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Erlösung der anderen ArtVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel "Dich, teure Halle, grüß' ich wieder. Froh grüß' ich dich, geliebter Raum!" Mit diesen Worten betritt nicht nur Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, nach langer Zeit wieder die Halle der Wartburg, weil sie erfahren hat, dass ihr geliebter Tannhäuser zurückgekehrt ist und am Sängerstreit teilnehmen wird. Regisseur Georg Schmiedleitner lässt ihre Darstellerin Leah Gordon dabei im Saal des Festspielhauses - und bei Veranstaltungen im Schloss Hellenstein bei besserem Wetter sicherlich auf der frisch renovierten Tribüne - auftreten und damit gleichzeitig auch die Rückkehr der Opernfestspiele Heidenheim nach zwei Jahren Corona-Pandemie feiern. So spricht Gordon in ihrer Freude auch Leute im Publikum direkt an, schüttelt Hände und wird am Ende mit großem Applaus bejubelt, auch wenn Wagners Musik dies gar nicht vorsieht. Da hat Marcus Bosch mit den Stuttgarter Philharmonikern schon beinahe Mühe, das begeisterte Publikum wieder zur Ruhe zu bringen. Allerdings sind nicht alle Regieeinfälle so schlüssig wie der Beginn des zweiten Aufzugs. Tannhäuser (Corby Welch, links) und Venus (Heike Wessels, Mitte mit der Statisterie) im Venusberg Beispielsweise stellt sich für die Regie stets die Frage, ob man die Ouvertüre inszenieren oder einfach der grandiosen Musik Wagners und dem Orchester überlassen soll. Schmiedleitner entscheidet sich für die Inszenierung, was bei den Venus-Motiven in der Ouvertüre zwar aufgeht, aber bei den Pilgern und der Gesellschaft der Wartburg, die ebenfalls thematisch in der Ouvertüre auftauchen, zu Problemen führt. Dass Tannhäuser sich mit einem leichten Mädchen nach dem nächsten vergnügt und ganz im Rausch der Sinne schwelgt, während die Musik den Gang der Pilger nach Rom suggeriert, mag man zwar als gewollten Kontrast deuten, Schmiedleitner fällt in diesem Moment in der Personenregie aber leider nichts Abwechslungsreiches mehr ein. Da nützt es auch nichts, zwei "leichte Jungs" auftreten zu lassen, die nun ebenfalls einen Job in Venus' Lusthöhle ergattern und das bunte Treiben aufheizen, oder die beiden Statistinnen in einen Pool springen und mit einem riesigen aufgeblasenen Krokodil spielen zu lassen. In einigen Momenten der Ouvertüre entstehen in der Szene einfach Längen, die durch die Darsteller*innen nicht überspielt werden können. Dabei zeigen Corby Welch in der Titelpartie und Heike Wessels als laszive Venus vollen Körpereinsatz. Optisch ist dieser Tannhäuser in seinem schwarzen Trainingsanzug und mit den langen eher ungepflegten Haaren allerdings nicht so ansprechend, so dass man sich fragt, was Venus, die in ihrem Glitzerkleid recht mondän wirkt, eigentlich von ihm will. Er muss schon sehr gut singen können, wenn sie über die Äußerlichkeiten hinwegsehen soll. Wolfram (Birger Radde, vorne) besingt die reine, keusche Liebe (im Hintergrund von links: zwei Edelknaben, Heinrich (Christian Sturm), Reinmar (Gerrit Illenberger), Biterolf (Stefan Stoll), Elisabeth (Leah Gordon) und Hermann (Beniamin Pop), vorne links: Chor). Der Venusberg ist in Schmiedleitners Inszenierung ein Motel, was von der Grundidee aufgeht. Schließlich ist Tannhäuser ständig auf der Suche, gewissermaßen ein Heimatloser, der in dem Motel nur Zwischenstation macht. Stefan Brandtmayr hat dafür einen kastenförmigen Bau mit mehreren aneinander angrenzenden Räumen in dunklem Rot auf die Bühne gestellt. Zum zweiten und dritten Aufzug verändert sich nur die Ausstattung dieses Raumes. Während im Venusberg auch noch zwei Spielautomaten auf der rechten Bühnenseite den verdorbenen Charakter der Stätte unterstreichen und die abstrakte Kunst über Venus' Bett auf der linken Seite vielleicht für die freie Liebe steht, ist der Raum in der Halle der Wartburg eher klinisch rein gehalten, dabei aber trotzdem noch in sündigem Rot. Szenisch gelungen ist der Übergang vom Venusberg in das "liebliche Tal", wie es im Libretto heißt. Tannhäuser zieht einen Vorhang vor den Bau, auf den die Umrisse von Bäumen als Schatten projiziert werden. Die farblich reizüberflutete Welt der Venus ist also der blassen Natur gewichen. Wieso die nun auftretenden Pilger aber allesamt mit Einkaufswagen auftreten und wohl eher ein Einkaufszentrum stürmen wollen als den Weg nach Rom einzuschlagen, erschließt sich nicht. Was soll denn die Erlösung hier sein? Ist es die reine Konsumbefriedigung? Aus Richtung Rom treten nämlich einige Personen mit prall gefüllten Einkaufswagen auf, die bei den Pilgern blanken Neid auslösen. Ob man die Wartburg-Gesellschaft, die mit dem Landgrafen Hermann von der Jagd mit erlegtem Hirsch zurückkehrt, anschließend als zechende Kumpanen auftreten lassen muss, ist ebenfalls Geschmackssache. Tannhäuser (Corby Welch, Mitte vorne) hält mit der sinnlichen Liebe dagegen (hinten von links: Reinmar (Gerrit Illenberger), Biterolf (Stefan Stoll), Hermann (Beniamin Pop) und Wolfram (Birger Radde), vorne links: Chor). Für den Sängerstreit auf der Wartburg im zweiten Aufzug haben sich dann jedenfalls alle "in Schale geschmissen". Tannhäuser hat seinen schäbigen schwarzen Trainingsanzug gegen einen golden glitzernden ausgetauscht, was ihn mit seiner weiterhin langen zotteligen Mähne wie eine Art Rockstar erscheinen lässt, während die anderen Sänger in ihren schwarzen Kostümen mit der goldenen Schärpe wesentlich angepasster erscheinen. Bemerkenswert ist, dass Wolfram von Eschenbach im Gegensatz zu den anderen Sängern rote Schuhe trägt, die die Farbe des Venusbergs wieder aufnehmen. Soll damit seine Verbundenheit zu Tannhäuser betont werden oder hat er vielleicht selbst zumindest ein bisschen die Genüsse der Venus gekostet? Sein vorgetragenes Lied über die reine, keusche Liebe, das selbst Elisabeth rührt, spricht nicht für die letztere Annahme. Tannhäuser stört die Vorträge seiner Kollegen nicht nur mit Zwischenrufen, sondern belästigt auch noch recht schamlos einige Damen der Gesellschaft, so dass der Eklat im Sängerstreit nicht ausbleiben kann. Wenn er dann schließlich auf Elisabeths Bitten hin bereit ist, nach Rom aufzubrechen, leuchtet das Schild "Roma" auf, um ihm den Weg zu weisen. Rom-Erzählung: Tannhäuser (Corby Welch, links) und Wolfram (Birger Radde) Im dritten Aufzug herrscht auf der Bühne Chaos. Umgestürzte Tische und Einkaufswagen dominieren das Bühnenbild, in dem Elisabeth in engelsweißem Kleid vergeblich auf Tannhäusers Rückkehr wartet. Wenn sie ihn unter den Pilgern nicht finden kann, zieht sie sich zwar mit der Bitte an die Mutter Maria zurück, sie zu sich nehmen, um Tannhäuser zu retten. Anders als im Libretto handelt es sich hierbei allerdings nicht um Elisabeths letzten Auftritt. Die Rom-Erzählung wird dann mit einer gewissen Komik in Szene gesetzt. Tannhäuser vertreibt eine Zuschauerin von ihrem Sitzplatz, den er anschließend Wolfram anbietet, um ihm von seinen Erlebnissen beim Papst zu berichten. Birger Radde sucht als Wolfram immer wieder den Kontakt zu den Damen und Herren im Publikum, bei denen er sich einerseits wortlos für Tannhäusers Verhalten entschuldigt, aber andererseits gleichzeitig Tannhäusers Erzählung die gebührende Aufmerksamkeit schenkt. Wenn Tannhäuser dann anschließend wieder Aufnahme in den Venusberg sucht, ist Venus keine mondäne Frau mehr, sondern erinnert mit ihren Plastiktüten eher an eine Wohnungslose, die über Tannhäusers Begehren irritiert und amüsiert zu sein scheint. Die Erlösung ist für Tannhäuser wohl dann der Tod. Denn Wolfram erwürgt ihn, während die Kunde vom grünenden Bischofsstab des Papstes kommt. Nach Tannhäusers Tod treten Elisabeth und Venus gemeinsam auf. Venus ist wieder die mondäne Frau aus dem ersten Aufzug, und auch Elisabeth trägt über ihrem blauen Kleid einen roten Pelz. Die beiden Frauen in trauter Zweisamkeit zu sehen, ist für Wolfram dann scheinbar zu viel, und er begeht Selbstmord. Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Allen voran ist Leah Gordon als Elisabeth zu nennen. Ihr Sopran strahlt in klaren Höhen, und auch darstellerisch begeistert sie mit facettenreichem Spiel, wenn sie sich einerseits absolut keusch und rein zeigt, andererseits aber ihre Zuneigung zu Tannhäuser durchaus sinnliche Komponenten aufweist. Hinzu kommt eine wunderbar klare Diktion. Heike Wessels gestaltet die Venus mit sattem Mezzosopran und dramatischen Höhen. Birger Radde stattet den Wolfram mit kraftvollem Bariton aus und punktet ebenfalls durch eine sehr gute Textverständlichkeit. Sein berühmtes Lied an den Abendstern ist ebenso musikalischer Höhepunkt des Abends wie Elisabeths zu Beginn erwähnte Hallen-Arie. Corby Welch verfügt in der Titelpartie über einen kraftvollen Tenor, der in den Höhen bisweilen ein bisschen angestrengt klingt. Szenisch lässt er keine Wünsche offen und zeigt Tannhäuser als Getriebenen. Vor allem in der großen Rom-Erzählung im dritten Aufzug begeistert er. Beniamin Pop lässt als Landgraf Hermann mit dunkel gefärbtem Bass ebenso aufhorchen wie Heidi Baumgartner als junger Hirt mit jugendlich frischem Sopran. Auch die übrigen Sänger sind mit Martin Mairinger als Walther von der Vogelweide, Stefan Stoll als Biterolf, Christian Sturm als Heinrich der Schreiber und Gerrit Illenberger als Reinmar von Zweter gut besetzt. Der von Michael Dvořák einstudierte Tschechische Philharmonische Chor Brünn begeistert mit kraftvollem und homogenem Klang sowohl als Pilger als auch als Wartburg-Gesellschaft. Marcus Bosch lotet mit den Stuttgarter Philharmonikern Wagners Musik differenziert aus, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Jubel gibt. FAZIT Schmiedleitner findet einen im Großen und Ganzen gelungenen Zugang zu Wagners großer Oper mit einer interessanten Deutung der Erlösung am Schluss. Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen.
Weitere Rezensionen zu
den
Opernfestspielen Heidenheim 2022 |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Choreinstudierung
Dramaturgie
Stuttgarter Philharmoniker Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Solisten*Premierenbesetzung Tannhäuser Elisabeth, Nichte des Landgrafen Venus Hermann, Landgraf von Thüringen Wolfram von Eschenbach Walther von der Vogelweide Biterolf Heinrich der Schreiber Reinmar von Zweter Ein junger Hirt Vier Edelknaben
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