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Internationale
Händel-Festspiele Göttingen 12.05.2022 - 22.05.2022 Giulio Cesar in Egitto
Dramma per musica in drei Akten (HWV 17) Aufführungsdauer: ca. 4 h 30' (zwei Pausen) Koproduktion mit der Nederlandse Reisopera Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 13. Mai 2022 |
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Im Reich der Mumie Von Thomas Molke / Fotos: © Frank Stefan Kimmel Das ist wohl die Horrorvorstellung für jede Theaterproduktion in Zeiten von Corona: Am Tag der Aufführung zeigt der obligatorische Test "positiv" an. Solche Ereignisse führten in den letzten Monaten dazu, dass zahlreiche Vorstellungen verschoben oder abgesagt werden mussten. In Wuppertal konnte beispielsweise die Premiere des Tannhäuser erst beim dritten Anlauf über die Bühne gehen, und die Oper Bonn musste die Rarität Ein Feldlager in Schlesien von Giacomo Meyerbeer sogar um mehr als einen Monat verschieben. Das ist natürlich bei Festspielen unmöglich. Bei der Premiere von Händels Giulio Cesare in Egitto gab es aber direkt zwei positive Tests. Betroffen waren ein Statist und der Darsteller des Nireno. Aber man wollte die Produktion unbedingt zur Aufführung bringen und das teils weit angereiste Festspiel-Publikum nicht wieder unverrichteter Dinge nach Hause schicken. Zum Glück hatte man mit Alexander de Jong und Stan Geurts zwei Regie-Assistenten, die genauestens mit der Produktion vertraut sind. So konnte Geurts als Statist einspringen und de Jong zumindest darstellerisch die für den Ablauf des Stückes nicht unbedeutende Rolle des Nireno übernehmen. Cleopatra (Sophie Junker) beklagt als Gefangene ihr Schicksal. Die Vertonung der berühmten Liebesgeschichte zwischen Gaius Julius Caesar (Giulio Cesare) und der ägyptischen Königin Kleopatra (Cleopatra) am Ende des römischen Bürgerkriegs zählt nicht nur zu Händels erfolgreichsten Opern, mit der er in London 1724 eine Sonderstellung erlangte, die ihn weit über das übrige Opernschaffen der Zeit hob, was nicht zuletzt der Besetzung bei der Uraufführung am 20. Februar 1724 im King's Theatre am Londoner Haymarket mit Senesino in der Titelpartie und Francesca Cuzzoni als Cleopatra zu verdanken war. Das Werk hat auch für Göttingen eine ganz besondere Bedeutung. Nachdem 1920 mit der Aufführung von Rodelinda in Göttingen gewissermaßen die "Händel-Renaissance" begann, wurde auch Giulio Cesare in Egitto an diesem Ort vor 100 Jahren wiederentdeckt und trat von dort einen erneuten Siegeszug um die ganze Welt an, so dass das Stück auch heute noch zu den am meisten gespielten Händel-Opern auf internationalen Bühnen zählt. 2022 kommt die Oper nun in Göttingen als Koproduktion mit der Nederlandse Reisopera, wo sie bereits in einer gekürzten "Corona-Fassung" zu erleben war, in der Regie des neuen künstlerischen Leiters der Festspiele George Petrou heraus. Cleopatra (Sophie Junker, Mitte) entsteigt dem Sarkophag. Petrou verlegt die Handlung der Oper in das frühe 20. Jahrhundert. Schließlich wurde 1922 nicht nur Händels Oper in Göttingen wiederentdeckt sondern auch das Grab Tutanchamuns durch den Archäologen Howard Carter. So tritt Cesare mit seinen Soldaten quasi als Archäologe auf Entdeckungsreise auf. Paris Mexis hat dafür ein bombastisches Bühnenbild entworfen, dass an einen kolossalen Palast in Ägypten erinnert und von einer riesigen Statue des Gottes Anubis geschmückt wird. Videoprojektionen verleihen der Produktion eine gewisse Stummfilmästhetik dieser Zeit. In diesem Palast trifft Cesare nun auf die "Geister der Vergangenheit". Tolomeo und Cleopatra sind zunächst Mumien, die von den Römern zu neuem Leben erweckt werden. Tolomeos Diener Achilla tritt als Gottes Anubis auf und ist unter diesem Kostüm ebenfalls eine Mumie. In diesem Ambiente entspinnt sich nun die komplette Geschichte. Tolomeo hofft, Cesares Gunst zu gewinnen, indem er ihm zu Beginn der Oper das abgeschlagene Haupt von Cesares Erzfeind Pompeo überreicht. Hier klingt Tolomeos Stimme noch verzerrt wie von einem Dämon. Später verwandelt er sich allerdings von der Mumie in den diabolischen Anwärter um den ägyptischen Thron. Cleopatra entschlüpft mit zwei Dienerinnen einem riesigen Sarkophag und verzaubert Cesare zunächst als angebliche Dienerin Lidia, bevor sie sich schließlich kurz vor seinem Sprung ins Meer als Cleopatra zu erkennen gibt. Auch wenn Petrous Inszenierung sehr nah am Libretto bleibt, wählt er an vereinzelten Stellen recht ungewöhnliche Wege. Dies betrifft beispielsweise die Figur des Nireno, die ja in dieser Aufführung nur gespielt, nicht aber in den Rezitativen gesungen werden kann. Da in den Übertiteln zu lesen ist, was Nireno jeweils sagt, kann man damit sehr gut umgehen und dem Handlungsverlauf folgen. Doch Nireno hat auch eine Arie zu Beginn des zweiten Aktes, die meistens gestrichen wird, wenn man das Stück nicht in seiner vollen Länge spielen möchte. Nireno wartet darin auf Cesare, um ihn zu Cleopatra zu führen. Da der Sänger des Nireno in Göttingen nicht zur Verfügung stand, wäre es ein Leichtes gewesen, diese Arie wegzulassen, aber man lässt Nicholas Tamagna, den Darsteller des Tolomeo, von der Seitenbühne diese Arie singen, während de Jong sich dazu vom Diener in eine Art Bauchtänzerin verwandelt und in einer Videoprojektion hinter ihm eine Kobra aus Sand zu sehen ist, die sich zur Musik bewegt. Auch die Musik klingt eher wie eine Swing-Nummer, da sie ganz untypisch von einem Klavier begleitet wird. de Jong macht zwar seine Sache als Nireno hier sehr überzeugend, aber inhaltlich erschließt sich das eigentlich nicht. Auch der Schluss der Inszenierung wirft einige Fragen auf. Wenn Cesare mit Cleopatra ein Flugzeug besteigt, um Ägypten zu verlassen, und man am Ende des Jubelchors hört, wie die Propeller-Maschine abstürzt, sieht man den eigentlich toten Tolomeo mit Achilla und Nireno vor der Bühne triumphieren, als ob sie nun doch den Sieg über die Römer davongetragen hätten. Cleopatra (Sophie Junker) verführt Cesare (Yuriy Mynenko, rechts). Von diesen kleinen Unstimmigkeiten abgesehen begeistert die Aufführung aber vor allem durch großartigen Gesang und eine humorvolle Personenführung. Da ist zunächst Yuriy Mynenko in der Titelpartie zu nennen. Mynenko stattet den römischen Feldherrn mit virilem Countertenor aus, der in den halsbrecherischen Koloraturen genauso viel Kraft besitzt wie in den tieferen Passagen. Großartig schleudert er zu Beginn des ersten Aktes in seiner großen Arie "Empio, dirò, tu sei, togliti" Tolomeo seine ganze Verachtung entgegen, wenn dieser ihm den abgeschlagenen Kopf des Pompeo als Geschenk präsentiert. Kämpferisch zeigt er sich auch in der großen Gleichnisarie "Va tacito e nascosto" beim Schachspiel gegen Tolomeo. Aufhorchen lässt Mynenko auch in der Arie aus dem zweiten Akt, "Se in fiorito ameno prato", bei der er liebestrunken in einen Dialog mit einer Violine tritt, was auf der Bühne sehr humorvoll umgesetzt wird. Bewegend präsentiert er im dritten Akt, nachdem Cesare sich aus den Fluten hat retten können, "Quel torrente, che cade dal monte" mit weichem Counter, bevor er wieder zum strahlenden Helden avanciert. Sophie Junker steht ihm optisch und stimmlich als Idealbesetzung für die Cleopatra zur Seite. Mit kämpferischem Sopran und sauber angesetzten Spitzentönen zeigt sie sich zunächst siegesgewiss und lässt in der großen Verführungsszene zu Beginn des zweiten Aktes "V'adoro, pupille" und im weiteren Verlauf mit "Venere bella" ihren Charme mit lieblichem Sopran und intensivem Spiel nur so sprühen. Aber auch als verzweifelte Königin glänzt Junker auf ganzer Linie. Zu nennen sind hier die beiden großen Arien "Se pietà di me non senti" und natürlich "Piangerò la sorte mia". Hier geht Junkers Interpretation mit weichen Tönen unter die Haut. Cornelia (Francesca Ascioti) und Sesto (Katie Coventry) sind verzweifelt. Nicholas Tamagna arbeitet den psychopathischen Charakter des Tolomeo mit teils scharf angesetzten Höhen und beweglicher Stimmführung überzeugend heraus. In seiner Darstellung macht er mehr als deutlich, dass man ihn als Gegner nicht unterschätzen darf. Dennoch lässt er sich von Cornelias Reiz überwältigen und schlägt der unglücklichen Frau gegenüber sehr sanfte Töne an. Francesca Ascioti begeistert als Cornelia mit sattem Alt und spielt am Ende humorvoll mit ihrem Image als "Übermutter". So achtet sie peinlichst darauf, dass ihr Sohn Sesto beim Jubel nicht zu viel Alkohol trinkt und zeigt sich auch seinem Interesse an der jungen ägyptischen Sklavin gegenüber sehr misstrauisch. Katie Coventry stattet die Partie des Sesto mit jugendlich frischem und kämpferischem Sopran aus. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das große Duett zwischen Mutter und Sohn am Ende des ersten Aktes, wenn Sesto verhaftet und Cornelia in den Harem des Tolomeos gebracht wird. Auf den Stufen des Anubis-Tempels nehmen die beiden Abschied voneinander, während der Tempel sich spaltet und sie verzweifelt versuchen, sich aneinander über die Lücke hinweg festzuhalten. Riccardo Navarro rundet als Achilla das Ensemble mit kräftigem Bariton überzeugend ab. George Petrou lotet mit dem FestspielOrchester Göttingen aus dem Graben die Feinheiten der Partitur differenziert heraus, so dass es für alle Beteiligten am Ende verdienten und großen Beifall gibt. FAZIT George Petrou bietet mit einem musikalisch großartigen und spielfreudigen Ensemble zum Einstand eine opulente und humorvolle Inszenierung, die trotz ihrer Länge eigentlich keine Längen hat. Weitere Rezensionen zu den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen 2022
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ProduktionsteamMusikalische Leitung und Regie Bühnenbild und Kostüme Licht
Solist*innen*Premierenbesetzung
Giulio Cesare Cleopatra
Tolomeo Cornelia Sesto Pompeo Achilla Curio Nireno Statisterie
Weitere |
- Fine -