der Trompete als Zitat das
Trauermarsch-Motiv aus dem ersten Satz der 5. Sinfonie von Gustav Mahler
durch, das im dritten Satz "Fanfaren" seinen vollständigen Durchbruch
feiert. Auch Strawinskys
Pétrouchka und Mendelssohns Hochzeitsmarsch
klingen als ironische Zitate durch. Nachdem sich die Trompete einem von
der Solobratsche angebotenen Walzermotiv verweigert, endet das Konzert
abrupt mit einem abgerissenen Akkord. Eine ungeheuer wechselvolle und
in den Stimmungen changierende Musik, die hier von allen Beteiligten
mit größter Präzision und Spielfreude präsentiert wurde.
Fazit
Glückliches
Baden-Baden, Konzerte auf solch hohem künstlerischen Standard innerhalb
weniger Tage erleben zu können! Bis 2025 mindestens sind die
Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker hier garantiert.
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Ausführende Berliner Philharmoniker
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- Fine -