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Bach total rastlos
Von Stefan Schmöe
Der Durchbruch gelang Martin Stadtfeld mit dem ersten Preis beim Leipziger Bach-Wettbewerb 2002. Bach hat er auch 2006 bei seinem ersten Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr gespielt, damals die Goldberg-Variationen. In diesem, seinem nunmehr 13. Konzert bei Klavier-Festival kehrt er zu Bach zurück, spielt sogar "Bach total", wie das Konzert betitelt ist. Der Veranstaltungsort scheint erst einmal untypisch: Die Aula des Reichenbach-Gymnasiums in Ennepetal, einem Schulbau, der so trist aussieht, wie Schulen aus den 1970er-Jahren halt so aussehen. Andererseits: Bach war ja auch Bediensteter an einer Schule. Und das Klavier-Festival zeichnet sich auch dadurch aus, dass es unterschiedlichste Orte und Säle bespielt. In Ennepetal wartete jedenfalls ein begeisterungsfähiges Publikum auf den inzwischen nicht mehr ganz so jungen Martin Stadtfeld (Jahrgang 1980).
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Die Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825 beginnt der Pianist delikat; die ersten Probleme zeigen sich, wenn die Oberstimme nicht mehr die Melodie führt, aber immer noch vergleichsweise laut bleibt - und Stadtfeld zwar ganz raffiniert die melodieführenden Stimmen hervorhebt, aber eine Spur zurückgenommen, sodass die Oberstimme dann ziemlich offen liegt und ein wenig herausfällt aus dem Satzgefüge. Die Stimme zurückzunehmen und einfach "nur" die Architektur der Musik offenzulegen, das, so scheint's, ist dem Pianisten zu wenig, es soll schon viel eigene Interpretation hinein. Darunter leidet die Klarheit, und gelungene Passagen stehen neben eher banal ausgespielten. Und es kommt immer wieder zu Brüchen.
Foto: Peter Wieler / Klavier-Festival Ruhr
Die folgende Allemande nimmt er ziemlich flott, und hier zeigt sich ein Moment, das alle schnellen Sätze durchzieht: Die Musik klingt, als wolle Stadtfeld immer weiter beschleunigen, sie hat "Drive" und stürzt nach vorne. Sicher klingt das recht virtuos und kompliziert (wobei Bach nicht das ganz große virtuose Kaliber ist) - aber nach technischen Schwierigkeiten sollte diese Musik eigentlich nicht klingen, da fehlt dann doch ein wenig der souveräne Abstand. Durch das Tempo spielt Stadtfeld über manchen Zusammenhang hinweg und erzeugt eine permanente Unruhe. Interessant ist dabei, wie Stadtfeld dann die Basslinie unaufdringlich, aber bestimmt aufklingen lässt. Die Sarabande nimmt er allzu gewichtig und eher vordergründig bedeutungsvoll, die Menuette gelingen ganz hübsch, die abschließende Gigue stürzt wieder rastlos, fast hektisch nach vorne.
Diese Interpretationsmuster setzen sich im Wesentlichen in den anderen Werken fort. Hinzu kommt im Prélude der Englischen Suite Nr. 3 g-Moll BWV 808 noch ein weiteres Element: Ein sehr stark "hämmernder", beinahe martialischer Anschlag, den freilich auch andere Pianist*innen in diesem Satz wählen, den Stadtfeld aber zuspitzt. Und dann hat er die Eigenart, sehr viel mit Pedal zu spielen, das Pedal eigentlich ständig, auch in schellen Sätzen zu nutzen - und da rumpelt der Steinway leider ganz gehörig, was den Musikgenuss doch erheblich beeinträchtigt.
Im Mittelblock spielt Stadtfeld fünf als "Transkriptionen" bezeichnete Stücke, was den Sachverhalt aber nicht richtig wiedergibt; man sollte eher von "Bearbeitungen" sprechen. In der Johannespassion lässt Bach auf den großen Schlusschor Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine noch einen Choral (Ach Herr, lass' dein lieb Engelein) folgen. Stadtfeld montiert beide Sätze ineinander - ein paar Takte von diesem, dann ein paar Takte von jenem usw. Das ist eigenwillig, aber durchaus interessant, aber eben auch (zu) leicht durchschaubar. Den Schlusschor der Matthäuspassion ("Wir setzen uns mit Tränen nieder") spielt er dann mit dem schon erwähnten "hämmernden" Anschlag, was den Charakter der Musik auf den Kopf stellt. Sagen wires mal so: Das ist ein kleines bisschen provokativ.
Nach der Pause die Französische Ouvertüre h-Moll BWV 831 mit einer Mischung aus gelungenen und banalen Effekten. Das abschließende Italienische Konzert dann geradezu manieriert spröde, viele Passagen mit hartem Anschlag; Eleganz ist sicher nicht Stadtfelds Ziel. Immerhin passte dazu die Zugabe dann exzellent, Prokofjews Toccata, sehr eindrucksvoll gespielt in ihrer rhythmischen Konsequenz (man wünschte, Stadtfeld könnte die winzigen Zäsuren bei den Lagenwechseln auch noch vermeiden). Vielleicht war "Bach total" doch keine so gute Programmidee; es blieb der Eindruck, Musik wie in dieser Zugabe hätte recht spannend mit Bach korrespondieren können. Als Rausschmeißer dann ein Volkslied: Ade zur guten Nacht, die Melodie niedlich umspielt und jede Strophe in anderer Lage. Je nach Sichtweise: Delikat oder hart am Kitsch.
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Klavier-Festival Ruhr 2022 Aula des Reichenbach-Gymnasiums Ennepetal 29. Mai 2022 AusführendeMartin Stadtfeld, KlavierProgrammJohann Sebastian Bach:Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825 Englische Suite Nr. 3 g-Moll BWV 808 Fünf Transskriptionen von Martin Stadtfeld: Choral Ach Herr, lass dein lieb Engelein aus der Johannespassion BWV 245 Chor Wir setzen uns mit Tränen nieder aus der Matthäuspassion BWV 244 Air aus der Orchestersuite Nr.3 D-Dur BWV 1068 Dir, Jehova, will ich singen BWV 299 Toccata d-Moll BWV 565 Französische Ouvertüre h-Moll BWV 831 Italienisches Konzert F-Dur BWV 971 Zugaben: Sergei Prokofjew: Toccata d-Moll op. 11 Martin Stadtfeld: Piano Song No. 10 „Lullaby“ Klavierfestival Ruhr 2022 - unsere Rezensionen im Überblick
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