Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Klangvokal 2022
Musikfestival Dortmund

Orlando furioso

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Grazio Braccioli nach Ludovico Ariostos Versepos Orlando furioso
Musik von Antonio Vivaldi

in italienischer Sprache (Libretto in italienischer und deutscher Sprache im Programmheft)

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Konzertante Aufführung im Konzerthaus Dortmund am 17. Juni 2022, 19.00 Uhr

 

 

Homepage

 

 

Furioser Orlando im Konzerthaus

Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum

Antonio Vivaldi galt mit seinen ca. 97 komponierten Opern zu seiner Zeit sicherlich als einer der produktivsten und erfolgreichsten Komponisten. Dennoch verblasste sein Ruhm als Opernkomponist nach seinem Tod 1741 relativ schnell und seine Werke gerieten für lange Zeit in Vergessenheit. Am bekanntesten dürfte noch sein Dramma per musica Orlando furioso sein, in dem sich der Wahnsinn der Titelfigur nicht nur in den für die damalige Zeit typischen Affekt-Arien nach dem üblichen ABA-Schema entlädt, sondern auch einzelne Arien gewissermaßen in ihre Einzelteile zerlegt und in den Rezitativen abgebildet wird. Nicht unerheblich für die erneute Popularität dieses Werkes dürfte auch die Aufnahme mit Marilyn Horne in der Titelpartie, Victoria de los Ángeles als Angelica und Lucia Valentini Terrani als Alcina unter der Leitung von Claudio Scimone aus dem Jahr 1977 sein, auch wenn hierbei die Partien des Ruggiero und Medoro für einen Bariton und einen Tenor transponiert wurden. Erst in den letzten Jahren hat sich mit dem wachsenden Interesse an Barockopern eine Generation von Countertenören entwickelt, deren Stimmen den Stücken des 17. und 18. Jahrhunderts eine gewisse Werktreue zu geben versuchen. So sind auch bei der konzertanten Aufführung in Dortmund sämtliche Männerrollen mit Ausnahme des Astolfo mit Countertenören besetzt, auch wenn die Titelpartie bei der Uraufführung am 10. November 1727 im Teatro Sant' Angelo in Venedig von einer Frau, der berühmten Altistin Lucia Lancetti, interpretiert wurde.

Bild zum Vergrößern

Ensemble: von links: Orlando (Max Emanuel Cenčić), Angelica (Julia Lezhneva), Bradamante (Sonja Runje), George Petrou, Medoro (Philipp Mathmann), Ruggiero (Nicholas Tamagna), Alcina (Vivica Genaux) und Astolfo (Sreten Manojlović) (dahinter: Armonia Atenea)

Die Oper stellt eigentlich nur eine radikale Umarbeitung des gleichnamigen Werkes von Giovanni  Alberto Ristori dar. Mit diesem Stück hatte Vivaldi 1713 seinen erfolgreichen Einstand als Theaterdirektor im Teatro Sant' Angelo gefeiert, den er ein Jahr später als Bühnenkomponist fortsetzen wollte. Unter dem Titel Orlando finto pazzo machte er sich also an ein Remake und bestellte bei dem Textdichter Grazio Braccioli eine Textüberarbeitung von Ristoris Oper. Die Aufführung wurde allerdings ein absoluter Misserfolg, und Vivaldi ersetzte das Stück durch die gefeierte Fassung von Ristori, um irgendwie die Opernsaison 1714 zu retten. Wieso er sich über zehn Jahre später erneut an diesen Stoff wagte, ist nicht überliefert. Immerhin hatte er über einer Arie in der Partitur von Orlando finto pazzo den Satz notiert: "Wenn das nicht gefällt, will ich keine Musik mehr schreiben." Zum Glück machte er die Drohung nicht wahr, und erlebte dann 1727 mit einer komplett überarbeiteten Fassung und einer großartigen Besetzung einen "furiosen" Erfolg, der jetzt auch beim Klangvokal Musikfestival in Dortmund mit hervorragenden Solist*innen erzielt wird.

Die Handlung verknüpft unterschiedliche Handlungsstränge aus Ludovico Ariostos gleichnamigem Versepos. Orlando, ein Paladin aus dem Heer Karls des Großen, verliebt sich unsterblich in Angelica, die Prinzessin von Cathay (China), die allerdings den afrikanischen Soldaten Medoro liebt. Auf der Flucht vor Orlando landet sie mit Medoro auf Alcinas Zauberinsel und versucht, mit Hilfe der Zauberin Orlando loszuwerden. Dafür spielt Angelica Orlando zunächst Liebe vor und überredet ihn, sich auf die Suche nach einem Zaubertrank zu machen, der ewige Jugend verspricht. Als Orlando bei seiner Rückkehr erfährt, dass Angelica und Medoro ein Paar sind, verfällt er dem Wahnsinn. Parallel zu dieser Handlung verirrt sich der Kreuzritter Ruggiero auf die Zauberinsel und erliegt Alcinas Reizen. Bradamante, die ihrem Gatten in Männerkleidung gefolgt ist, gelingt es, mit einem Ring ihren treulosen Ehemann aus den Fängen der Zauberin zu befreien, und nimmt gemeinsam mit dem bereuenden Ruggiero Rache an Alcina. Zu Hilfe kommt ihnen dabei Orlando, der in seinem Wahnsinn Alcinas Macht zerstört. Durch den Untergang der Zauberin besiegt auch er schließlich seinen Liebeswahn und verzichtet auf Angelica. Dem für die Opera seria obligatorischen Lieto fine steht also mit zwei glücklichen Paaren nichts mehr im Weg.

Bild zum Vergrößern

Max Emanuel Cenčić als Orlando

In der Titelpartie ist Max Emanuel Cenčić zu erleben, der sich in den letzten Jahren neben seinen Erfolgen als Sänger auch einen Namen als Regisseur und Gründer des Barock-Festivals Bayreuth Baroque gemacht hat. Mit großem mimischen Ausdruck setzt er Orlandos Wahnsinn glaubhaft um. Mit beweglichen Koloraturen trumpft er in seiner großen  Arie "Nel profondo cieco mondo" im ersten Akt auf, wenn er hofft, durch die Asche des Zauberers Merlin, die sich im Besitz der Zauberin Alcina befindet, ewiges Liebesglück zu erlangen. Mit stupenden Höhen und flexiblen Läufen präsentiert er auch die große Sturm-Arie im zweiten Akt direkt vor der Pause, wenn er seinem Freund Ruggiero Trost spendet. Umso erschütternder ist dann für ihn die Erkenntnis, dass seine geliebte Angelica ihn mit Medoro betrügt. Mit großer Glaubhaftigkeit zeichnet er Orlandos Liebeswahn am Ende des zweiten Aktes. Regelrecht entrückt scheint er dann im dritten Akt, was Cenčić durch expressives Spiel unterstreicht. Julia Lezhneva begeistert als schöne Prinzessin Angelica durch einen kraftvollen runden Sopran. Ein musikalischer Glanzpunkt ist ihre große Gleichnis-Arie im dritten Akt, "Agitata da due venti", in der sie ein regelrechtes Koloraturfeuerwerk abliefert, was das Publikum vor Begeisterung nahezu von den Sitzen reißt. Philipp Mathmann verfügt als Medoro über einen sehr weichen Countertenor mit glasklaren Höhen, der den sanften Charakter der Figur unterstreicht. Einem kämpferischen Helden wie Orlando wäre dieser Medoro hoffnungslos unterlegen.

Bild zum Vergrößern

Vivica Genaux als Alcina

Vivica Genaux punktet als Zauberin Alcina mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und großer Flexibilität in den Koloraturen. Mit welcher scheinbaren Leichtigkeit und Exaktheit sie die schnellen Läufe meistert, begeistert auf ganzer Linie. Darstellerisch changiert sie großartig zwischen der helfenden Zauberin, die Angelica und Medoro vor Orlando schützen will, und der verliebten Frau, die Ruggiero um jeden Preis für sich gewinnen will. Fulminant gestaltet sie die große Rache-Arie im dritten Akt, "Anderò, chiamerò dal profondo", wenn ihr Zauberreich zugrunde gegangen ist und sie erkennen muss, dass sie Ruggiero an Bradamante verloren hat. Hier entlädt Genaux die Wut der Zauberin in halsbrecherischen Koloraturen. Nicholas Tamagna glänzt als Ruggiero mit strahlendem Countertenor. In drei seiner Arien tritt er in einen betörend schönen Dialog mit einer Querflöte. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Arie "Sol da te mio dolce amore" im ersten Akt, in der er völlig Alcinas Reizen verfallen ist. Die Flöte und Tamagnas Countertenor verschmelzen dabei wunderbar zu einer Einheit. Sonja Runje macht als Bradamante mit dunkel gefärbtem Alt deutlich, dass sie in der Beziehung zu Ruggiero "die Hosen anhat". Mit flexibler Stimmführung feiert sie ihren Sieg im zweiten Akt, wenn sie Alcinas Zauberbann gebrochen hat, und stellt sich der Zauberin im dritten Akt mit kämpferischen Koloraturen. Sreten Manojlović rundet als Astolfo mit der einzigen dunklen Bass-Stimme das Ensemble hervorragend ab. George Petrou erweist sich mit dem Ensemble Armonia Atenea als Meister der Barockmusik und begeistert mit differenziertem Klang, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Jubel gibt.

FAZIT

In einer großartigen Besetzung wird deutlich, welche Meriten in Vivaldis Oper stecken und wieso die Wiederentdeckung seiner übrigen Opern so wünschenswert ist.

Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2022

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung
George Petrou

Armonia Atenea

 

Solistinnen und Solisten

Orlando
Max Emanuel Cenčić

Angelica
Julia Lezhneva

Alcina
Vivica Genaux

Bradamante
Sonja Runje

Medoro
Philipp Mathmann

Ruggiero
Nicholas Tamagna

Astolfo
Sreten Manojlović

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Klangvokal Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2022 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -