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Apotheose mit FeuerzauberVon Thomas Molke / Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse) Obwohl Ernest Chausson durchaus zu den bedeutenden französischen Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört, spielen seine Werke für das Musiktheater eine eher untergeordnete Rolle. Dass von seinen weitreichenden Plänen, insgesamt zehn Opern über Themen der Weltliteratur zu komponieren, nur ein Werk, Le roi Arthus, zum Abschluss kam, lag an seinem frühzeitigen Tod 1899 im Alter von nur 44 Jahren, als er bei einem Fahrradunfall ums Leben kam. Auch an dieser Oper hatte er aber zuvor fast zehn Jahre gearbeitet und sie kontinuierlich verändert, um sie, wie er es selbst formulierte, zu "dewagnerisieren", was ihm nur bedingt gelang. Wie Wagner zeichnete er selbst für Text und Musik verantwortlich, wobei sein musikalischer Stil auch von seinem Lehrer César Franck geprägt ist und Züge des Impressionismus erkennen lässt. Als Chausson die Komposition von Le roi Arthus 1895 schließlich vollendet hatte, fand er kein Theater, das bereit war, das Stück herauszubringen. So konnte er die Uraufführung, die am 30. November 1903 am Théâtre Royal de La Monnaie in Brüssel unter der Leitung von Sylvain Dupuis herauskam, nicht mehr erleben. Nachdem sich das Stück mehrere Jahre erfolgreich auf dem Spielplan gehalten hatte, geriet es allmählich in Vergessenheit und steht heute äußerst selten auf dem Programm der Musiktheater. Die Tiroler Festspiele Erl präsentieren diese Rarität nun im Passionsspielhaus, was eine gewisse Nähe zu Richard Wagner suggeriert. Arthus (Domen Križaj, links) ehrt Lancelot (Aaron Cawley vorne Mitte) für seinen Sieg gegen die Sachsen (rechts: Genièvre (Anna Gabler), hinten: Božidar Smiljanić als Ritter). Auch wenn Wagner keine Oper über König Arthus geschrieben hat, sind die thematischen Anklänge in Chaussons Le roi Arthus offensichtlich. Die Liebe zwischen Arthus' Frau Genièvre und seinem treuen Ritter Lancelot erinnert stark an Tristan und Isolde, auch wenn hier kein Liebestrank eingesetzt werden muss und Genièvre Arthus nicht versprochen, sondern bereits mit ihm vermählt ist, wenn sie mit Lancelot den Ehebruch begeht. Aber auch wenn die verbotene Liebe zwischen den beiden einen großen Raum in der Oper einnimmt, interessiert sich Chausson auch für die Welt der Tafelrunde, die den hehren Idealen von Ehrlichkeit und Loyalität nicht mehr gerecht werden kann. Die Ritter rebellieren, sei es aus Neid und eigenem Machtstreben wie Arthus' Neffe Mordred, der selbst Genièvre begehrt und von ihr zurückgewiesen worden ist und in Lancelot einen ernstzunehmenden Rivalen sieht, den er vernichten will, oder aus Enttäuschung darüber, dass Arthus scheinbar die Augen vor Lancelots Fehlverhalten verschließt. So kommt es schließlich zum Kampf zwischen den Rittern, bei dem Mordred sich bereits als neuer König ausrufen lässt. Lancelot, der von Genièvre zur Flucht überredet worden ist, kann es mit seinem Ehrgefühl nicht vereinbaren, gegen Arthus zu kämpfen, stellt sich schließlich waffenlos seinen Feinden und wird tödlich verletzt. Genièvre erhängt sich mit ihren eigenen Haaren, und Arthus, der erkennt, dass er seine Ideale nicht aufrechterhalten kann, geht in einer Art Apotheose in eine andere Welt über. Mordred (William Meinert, unten) beobachtet das heimliche Treffen von Lancelot (Aaron Cawley, oben) und Genièvre (Anna Gabler). Das Regie-Team um Rodula Gaitanou verortet die Geschichte in der Zeit, in der sie spielt, was sich vor allem in den historisierenden Kostümen des Performance-Designers takis widerspiegelt, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet. Ein riesiger schräg nach hinten ansteigender Kreisring beherrscht die Bühne. Er soll wohl für die Tafelrunde stehen, deren Ideale in der Oper ins Wanken geraten. Umgeben ist der Ring von mehreren aufgestellten Speeren. Von hinten links führt ein Steg in diesen Kreisring. Vorne rechts reicht ein weiterer Steg fast bis ins Publikum. In der Mitte des Rings befindet sich eine Scheibe, die emporgezogen werden kann, so dass die Solistinnen und Solisten gleichzeitig darauf und darunter agieren können. Auf dieser Scheibe kommt es im ersten Akt zum fatalen Rendezvous zwischen Lancelot und Genièvre nach dem erfolgreichen Sieg gegen die Sachsen, für den Lancelot von Arthus mit höchsten Ehren versehen worden ist. Unter der Scheibe beobachtet der missgünstige Mordred das heimliche Treffen, und so nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Gaitanou lässt, wie sie selbst im Programmheft erläutert, aus "Gender-Gründen" die Herren und Damen des Chors als Krieger auftreten, die für Arthus gegen die Sachsen gekämpft haben. Zu Beginn sind ihre Gesichter mit einem roten Kreuz bemalt, die genau wie die roten Banner, die sie tragen, andeuten, dass die Welt der Tafelrunde zu diesem Zeitpunkt noch in Ordnung ist. Wenn es zu den kämpferischen Auseinandersetzungen im weiteren Verlauf des Stückes kommt, sind die Banner schwarz und zerrissen und das rote Kreuz weicht dem Blut der Verletzungen. Merlin (Kabelo Lebyana, hinten) erscheint Arthus (Domen Križaj, vorne). Musikalisch erinnert das Stück zu Beginn, vielleicht auch bedingt durch das Bühnenbild und die Kostüme, an die monumentale Untermalung eines Stummfilmklassikers. Erst im weiteren Verlauf lassen sich auch Anklänge an Richard Wagner erkennen. Da ist zum Beispiel der Auftritt des Ackersmann am Anfang des zweiten Aktes zu nennen, wenn Lancelot auf Genièvre wartet, um zu erfahren, was nach dem vermeintlichen Mord an Mordred und der anschließenden Flucht passiert ist. Hier erinnert die musikalische Gestaltung stark an den Hirtengesang aus dem dritten Akt in Wagners Tristan und Isolde, wenn der tödlich verwundete Tristan auf Isolde wartet. An anderen Stellen wiederum weist die Musik einen ganz eigenen Stil auf, der viele verschiedene Handschriften französischer Komponisten der Zeit in sich aufnimmt. Hervorzuheben ist hier beispielsweise die große Szene im zweiten Akt, wenn Merlin Arthus im Traum erscheint. Hier betont Chausson, dass es eben nicht nur um die Liebesgeschichte zwischen Genièvre und Lancelot geht, für die er jeweils ein großes Duett in jedem Akt platziert, sondern auch um die Titelfigur, den König, dessen Welt durch diesen Treuebruch zerbricht. So gehört ihm auch die Schlussszene der Oper. Nachdem Genièvre sich mit ihren eigenen Hagen erhängt hat und der tödlich verwundete Lancelot zum König gebracht worden ist, legt dieser Genièvres rote Haare gewissermaßen als Grabbeilage auf Lancelots Wunden, womit quasi angedeutet wird, dass er den beiden ihren Verrat verziehen hat. Dann begibt er sich auf die Kreisscheibe, die emporgezogen wird, während sich am äußeren Rand des Rings ein fantastisches Feuer entzündet. Zum Gesang der Geister, die in Gaitanous Inszenierung von den Kriegerinnen dargestellt werden, was ein wenig irritierend und ein kleiner Bruch mit der Apotheose ist, entschwindet der König in eine andere Welt, ein Bild, das im Gedächtnis bleibt. Feuerzauber beim Übergang in eine andere Welt: Arthus (Domen Križaj) mit dem Chor der Tiroler Festspiele Erl Doch nicht nur die Regie und die Ausstattung wissen, auf ganzer Linie zu überzeugen. Auch die Besetzung lässt keine Wünsche offen und bewegt sich auf Festspielniveau. Da ist zunächst Domen Križaj in der Titelpartie zu nennen, der den König mit kraftvollem Bariton und intensivem Spiel gestaltet. Mit seiner eindringlichen Mimik nimmt man ihm seine Zerrissenheit in jedem Moment ab. Bis zuletzt hofft er, dass die Anschuldigungen gegen seinen treuen Freund Lancelot falsch sind, weist Mordred von Anfang an mit kleinen Gesten von sich und zeigt eindringlich, wie der König schließlich an dem Verrat durch die beiden von ihm am meisten geliebten Menschen zerbricht. Einen musikalischen Höhepunkt bildet das große Duett mit Kabelo Lebyana als Merlin im zweiten Akt. Die beiden dunklen Stimmen harmonieren wunderbar miteinander und unterstreichen die Verbundenheit der beiden Figuren, auch wenn Merlin nicht bereit ist, auf Arthus' Frage nach Lancelot und Genièvre eine Antwort zu geben. Lebyana gestaltet den Zauberer mit dunkler Autorität und bewegendem Spiel. Mit der Schlussszene im dritten Akt ruft Križaj mit seiner eindringlichen Interpretation große Begeisterungsstürme beim Publikum hervor. Nicht unbeteiligt daran dürfte daran aber auch der von Olga Yanum einstudierte Chor der Tiroler Festspiele Erl sein, der mit homogenem Klang und großartigem Spiel überzeugt.
Das Liebespaar ist ebenfalls hervorragend besetzt. Anna Gabler glänzt als untreue
Genièvre mit strahlendem Sopran und differenziertem Spiel. Nur mit Mühe kann sie
in Gegenwart Arthus' ihre Gefühle für Lancelot verheimlichen und ihre Rolle als
treue Königin spielen. Lancelot gegenüber erweist sie sich bei all ihrer Liebe
als Femme fatale. Immer wieder gelingt es ihr, den Ritter gegen seine
Überzeugungen handeln zu lassen. Erst wenn er am Ende ihre Flucht über das Meer
anordnet und sich selbst dem König stellen will, fasst sie den folgenschweren
Entschluss, ihr Leben zu beenden. Dies alles wird von Gabler mit großer
Intensität dargestellt. Aaron Cawley begeistert als Lancelot mit kraftvollem
Heldentenor, der in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt, dabei aber stets
leicht klingt. Seine innere Zerrissenheit zwischen der Liebe zur Königin und dem
Pflichtgefühl seinem König gegenüber spielt Cawley mit wunderbarer Mimik aus.
Musikalisch stellen die Szenen zwischen Gabler und Cawley weitere Höhepunkte des
Abends dar. William Meinert gestaltet die undankbare Rolle des Mordred mit
schwarzem Bass und abgrundtief missgünstigen Spiel. Bei enormer Bühnenpräsenz
sieht man ihm an, dass er die Ordnung der Tafelrunde zerstören möchte. Andrew
Bidlack punktet als Lancelots getreuer Diener Lyonnel mit sauberen Höhen. Carlos
Cárdenas verfügt als Ackersmann über einen hellen Tenor, der in seinem relativ
kurzen Auftritt im zweiten Akt ebenfalls zu glänzen weiß. Anthony Robin
Schneider und Božidar Smiljanić runden als Vertrauter der Königin und
Ritter bzw. Reitknecht die Riege der Solistinnen und Solisten hervorragend ab.
Karsten Januschke arbeitet mit dem Orchester der Tiroler Festspiele Erl die
vielschichtigen Klangfarben von Chaussons Musik mit großer Präzision heraus, so
dass es großen und verdienten Jubel für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Diese Produktion kann als ein weiterer Höhepunkt der diesjährigen
Festspiel-Saison betrachtet werden. Es wäre zu wünschen gewesen, dass mehr
Publikum an diesem großartigen Erlebnis teilgenommen hätte.
Weitere Rezensionen zu den Tiroler
Festspielen Sommer 2022 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungKarsten Januschke Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Licht Videodesign Kampfchoreographie Chor
Orchester und Chor der Tiroler Festspiele Erl
Solistinnen und SolistenKönig Arthus
Genièvre Lancelot
Mordred Lyonnel
Allan
Merlin
Ein Ackersmann Ein Ritter /
Reitknecht
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- Fine -