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Winter in Schwetzingen

Das Barock-Fest
03.12.2022 - 02.02.2023

Ulysses

Musikalisches Schauspiel in drei Akten
Libretto von Friedrich Maximilian von Lersner
Musikalische Rekonstruktion durch Clemens Flick, Texte von Ulrike Schumann
Musik von Reinhard Keiser


In deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 55' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Theater Orchester Biel Solothurn

Premiere im Rokokotheater Schwetzingen am 3. Dezember 2022
(rezensierte Aufführung: 22.01.2023)

 


 

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Penelope und Circe in der Bar lthaka

Von Thomas Molke / Fotos: © Susanne Reichardt

Seit 2019 hat man beim Barock-Festival Winter in Schwetzingen eine neue Richtung eingeschlagen und rückt die bisher sträflich vernachlässigte deutsche Barockoper ins Zentrum. Dabei darf natürlich auch Reinhard Keiser nicht fehlen. 20 Jahre lang leitete er die Geschicke der Hamburger Gänsemarktoper, zunächst als Kapellmeister, dann als Intendant. In dieser Zeit entstanden knapp 70 Bühnenwerke von denen ein Großteil jedoch verschollen ist. Auch sein Ulysses ist nur fragmentarisch erhalten. Die Oper entstand vier Jahre, nachdem Keiser Hamburg auf der Suche einer zuverlässigeren Einnahmequelle verlassen hatte, um sein Glück in Kopenhagen zu suchen. Obwohl er dem Stück einen großen Prolog mit einer Huldigung des dänischen Königs Friedrich IV. voranstellte, zu dessen Geburtstagsfeierlichkeiten die Oper im November 1722 im Schloss Christiansborg zur Uraufführung gelangte, war dem Werk kein großer Erfolg beschieden. Das mag Keiser sehr geschmerzt haben, da er zu der Geschichte um den griechischen Helden Odysseus eine besondere Beziehung gehabt haben dürfte. Insgesamt vier Werke sind belegt, in denen sich Keiser Odysseus, seiner Gattin Penelope und der Zauberin Circe gewidmet hat. Ulysses von 1722 stellt die dritte Beschäftigung mit diesem Thema dar. Der musikalische Leiter der Produktion in Schwetzingen, Clemens Flick, hat die Oper mit weiteren Werken Keisers rekonstruiert und stellt diese Fassung nun im Rahmen des Festivals vor.

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Penelope (Jutta Böhnert) und der Dichter (Klaus Brantzen)

Auch wer Homers Odyssee gut kennt, wird bei Keisers Oper dennoch ins Staunen geraten, weil das Stück einige gravierende Änderungen zum Mythos aufweist, die allerdings nicht direkt von Keiser bzw. seinem Librettisten Maximilian von Lersner stammen, sondern auf ein Libretto von Henry Guichard zu einer 1703 uraufgeführten französischen Oper von Jean-Féry Rebel zurückgehen. Neu ist, dass die Zauberin Circe in Ithaka versucht, Penelope ihren Gatten abspenstig zu machen. Zunächst plant sie, Penelope mit dem Freier Urilas zu verkuppeln. Doch ihr Zauber versagt bei der treuen Penelope, die auch nach 20 Jahren noch auf ihren Mann wartet. Daraufhin will Circe die ganze Insel vernichten, nimmt aber von diesem Plan Abstand, als sie Odysseus' (Ulysses) Schiff sieht. Nach seiner Rückkehr macht sie ihn sich mit Hilfe eines Zauberschwertes gefügig und nährt in ihm den Verdacht, dass Penelope ihm während seiner Abwesenheit untreu gewesen sei. Eurilochus, ein Gefährte Ulysses', der, anders als im Mythos, gemeinsam mit Ulysses von den Irrfahrten zurückgekehrt ist, kann das magische Schwert austauschen, so dass Ulysses seinen Fehler erkennt. Doch Circe gibt noch nicht auf. Nun will sie sich gewaltsam an Penelope rächen und die Nebenbuhlerin ausschalten. Penelope, die mittlerweile an der Liebe und Treue ihres Gatten zweifelt, ist bereit, in den Tod zu gehen. Der Gott Merkur kann in letzter Sekunde verhindern, dass Circe Penelope tötet. Ulysses begibt sich auf eine Reise in die Unterwelt und erkennt in einem Spiegel die Beweggründe für sein Handeln. Geläutert kehrt er zu Penelope zurück und feiert mit ihr das wiedergewonnene Glück.

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Circe (Dora Pavlíková, Mitte, mit den beiden Amouretten (Elena Trobisch, links, und Manuela Sonntag, rechts) will Ulysses für sich gewinnen.

Das Regie-Team um Nicola Raab siedelt die Geschichte in einer Bar an und führt als weitere Figur einen Dichter ein, der kommentierend in die Handlung eingreift und Verbindungen zwischen einzelnen Szenen schafft. Klaus Brantzen übernimmt als Dichter auch die Rolle des Gottes Merkur, der Penelope vor Circe bewahrt und dafür sorgt, dass Circe sich mit dem Dolch selbst richtet. Auch hadert er mit der Muse und Homer, die er dafür verantwortlich macht, dass Circes Erscheinung in Ithaka nicht mit dem Mythos in Einklang zu bringen sei. Die riesige Bar, die die Bühne beherrscht (Bühnenbild: Madeleine Boyd) wird von einem Schiffsrumpf und einem riesigen Baum flankiert. Der Schiffsrumpf mit einer großen Figur steht wohl für die Irrfahrten des Ulysses. Der Baum deutet wahrscheinlich den Wald an, in den sich Penelope mehrere Male im Verlauf des Stückes zurückzieht. Ansonsten erinnert er eher an der Esche Stamm, der die Behausung Hundings in Wagners Walküre durchzieht, nur dass hier das Schwert Wotans fehlt. Hinter der Bar befindet sich eine Jukebox. Aus ihr hört Penelope in ihrer großen Nachtigall-Arie den von den Bläsern imitierten Vogel zwitschern. Ortswechsel werden durch einen roten Vorhang angedeutet, der vor der Bar herabgelassen wird und somit an den Ort führt, an dem Circe versucht, Penelope auszuschalten oder Ulysses zu verführen. Die Kostüme, für die ebenfalls Boyd verantwortlich zeichnet, sind recht modern gehalten, was andeutet, dass Raab die Geschichte mehr oder weniger in der Gegenwart verortet.

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Ulysses (Henryk Böhm) zweifelt an Penelopes (Jutta Böhnert) Treue.

Eine Assoziation der langen Abwesenheit des Ulysses zur Gegenwart, sieht Raab wohl in der Geschichte des Mannes, der nur mal eben das Haus verließ, um Zigaretten zu holen, davon jedoch nicht zurückkehrte. Brantzen spricht als Dichter diese Geschichte zu Beginn des Stückes auch kurz an. Problematisch ist es bisweilen, wenn Brantzen zur Musik des Orchesters redet, da seine Monologe dabei leicht vom Orchester überdeckt werden und unverständlich werden. Selbst darf er auch zum Akkordeon greifen und präsentiert zwei "Matrosen-Lieder", die sicherlich so nicht aus der Feder Keisers stammen. Auch wenn Circe das magische Schwert aus dem Kühlschrank holt, mit dem sie in Ulysses erneute Leidenschaft für sie weckt, wechselt das Orchester zu einem romantischen Filmmusik-Klang, der wesentlich moderner als Keiser sein dürfte. Ansonsten bleibt Flick bei seiner Rekonstruktion dem barocken Stil absolut treu, so dass das Werk wie aus einem Guss erscheint. Dass Stücke aus anderen Werken Keisers eingefügt sind, merkt man nicht, da man die Oper dafür zu wenig kennt, und kann diese Informationen nur aus dem Programmheft nehmen. Der Prolog wird in Schwetzingen weggelassen, da die Huldigung für den dänischen König in keinem Zusammenhang zum Stück steht. Stattdessen hat Flick aus Instrumentalstücken Keisers eine Ouvertüre zusammengestellt, mit der er die Sehnsucht Penelopes und das rastlose Umherirren des Ulysses unterstreicht. Im dritten Akt begegnet Ulysses in der Unterwelt, seinem Unterbewusstsein, dem Freier Urilas gewissermaßen als Alter Ego, das es zu besiegen gilt. Dafür hat Flick eine Tenor-Arie aus Keisers Orpheus in ein Duett umgewandelt, "Weh, du Spiegel meiner Seele", in der Ulysses seinen Rivalen schlussendlich zu den bewegenden Klängen des Solo-Fagotts zur Strecke bringt.

Auch die Arien der Penelope mussten von Flick rekonstruiert werden. Da die ursprünglich vorgesehene Sängerin der Penelope, Margaretha Susanna Kayser, kurz vor der Uraufführung erkrankte, musste eine andere Sängerin einspringen, die aber darauf bestand, statt dieser Arien sogenannte italienische "Kofferarien" zu singen, die sie im Repertoire hatte, die musikalisch jedoch eigentlich gar nicht in die Oper passten. Die Originalarien sind nicht erhalten, so dass Flick auch hier Musik von Keiser ausgewählt hat, die den Text der Arien wesentlich besser treffen. Zum Text im Allgemeinen muss man jedoch sagen, dass er bezüglich des Reims bisweilen schrecklich konstruiert klingt. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass man deutsche Texte in der Barockoper der damaligen Zeit einfach nicht gewohnt ist.

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Ulysses (Henryk Böhm) auf der Suche nach seinem inneren Selbst

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Star des Abends ist Dora Pavlíková, die als Zauberin Circe absolut mondän daherkommt und eine regelrechte Femme fatale darstellt. Mit kraftvollem Sopran unterstreicht sie die scheinbare Überlegenheit der Zauberin, der jedes Mittel recht ist, Ulysses zurückzugewinnen. Pavlíková punktet mit halsbrecherischen Koloraturen, wenn sie Ulysses bei der Zurückweisung ihren Hass entgegen schleudert, und erweist sich ihrer Rivalin gegenüber mit dramatischen Höhen als ernstzunehmende Gegnerin. Nur beim Versuch, Penelope im dritten Akt zu töten, scheint sie einen Moment lang schwach zu werden und wirkt nicht mehr wie die rachsüchtige Zauberin, die Penelope ins Reich der Toten befördern will. So hat man beinahe Mitleid mit ihr, wenn sie sich am Ende selbst tödlich verwundet. Jutta Böhnert verfügt als Penelope über einen lieblichen Sopran, der in den schnellen Läufen allerdings die Beweglichkeit vermissen lässt. Den milden Charakter der treuen Frau trifft sie stimmlich jedoch sehr gut. Wieso sie am Ende Ulysses allein auf der Bühne zurücklässt und scheinbar nun selbst auf lange Reise geht, kann wahrscheinlich nur die Regisseurin erklären. Theresa Immerz verfügt als Cephalia über einen lieblichen Sopran, der wunderbar zum lyrischen Tenor von João Tereira als Eurilochus passt, so dass die beiden als das eigentlich ideale Paar im Stück erscheinen. Henryk Böhm gestaltet die Titelpartie mit profundem Bariton und intensivem Spiel. Andrew Nolen punktet als Bösewicht Urilas mit dunklem und beweglichem Bass. Einen musikalischen Höhepunkt stellt das eingefügte Duett der beiden Männer am Ende des dritten Aktes dar. Clemens Flick führt das Philharmonische Orchester Heidelberg mit den vier Solist*innen an Fagott, Violoncello, Theorbe und Cembalo mit sicherer Hand durch die von ihm rekonstruierte Partitur, so dass es am Ende verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Die rekonstruierte Fassung von Clemens Flick kann als musikalisch durchaus interessant betrachtet werden. Um sich im Barock-Repertoire zu etablieren, wirkt dieses Werk von Keiser allerdings insgesamt zu schwach.

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Produktionsteam  

Musikalische Leitung
Clemens Flick

Regie
Nicola Raab

Bühne und Kostüme
Madeleine Boyd

Mitarbeit Bühne und Kostüme
Faveola Kett

Lichtdesign
Andreas Rehfeld

Dramaturgie
Thomas Böckstiegel



Philharmonisches Orchester Heidelberg

Fagott
Hitomi Wilkening /
Sophia Mindt

Violoncello
Johann Aparicio Bohórquez /
Christoph Habicht

Theorbe
Toshinori Ozaki /
Vanessa Heinisch /
Andreas Nachtsheim

Cembalo
Andreas Küppers /
Johannes Zimmermann

 

Solistinnen und Solisten 

Circe
Dora Pavlíková

Penelope
Jutta Böhnert

Cephalia
Theresa Immerz

Ulysses
Henryk Böhm

Urilas
Andrew Nolen

Eurilochus
João Terleira

Erste Amourette
Manuela Sonntag

Zweite Amourette
Elena Trobisch

Dichter
Klaus Brantzen





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