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Gebändigte Geister der Romantik
Von Stefan Schmöe
Das Programm ist zumindest indirekt eine Verneigung vor dem großen E.T.A. Hoffmann, dessen 200. Todestag in diesen Wochen gedacht wird. Dessen literarische Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler leiht dem Klavierzyklus Kreisleriana von Robert Schumann den Namen und, wichtiger, den romantischen Nährboden - galt dieser Kreisler doch als Inbegriff des romantischen Künstlers in seiner Zerrissenheit zwischen Genialität und der Notwendigkeit der Anpassung im bürgerlichen Zeitalter. Schumann komponierte das Werk 1838, acht kurze Sätze (die Schumann selbst als Fantasien bezeichnet), adressiert an die Geliebte Clara Wieck, in erster Linie wohl ein musikalisches Selbstportrait.
Grigory Sokolov, der die Kreisleriana in den zweiten Teil dieses Recitals stellt, ist freilich mehr an Schumann als an Hoffmann interessiert; jedenfalls ist seine Interpretation eher vermittelnd zwischen den Extremen. Das Exzentrische Hoffmanns, die Nachtseiten und Alpträume, die bleiben außen vor; vielmehr findet Sokolov, der die Sätze fast nahtlos ineinander übergehen lässt, mit bestechender Logik den musikalischen Zusammenhang über die einzelnen Sätze hinweg. Er sucht die Melodie, die virtuose Umspielung wird zur Klangfarbe. Im Ergebnis ergibt das eine sehr poetische Auslegung, wobei Sokolov immer kontrolliert bleibt und sich nie im romantischen Gefühl verliert. Man kann die Kreisleriana anders, radikaler, interpretieren, aber bei Sokolov baut ein musikalischer Gedanke auf dem anderen auf, als dürfe es nicht anders sein. Die superbe Anschlagkultur, die Extreme eher meidet und doch ausdifferenzierter und reichhaltiger klingt als bei fast allen anderen Pianisten, machen diese Kreisleriana zum ungeheuer fein differenzierten Ereignis.
Foto: Christian Palm / Klavier-Festival Ruhr
Der Witz des Programmes liegt darin, dass Sokolov die am Beginn gespielten Eroica-Variationen Beethovens (der Name bezieht sich darauf, dass Beethoven über dasselbe Thema den Finalsatz seiner dritten Symphonie, der Eroica, aufbaut, auch dort als Variationensatz; das Thema entstammt aber dem kurz zuvor komponierten Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus) deutlicher als die Kreisleriana im Sinne Hoffmanns anlegt: Bei Beethoven nämlich betont er markanter die oft überraschenden, unkonventionellen Kontrastwechsel und auch die Merkwürdigkeit dieses Themas, dass ja nur eine Basslinie ist und bei Sokolov zunächst eine gespenstische Aura erhält. Das Fehlen der Melodie, das plötzlich einfallende Hämmern der Bass-Figur - das alles spielt Sokolov mit abgründigem Humor, pointiert in den Überraschungsmomenten, doch nie vordergründig. Und zeigt, dass diese Komposition für Klavier in ihrer Konzentration dem Finalsatz sehr viel populäreren Symphonie womöglich doch überlegen ist.
Zwischen Beethoven und Schumann steht vermittelnd Johannes Brahms mit seinen drei introvertierten Intermezzi op. 117, die Sokolov mit erlesener Klangkultur spielt, ungemein poetisch und träumerisch und doch immer mit Disziplin und Strenge, die vor falscher Gefühligkeit bewahren. Nochmal Brahms gibt es als erste der Zugaben, die Sokolov wie immer großzügig gibt (hier sind es sechs an der Zahl) - die g-Moll-Ballade op.118/3 mit kraftvollem Zugriff, nicht zu schnell, und auch hier fasziniert die Abgeklärtheit und Ausgewogenheit, mit der er jeder Note und jeder Phrase Gewicht gibt und doch den großen Bogen ausspielt.
In den Préludes op.23 Nr. 9 und 10 von Sergej Rachmaninow und in Skriabins Prélude op.11/4 zeigt Sokolov geradezu impressionistische Klangfarben, in Chopins choralartigem c-Moll-Prélude op.28 Nr.20 beginnt er mit donnernden Fortissimo-Akkorden, wohl die kraftvollsten während des ganzen Abends, versteht aber auch hier die Kunst, mit vollkommener Selbstverständlichkeit allmählich ins Piano zu wechseln, ohne den Basstönen ihre Bedrohlichkeit zu nehmen (auch da geistert Hoffmann durch die Musik). Den Abschluss bildet Bachs Präludium h-Moll BWV855a in der Bearbeitung des russischen Pianisten Alexander Siloti, das Sokolov sehr schnell nimmt und als flirrende Klangfläche anlegt, was eine Verbindung zu Rachmaninow schafft, gleichzeitig aber mit geradezu unbarmherziger Strenge das Taktmaß betont. Einmal mehr ein großer Abend für das Klavier-Festival Ruhr, bei dem Sokolov bereits seinen 24. Auftritt hat. Am mangelnden Applaus des Wuppertaler Publikums lag es nicht, dass weitere Zugaben ausblieben.
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Klavier-Festival Ruhr 2022 Historische Stadthalle Wuppertal 7. Juli 2022 AusführendeGrigory Sokolov, KlavierProgrammLudwig van Beethoven:15 Variationen und Fuge Es-Dur ("Eroica-Variationen") op.35 Johannes Brahms: Drei Intermezzi op.117 Robert Schumann: Kreisleriana op.16 Zugaben: Johannes Brahms: Ballade g-Moll op.118 Nr.3 Sergej Rachmaninow: Prélude op.23 Nr.9 Prélude op.23 Nr.10 Alexander Skriabin: Prélude e-Moll op.11 Nr.4 Frédéric Chopin: Prélude c-Moll op.28 Nr.20 Johann Sebastian Bach: Präludium h-Moll BWV 855a (Bearbeitung von Alexander Siloti) Klavierfestival Ruhr 2022 - unsere Rezensionen im Überblick
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