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In den Fesseln der MachtVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel Seit 2016 gibt es bei den Opernfestspielen Heidenheim ein Projekt, die frühen Verdi-Opern in chronologischer Reihenfolge aufzuführen. Nachdem in den vergangenen beiden Jahren bedingt durch die Corona-Pandemie die Festspiele nicht in gewohntem Umfang stattfinden konnten, steht in diesem Jahr Verdis sechste Oper, I due Foscari, auf dem Programm. Obwohl sich das Stück bis in die 1870er Jahre mit mäßigem Erfolg auf den Spielplänen in Europa hielt, soll Verdi die Uraufführung am 3. November 1844 im Teatro Argentina in Rom als ein "mezzo-fiasco" bezeichnet haben, was zum einen an einer unzureichenden Besetzung gelegen haben soll und zum anderen an der düsteren Geschichte, die, wie er später in einem Brief an Piave selbstkritisch bemerkte, mit der allzu gleichförmigen Farbe einer düsteren Dramaturgie schnell langweilig werde. Dennoch hat das Werk musikalisch seine Meriten und eilt von einer Glanznummer zur nächsten, wobei Verdi zum ersten Mal die drei Hauptcharaktere des Stückes gewissermaßen leitmotivisch zeichnet. Geplant war diese Oper eigentlich für das Teatro la Fenice in Venedig, von dem Verdi nach den großen Erfolgen mit Nabucco und I Lombardi alla prima cruciata einen Kompositionsauftrag erhalten hatte. Die Geschichte um den berühmten Dogen Francesco Foscari, der über 30 Jahre die Macht in der Lagunenstadt ausgeübt hatte und dessen Bild auch heute noch zusammen mit dem berühmten Löwen die Porta della carta zwischen Dogenpalast und Markusdom ziert, schien ihm für diese Stadt absolut passend. Doch die Zensur lehnte das Stück mit Rücksicht auf die lebenden Namensträger der historischen Gegner der Foscari ab. So debütierte Verdi in Venedig mit Ernani und konnte I due Foscari erst ein Jahr später in Rom zur Uraufführung bringen, da hier die päpstliche Zensur mit dieser Geschichte keine Probleme hatte. Jacopo Foscari (Héctor Sandoval, links) wird von Loredano (Robert Pomakov, Mitte, mit Christoph Wittmann als Diener des Rates der Zehn und dem Chor im Hintergrund) des Mordes bezichtigt. Das Stück basiert auf der 1821 von Lord Byron verfassten gleichnamigen historischen Tragödie und spielt im Jahr 1457 während der letzten Tage der Amtszeit des venezianischen Dogen Francesco Foscari. Der Doge muss hilflos mit ansehen, wie die Mitglieder des mächtigen Rates der Zehn und des Senats über das Schicksal seines Sohnes Jacopo beraten, der beschuldigt wird, einen politischen Gegner der Foscari ermordet zu haben, nachdem er unerlaubt aus der Verbannung, in die er durch eine von Loredano angezettelte Intrige geschickt worden war, nach Venedig zurückgekehrt war. Loredano hat mit den Foscari noch eine Rechnung offen, da er der festen Überzeugung ist, dass der Doge vor etlichen Jahren seinen Vater und Onkel vergiften ließ. Daher macht er seinen Einfluss geltend, um an Francesco und dessen Sohn Rache zu nehmen. Während Jacopos Ehefrau Lucrezia wie eine Löwin darum kämpft, die Unschuld ihres Mannes zu beweisen, beruft sich Francesco auf die Einhaltung der Gesetze, gegen die er selbst als Doge machtlos sei. So muss er erleben, dass sein Sohn erneut in die Verbannung nach Kreta geschickt wird. Als Francesco die Nachricht erreicht, dass der wahre Mörder seines politischen Gegners gefasst worden sei, ist es für Jacopo bereits zu spät, da er kurz nach dem Verlassen Venedigs an gebrochenem Herzen gestorben ist. Loredano fordert mittlerweile mit dem Rat der Zehn Francesco auf, sein Amt als Doge aus Altersgründen niederzulegen, was dieser zunächst ablehnt. Als die große Glocke von San Marco aber schließlich doch die Ernennung eines neuen Dogen verkündet, bricht Francesco tot zusammen. Loredano (Robert Pomakov, rechts) mit seinen "Handlangern" Barbarigo (Musa Nkuna, links) und Pisana (Julia Rutigliano) Das Regie-Team um Philipp Westerbarkei beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was Loredano die Macht gibt, seine Intrigen gegen den Dogen und dessen Familie so effektiv umzusetzen, und sucht einen Vergleich bei Dürrenmatts Besuch der alten Dame . Darin bringt die mittlerweile reich gewordene Claire Zachanassian die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Güllen dazu, für eine Million ihren ehemaligen Geliebten Alfred Ill umzubringen. So wirft in Westerbarkeis Inszenierung Loredano mit seinen Handlangern mit Geld nur so um sich, um den Rat der Zehn und die Senatoren Entscheidungen im Sinne Loredanos treffen zu lassen. Der Vergleich geht jedoch nicht auf, da in Dürrenmatts Stück die Stadt Güllen finanziell ruiniert ist und die Bewohnerinnen und Bewohner in Zachanassians Angebot die einzige Lösung ihrer Probleme sehen, während die Senatoren eigentlich auf Loredanos Zuwendungen nicht angewiesen sind. Noch weniger nachvollziehbar ist die Rolle, die Westerbarkei dabei zwei kleineren Partien des Stückes, dem Senator Barbarigo und Lucrezias Vertrauter Pisana, zuweist. Während Pisana bei Verdi ja als Lucrezias Freundin auf Seiten der Foscari steht und Barbarigo im Libretto zumindest eine neutrale Funktion einnimmt, da er im dritten Akt die Unschuld des jungen Foscari verkündet, rückt Westerbarkei die beiden als Loredanos enge Gefolgsleute ins Zentrum der Intrige. Barbarigo ist es, der in seinem silbern glänzenden Anzug die Geldbündel unter das Volk wirft und Pisana in einem golden glitzernden Kleid zunächst mit Geld sexuell gefügig zu machen scheint, bevor sie als eine Art Show-Girl im weiteren Verlauf selbst Gefallen an der Intrige findet und sogar Loredano gegenüber sexuell übergriffig wird.Lucrezia (Sophie Gordeladze mit dem Chor im Hintergrund) kämpft für ihren Mann Jacopo. Auch die permanente Anwesenheit des Chors auf der Bühne wirkt in zahlreichen Momenten, in denen das Stück musikalisch einen eher kammerspielartigen Charakter hat, störend. Wenn der junge Foscari im zweiten Akt einsam in seiner Zelle leidet, möchte man nicht im Hintergrund sehen, wie Loredano, Barbarigo und Pisana Geld unter die Leute bringen, da dadurch eine gewisse Unruhe in die Szene kommt und man sich nicht wirklich auf den jungen Foscari konzentrieren kann. Gleiches gilt für das Duett zwischen Lucrezia und ihrem Schwiegervater bzw. ihrem Gatten. Unklar bleibt auch, wieso sich der Chor im Verlauf des Stückes immer mehr Verletzungen zuzieht. So treten nach der Pause zahlreiche Damen und Herren des Chors mit Halskrausen und Bandagen auf. Auch Barbarigo hat das rechte Bein geschient, was ihn beinahe schon diabolisch humpeln lässt. Das Bühnenbild von Tassilo Tesche soll wohl mit dem Holzsteg, der in den ersten beiden Akten über den vorderen Teil der Bühne führt und zunächst ohne aufliegende Platten Hohlräume bildet, einen Hauch von Venedig einfangen, erinnert aber vor allem im letzten Akt, wenn der Steg und die Platten durcheinander im Hintergrund gestapelt liegen, eher an eine große Müllhalde, auf die der Chor aus weißen Eimern goldenen Glitzer regnen lässt. Die Verbannung des jungen Foscari wird mit einem gelben Schlauchboot angedeutet, in dem der Chor mit Papier aus weißen Kübeln - soll das das Geld sein, das das Volk von Barbarigo und Loredano erhalten hat? - ihn gewissermaßen begräbt oder das zum Kentern gebracht wird, was dann wohl als Grund für Jacopos Tod interpretiert werden kann. Francesco Foscari (Luca Grassi) ist mit seinen Kräften am Ende (rechts: der Chor als Senat). Während der Chor in schwarzen Kostümen als einheitliche Masse auftritt, aus der Loredano, Barbarigo und Pisana mit glitzernden Kostümen herausragen, wird bei Lucrezia nicht klar, wieso sie mehrere Male die Kleidung und die Perücken wechselt. Charakterlich bleibt sie sich ja von Anfang an treu, so dass es hier keinen Grund gibt, sie mit unterschiedlichen Frisuren zu zeigen. Auch die Kinder, die sie zum Abschied ihres Mannes mitbringt, scheinbar wahllos aus dem Chor herauszugreifen, erschließt sich nicht. Gut nachvollziehbar wird hingegen der alte Foscari in Szene gesetzt. Seine Kopfbedeckung und der oberer Bereich seines grauen Anzugs deuten mit feinen Ornamenten an, dass er als Doge einmal sehr einflussreich war, seine Macht aber jetzt bröckelt. Da er nicht frei in seinen Entscheidungen ist, tritt er immer mit einer Fußfessel auf, die als Dogenring interpretiert wird, der für ihn ausschlaggebend ist, seinem Sohn die notwendige Unterstützung zu versagen. Erst ganz am Schluss befreit er sich von dieser Fußfessel, wenn er den Ring an einen Nachfolger weitergibt. Wer dies in Westerbarkeis Inszenierung sein soll, bleibt offen. Loredano ist es nicht, scheint aber auch kein großes Interesse daran zu haben, die Fessel zu übernehmen, die von Lucrezia über die Bühne getragen wird. Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen, so dass man sich bereits darauf freuen kann, dass von dieser Produktion eine CD produziert wird. Marcus Bosch arbeitet mit der von ihm gegründeten Cappella Aquileia den frischen Schwung des jungen Verdi mit großer Leidenschaft heraus und zeichnet auch die Motive der drei Hauptcharaktere mit eindrucksvoller Intensität und Präzision. Zu nennen ist hier das melancholische Klarinetten-Solo, das die Trauer des jungen Foscari einfängt, das berückende Flötenthema, mit dem Lucrezias bedingungslose Liebe und der Kampf um ihren Mann zum Ausdruck gebracht wird, und die klagenden Cello-Klänge, die mit den Bratschen die Gefühlswelt des alten Foscari beschreiben. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Michael Dvořák punktet durch homogenen Klang und großen Ausdruck. Auch die Solistinnen und Solisten präsentieren Verdi auf höchstem Niveau. Da ist zunächst Sophie Gordeladze als Lucrezia zu nennen, die mit sauber angesetzten, hochdramatischen Spitzentönen begeistert, die die kämpferische Natur von Jacopos Ehefrau unterstreichen. In der Mittellage verfügt sie über ein samtiges Timbre. Héctor Sandoval begeistert als junger Foscari direkt in seiner Auftrittsarie, wenn er sich mit scheinbarer Leichtigkeit in schwindelerregende Höhen emporschraubt, ohne dabei zu forcieren. Luca Grassi glänzt als alter Foscari mit grandiosem Bariton, der sowohl über markante Tiefen verfügt, als auch in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt. Mit diesen Leistungen punkten die drei Hauptpartien nicht nur in ihren Arien, sondern bewegen auch in den eindringlich gestalteten Duetten und Terzetten. Robert Pomakov hat als Bösewicht Loredano leider nur wenig zu singen. Von seinem mit diabolischer Schwärze gefärbtem Bass hätte man in dieser Oper gerne mehr gehört, auch wenn man die Personenregie vielleicht nicht ganz nachvollziehen kann. Musa Nkuna und Julia Rutigliano runden als Barbarigo und Pisana die solistischen Leistungen mit weichem, lyrischem Tenor und sattem Mezzosopran ab. FAZIT Auch wenn die Inszenierung szenisch einige Fragen aufwirft, lässt die musikalische Umsetzung keine Wünsche offen, so dass man die CD dieser Produktion sicherlich schon im Vorfeld empfehlen kann.
Weitere Rezensionen zu
den
Opernfestspielen Heidenheim 2022 |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Lichtdesign
Choreinstudierung
Dramaturgie
Cappella Aquileia Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Solistinnen und SolistenFrancesco Foscari, Doge von Venedig Jacopo Foscari, sein Sohn Lucrezia Contarini, Jacopos Frau Jacopo Loredano, im Rat der Zehn Barbarigo, Senator Pisana, Freundin und Vertraute Lucrezias Ein Diener des Rates der Zehn und des Senats Ein Diener des Dogen
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